Georg Dinter aus Königs Wusterhausen

Links, katholisch, heimatverbunden

Georg Dinter im Jugendzentrum proFete

Foto: Stefan Schilde

Dem katholischen Jugendzentrum proFete ist Georg Dinter noch heute eng verbunden.

Georg Dinter ist noch nie lange aus seinem brandenburgischen Heimatort Königs Wusterhausen herausgekommen. Er hat dort alles, was ihm wichtig ist:die Arbeit, die Leute, die Kirchengemeinde.

Nein, nicht jede Leidenschaft wird vererbt. Georg Dinter weiß das. Sein Großvater, der bekannte DDR-Radrennfahrer Paul Dinter, sei ihm ein großes Vorbild gewesen, erzählt der Enkel: „Zugleich war es eine Bürde, die man mit dem Namen trägt. Man wird überall darauf angesprochen.“ Er selbst mochte den Radsport nicht so sehr. „Meinem Opa zuliebe bin ich noch ein bisschen gefahren, aber mehr auch nicht.“

Dafür führt der 47-Jährige das Vermächtnis seines Großvaters auf andere Weise fort. Denn auch Georg Dinter ist in der Gegend um Königs Wusterhausen, von den Einheimischen KW genannt, tief verwurzelt. Hier ist er zur Schule gegangen, hat geheiratet und drei Söhne bekommen.

Seine Pfarrgemeinde St. Elisabeth war für ihn stets zweite Heimat: „Es war alles sehr familiär, jeder kannte jeden.“ Seine Mutter sorgte bei seiner Schulleitung dafür, dass er nicht zu den Pionieren musste und dass die schulischen Wehrsportübungen an ihm vorübergingen.

Im Teenager-Alter, als das DDR-System sich immer mehr auflöste, begann er, sich politisch zu interessieren. „Dank meiner Mutter habe ich die Montagsdemos in KW sehr bewusst wahrgenommen. Es war eine aufregende Zeit“, sagt Dinter. Im Nachhinein betrachtet, habe sich „die katholische Kirche ein bisschen zu sehr weggeduckt“, findet er. Die evangelischen Christen seien da aktiver gewesen.

Ins Schwärmen gerät Dinter, als er über die Zeit nach dem Mauerfall erzählt. Damals habe sich in der Kirchengemeinde eine „unfassbar engagierte Jugend“ herausgebildet. Er erinnert sich an abenteuerliche Reisen mit dem Gelenkbus nach Rom, nach Budapest, nach Prag. Zunächst traf sich die Gemeindejugend in einer alten Baracke, die früher in FDJ-Hand war. Der „Dunstkreis“ bestand nicht nur aus Katholiken, denn auch in Königs Wusterhausen hatte sich in den 1990er Jahren eine linke Szene gebildet. „Von diesem Umfeld bin ich geprägt geworden“, sagt Dinter.

Rockkonzerte im katholischen Jugendzentrum

Zweimal kam die örtliche Neonazijugend mit Stöcken bewaffnet vorbei, zerschlug Inventar, drohte mit Prügel. Danach zog der damalige Pfarrer die Reißleine. Auf dem Pfarrgelände entstand ein neues einstöckiges Gebäude: die Geburtsstunde des katholischen Jugendzentrums proFete.

In den Folgejahren stellten Georg Dinter und seine Mitstreiter vieles auf die Beine – und zogen nicht nur Christen an. Zur „Flotten Notte“, der Floßparade auf dem Nottekanal, bei dem Dinter als Teil der Jury die kreativsten Flöße auserkor, kamen über 3000 Leute. Ebenfalls fest zum proFete-Leben gehörten Rock-Konzerte, auch mit durchaus prominenten Namen. Nur einmal gab es Ärger, als eine Metalband sich einen Scherz erlauben und das an der Wand hängende Kreuz umdrehen wollte. „Ich war kurz davor, die Veranstaltung abzubrechen. Zum Glück haben sie sich danach wieder benommen“, sagt Dinter.

Auch bei der jährlichen Höfenacht, in der in Königs Wusterhausens Hinterhöfen Kulturveranstaltungen stattfinden, war proFete mit von der Partie. „Lasst uns doch mal die Kirche aufmachen“, schlug einmal einer vor – und sie hätten sich nicht retten können vor neugierigen Fragen: „Das ist katholisch?“ Mit solchen niederschwelligen Aktionen will Dinter nach außen deutlich machen: „Wir Katholiken, wir Christen sind nicht von einem anderen Stern, sondern wir haben halt den Herrn im Gepäck.“ Viele Leute wüssten gar nicht, wie viel Positives „der liebe Gott“ in ihr Leben bringen könne.

Auch in seinem Beruf möchte Dinter mit seinen Mitmenschen ins Gespräch kommen. Der gelernte Orthopädietechniker ist Mitinhaber bei einem Produzenten von Arm- und Beinprothesen. Seinen Beruf sieht er als „Mischung aus Handwerk, Medizin und Seelsorge“, denn Dinter will ganzheitlich für seine Patienten da sein: „Viele haben harte Schicksalsschläge erlebt und wenige Bezugspersonen. Ich versuche, mit ihnen zu schauen: Wie könnten wir ein bisschen mehr Sonne ins Leben hineinbringen?“

"Ich schließe Sie heute ins Abendgebet ein."

Bei seinen Bemühungen, sagt er, helfe ihm seine christliche Erziehung: „Ich denke mir: Vielleicht will dir Jesus in diesem Menschen begegnen. In sehr persönlichen Gesprächen frage ich schon mal nach: ‚Wenn Sie so allein sind, gibt es da jemand anderes, der in Ihrem Leben ein Fundament ist?‘“ Überhaupt nicht, laute meistens die Antwort. „Dann sage ich: ‚Ich schließe Sie heute ins Abendgebet ein.‘“ Die meisten reagierten dann freudig überrascht.

Manchmal seien es auch die ganz kleinen Gesten. Einer jungen Frau, deren Partner gerade verstorben sei, habe er einen Schutzengel auf den Nachttisch gelegt: „Später hat sie mir erzählt, dass sie den jetzt immer dabeihat und er ihr Mut macht.“

Die derzeitige politische Entwicklung bereitet Dinter Sorge. Als er letztens in Thüringen unterwegs war, habe er nur die AfD wahrgenommen. Er befürchtet, dass die Partei mit ihren Parolen Anklang auch bei Katholiken findet: „Ich sehe die Gefahr, dass Rechte bei uns offene Türen einrennen, wenn sie behaupten, das christliche Abendland schützen zu wollen.“

Wenn ihm alles zu viel wird, hat Georg Dinter Orte, die ihm Kraft geben. So nimmt er sich jedes Jahr eine Auszeit in einem Kloster: „Dort bin ich mit meinem lieben Gott allein. Sonst würde ich all das gar nicht überstehen.“

Neue Energie verleihen ihm auch seine Reisen nach Irland. Die Atlantikküste entlang, zu Fuß mit dem Rucksack oder mit dem Rad. Natürlich besucht er auch Gottesdienste: „Egal, wo: Ich suche mir eigentlich immer eine heilige Messe. Das ist für mich ein Ankommen.“

Stefan Schilde