Persönliche Autobiografie von Papst Franziskus
Mama, Papa, ich
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Foto: picture alliance/AP Photo
Die Familie Bergoglio in Buenos Aires: Die Geschwister Maria Elena, Alberto Harcio, Jorge Mario, Oscar Adrian und Marta mit ihrem Ehemann Enrique (v.l.n.r.) stehen hinter dem Sofa. Ihre Eltern Regina und Mario Jose und die Großeltern Maria und Juan sitzen.
Es ist ein Schlüsselsatz, weil die Formulierung so viel über Papst Franziskus aussagt: „So lernte Papa schließlich die Mama kennen.“ Immer wieder ist in seiner 384 Seiten starken Autobiografie „Hoffe“ von Mama und Papa die Rede. Die Liebe seiner Eltern, die Familie, die Kindheit und Jugend in Buenos Aires haben den 88 Jahre alten Jorge Mario Bergoglio tief geprägt.
1929 wanderten seine Großeltern mit seinem Vater aus Italien aus. Zwei Jahre vorher mussten sie bereits gekaufte Tickets wieder verkaufen, weil ihre Vorbereitungen noch nicht weit genug gediehen waren. Das Schiff, mit dem sie nach Argentinien reisen wollten, sank. Viele Migranten ertranken im Meer. Ein Zufall, dass die Familie Bergoglio nicht unter ihnen war. Zwei Jahre später kamen sie in Buenos Aires an. Als mittellose Einwanderer. Deshalb, so führt der Papst aus, habe ihn seine erste Reise im Amt nach Lampedusa geführt. „Auch ich komme aus einer Migrantenfamilie“, schreibt er. „Auch ich hätte zu den Ausgeschlossenen von heute gehören können, daher trage ich im Herzen immer diese eine Frage: Warum sie und nicht ich?“
Wenige Jahre nach der Ankunft der Großeltern war in der Wirtschaftskrise das Unternehmen eines Großonkels des Papstes bankrott. Die gesamte Familie stand zum zweiten Mal vor einem Neuanfang in Argentinien. Der Papst kennt die Not der kleinen Leute also aus eigener Erfahrung nur zu gut. Doch er erlebte vor allem eine schöne und behütete Kindheit. Er war das erste von fünf Kindern. Seine Oma Rosa kümmerte sich oft um den Ältesten. Mit dem Vater gingen die Kinder zum Fußball, die Mutter brachte ihnen Opern nahe. „Alle Frauen meiner Familie hatten einen energischen Ton am Leib. Sie waren alle stark und hätten unterschiedlicher nicht sein können“, schreibt der Papst. Das dürfte sein Frauenbild geprägt haben. In der Familie sei ihm selbstverständlich „ein nicht verurteilender Blick“ vorgelebt worden. So sei es in seiner Kindheit normal gewesen, „mit den eher unüblichen Familien von Getrennten oder Geschiedenen oder mit Andersgläubigen keinen Umgang zu pflegen. Meine Mama und mein Papa aber, der bei seiner Arbeit auch solche Menschen kennenlernte, pflegten zu allen gute Beziehungen.“
Diese Offenheit habe 2023 seiner Erklärung über die Segnung von „irregulären Paaren“, also etwa homosexuellen, geprägt: „Man segnet schließlich Menschen, keine Beziehungen.“
„Es gibt keinen intelligenten Krieg. Krieg ist immer dumm“
Seine Oma Rosa nennt der Papst eine „Alltagsheilige“, die „zum Schwerpunkt meiner Kindheit, zu einem der Eckpfeiler meines Daseins“ wurde. Von diesen Alltagsheiligen ist oft die Rede – ganz normale Menschen, einfache Priester, Ordensfrauen. Sie sind für Franziskus das Gesicht der Kirche.
In dem Viertel, in dem Jose Mario Bergoglio aufwuchs, lebte er mit anderen Migranten, mit Juden und Muslimen. Er berichtet auch von Frauen, die sich prostituierten: „So habe ich schon als Kind die düsteren und mühseligen Seiten des Daseins kennengelernt.“
Immer wieder kommt der Papst in der Autobiografie auf den Krieg zu sprechen. Sein Großvater kämpfte im Ersten Weltkrieg. Er „hat mir die Schrecken des Krieges geschildert, den Schmerz, die Angst, die absurde und unabweisbare Sinnlosigkeit des Krieges“. In geharnischten Worten wettert der Papst gegen jede Art von Gewalt: „Es gibt keinen intelligenten Krieg: Kriege bringen nur Elend und Not, Waffen nichts weiter als den Tod. Krieg ist immer dumm.“
Als er 2014 den größten italienischen Soldatenfriedhof mit mehr als 100 000 Gefallenen aus dem Ersten Weltkrieg besuchte, musste er an seinen Großvater denken: „An jenem Tag in Redipuglia weinte ich. Das Gleiche geschah mir, als ich 2017 den amerikanischen Soldatenfriedhof in Nettuno besuchte und durch eine geradezu endlose Ebene mit weißen Kreuzen ging.“ Für den Papst ist klar: „Krieg ist nur ein Wahnsinn, der die Händler des Todes mästet und die Unschuldigen dafür bezahlen lässt. Würde man ein ganzes Jahr lang keine Waffen produzieren, könnte man den Hunger in der Welt ein für alle Mal besiegen.“
„Du weißt ja, dass ich einigermaßen zimperlich bin“
Doch der Papst blickt in seiner Autobiografie auch in die Zukunft. So kündigt er an, nicht im Petersdom begraben zu werden, sondern in seiner römischen Lieblingskirche Santa Maria Maggiore: „Der Vatikan ist mein letzter Arbeitsplatz auf Erden, aber nicht der Wohnort für die Ewigkeit.“ Und passend zu seinen Entscheidungen, auf allzu prächtige Papst-Insignien wie ein neues Goldkreuz zu verzichten, will er auch seine Beerdigung bescheidener: „Die bisherige Bestattungszeremonie war recht pompös, daher habe ich mit dem Zeremoniar gesprochen, um sie zu vereinfachen.“ So werde auf die Zeremonie zum Verschließen des Sarges verzichtet, auch soll es keine drei Särge mehr geben.
Und auch zum Sterben äußert sich der Papst: Er „habe den Herrn doch ein weiteres Mal um seine Gnade gebeten: Nimm Dich meiner an. Es geschehe, wann immer Du willst. Aber Du weißt ja, dass ich einigermaßen zimperlich bin, was körperliche Schmerzen angeht … Also bitte, mach, dass es nicht allzu wehtut.“