Das Gutsein der Christen
Licht und Schatten
Der Epheserbrief warnt vor den Werken der Finsternis. Wir sprechen ähnlich von dunklen Geschäften, zwielichtigen Gestalten oder lichtscheuem Gesindel. Christen sollen Kinder des Lichts sein. Was in der Praxis nicht so einfach ist.
Ephesus war in der Antike eine Weltstadt, gelegen an der Küste Kleinasiens, Schnittstelle zwischen griechischer und orientalischer Kultur. Ephesus war berühmt für seine Gelehrsamkeit, aber auch für Reichtum. Aber wo der Handel blüht, dort blühen in der Regel auch der Betrug, der Diebstahl, die Bestechung, die Steuerhinterziehung und andere illegale Methoden der Einkommensbeschaffung. Schattenwirtschaft könnte man es auch nennen. Und von all dem, was erstens einträglich ist und was zweitens ja alle irgendwie machen, davon soll die junge Christengemeinde sich fernhalten.
Das finden Sie ganz selbstverständlich? Naja, übertragen wir es mal auf heute: Arbeitet für Sie vielleicht eine Putzfrau, die nicht angemeldet ist, schwarz, wie man bezeichnenderweise sagt? Macht doch jeder in der Nachbarschaft so, oder nicht? Schwierig wird es nur, wenn Ihre Putzfrau bei Ihnen beim Gardinenaufhängen von der Leiter stürzt, dann muss man für die Versicherung schon ein paar Lügengeschichten erfinden. Wäre ja eigentlich ein Arbeitsunfall, nur arbeitet die Dame ja nicht bei Ihnen, sondern macht nur einen Freundsschaftsbesuch oder so ... Ja, ans Licht kommen, sollten die wahren Umstände dann vielleicht besser nicht.
Oder – für die Arbeitnehmer unter Ihnen – wie sieht es aus mit der Steuererklärung? Rechnen Sie vielleicht Aufwendungen ab, die es gar nicht gibt, oder den privaten Computer als notwendiges Arbeitsmittel? Stellen Sie vielleicht den Besuch bei auswärtigen Freunden als Reisekosten oder Arbeitszeit in Rechnung, nur weil sie auf dem Weg dorthin für ein Stündchen bei einer Filiale Ihres Unternehmens reingeschaut haben? Gut, dass das Nachverfolgen von Handydaten bei uns verboten ist; da käme so mancher private Umweg, der besser im Dunkeln bleibt, ans Licht.
Besser nicht genau durchleuchten
Oder vielleicht sind Sie im Kirchenvorstand und haben den ein oder anderen Reparaturauftrag trotz Ausschreibungspflicht an einen Bekannten vergeben. Ein Mann Ihres Vertrauens natürlich, es geht schließlich nicht nur um Kosten, sondern um Qualität. Und außerdem machen die in Politik und Verwaltung das doch ganz genauso; kommt ja immer wieder raus: Beratertätigkeit des Cousins, PR-Kampagne durch die Großtante – und die macht das ja auch gut. Nur sollte das Vergabeverfahren nicht wirklich gründlich durchleuchtet werden.
Aber das Leben besteht ja nicht nur aus Arbeit. Wie sieht es zum Beispiel aus mit dem Liebesleben? Ich erinnere mich an meinen Professor für Moraltheologie, damals im Studium. Es ging um den sogenannten außerehelichen Geschlechtsverkehr, wie es im Kirchensprech so schön heißt. Ist der Sünde? Immer und grundsätzlich? Denn dass Paare unverheiratet zusammenzogen, war schließlich auch damals schon gang und gäbe; „Ehe auf Probe“ hieß das, Sie erinnern sich?
Jedenfalls ist mir das Hauptkriterium meines Professors immer in Erinnerung geblieben: Sex sei nur dann moralisch akzeptabel, sagte er, wenn man sich mit seinem Partner oder seiner Partnerin auch im Hellen sehen ließe, wenn die Beziehung das Licht nicht scheut, sondern öffentlich ist. Heimliche Liebschaften, bei denen man sich im Dunkeln in Hotels schleicht in der Hoffnung, dass es keiner sieht – die gehören nicht dazu. Die junge Liebe, von der Freunde, Familien und überhaupt alle wissen, schon. Und nur nebenbei: Genau deshalb ist es wichtig und richtig, dass homosexuelle Paare heute offen und sichtbar zueinander stehen können und nicht mehr in dunkle Ecken abgedrängt werden; auch sie haben das Recht, Kinder des Lichts zu sein.
Das wird Ihnen jetzt doch zu privat? Gut, schauen wir auf alltäglichere Dinge. Zum Beispiel auf das Gerede über Nachbarn, Bekannte, Kollegen, den Sohn von X oder die Schwiegertochter von Y. Haben Sie schon gehört, was der oder die ... Nein, offen darüber reden tun Sie natürlich nicht, aber hinter vorgehaltener Hand schon. Sagen Sie aber nicht weiter, dass Sie das von mir haben, das muss unter uns bleiben. Genauso wie bei den Jüngeren die anonymen Beleidigungen im Internet oder die im Dunklen gesprühten Hassparolen. Alles Werke der Finsternis, die, wie der Epheserbrief sagt, „keine Frucht bringen“.
Womit wir bei der zweiten Mahnung des Briefes wären, die tatsächlich nicht viel leichter umzusetzen ist. Denn dort heißt es, dass Christen sich nicht nur selbst fernhalten sollen von Werken der Finsternis, sondern diese aufdecken müssen, damit Licht an die Sache kommt – und sei sie noch so unangenehm.
Aber wer will das schon: eine finstere Angelegenheit aufdecken. Besser, man hält sich raus, was geht es mich letztlich an, sollen sich doch andere den Ärger einhandeln, ich behalte mein Wissen besser für mich.
Genau diese Logik ist es, die zum massenhaften Missbrauch von Kindern führte – in der Kirche und außerhalb. Unter dieser Logik leiden Kinder, die von ihren Eltern geschlagen werden und deren Nachbarn oder Lehrer sich raushalten. Diese Logik brachte Massenmorde wie die von Nils Högel hervor. Bloß nichts sagen, sonst stehe am Ende ich am Pranger; der Pfarrer ist doch so beliebt im Ort, der schlagende Vater ist Chef von unserem Sohn, und ich kann doch unser Krankenhaus nicht in einen öffentlichen Skandal verwickeln.
Öffentlicher Auftrag statt privates Geschenk
Der Epheserbrief ist aber ganz klar in seiner Aussage: „Habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, deckt sie vielmehr auf!“ Und warum? Weil ihr „Licht im Herrn“ seid. Klingt lyrisch, meint aber: Durch die Taufe ist Christus euer Licht geworden, und das nicht nur als privates Geschenk an euch, sondern als öffentlicher Auftrag, als Verpflichtung, Licht in die Welt zu bringen. Auch dorthin, wo man alles eigentlich lieber im Dunkeln lassen würde.
Unrecht ans Licht bringen, durchleuchten, erhellen, einen Scheinwerfer darauf richten, sich dem Licht der Öffentlichkeit aussetzen. Und sich fragen, wann und was man selbst lieber im Dunkeln ließe und ob das so richtig ist: ein unbequemer, aber passender biblischer Auftrag für die Fastenzeit.
Susanne Haverkamp