Kloster Haydau bei Kassel
Mauern, die alles gesehen haben
Foto: Ruth Lehnen
Der heilige Bonifatius war hier, die heilige Elisabeth wahrscheinlich auch. Es gab Blütezeiten wie jetzt gerade, wenn die Rosen im Klosterpark alles geben, es gab schlimme Zeiten, Zerstörungen, Verfall. Kloster Haydau war Zisterzienserinnenkloster, war Wallfahrtsort, war Jagdschloss und landgräfliches Gut, war Staatsdomäne mit Speichern und Schafställen. Im Zweiten Weltkrieg gab es hier ein Arbeitsdienstlager. Auch Kriegsgefangene wurden hier untergebracht. Als Kassel im Oktober 1943 bombardiert wurde, nahmen die Mauern die Geflohenen auf.
1945 wurde hier Branntwein produziert, später wurde das Kloster zur Chemikalienhandlung. August Heinzerling bewies Unternehmergeist und produzierte im Kloster Haydau seinen „Rührfix“, einen handbetriebenen Mixer, der in der Nachkriegszeit mehr als acht Millionen Mal weltweit verkauft wurde. Das Herrenhaus war auch Rathaus und Standesamt. Um 1985 stand das Kloster vor dem Aus. Doch anstelle des Totalzerfalls kam eine Rettungsaktion, auch dank der Unternehmerfamilie B.Braun aus Melsungen. 2023 präsentiert sich Kloster Haydau wiederhergestellt und neu belebt. Nach der Pandemie gibt es wieder Kulturveranstaltungen, die Radfahrer machen Station und das Hotel Kloster Haydau zieht Seminargäste und Brautpaare an, die sich das schöne Ambiente etwas kosten lassen.
Waltraut Schmelz wohnt in Neumorschen, und muss, um zum Kloster in Altmorschen zu kommen, die Fulda überqueren. Das tut die 79-Jährige gern und oft, denn es zieht sie an die Arbeit. Schmelz hält als Rosenfreundin die Rosenfreunde zusammen, die in dem weitläufigen Park die Rabatten pflegen. 27 Aktive im Alter von 28 bis 86 Jahren engagieren sich ehrenamtlich für den herrlichen Garten, in dem es Laubengänge, Obstgärten, Rosen, uralte Pyramideneichen und eine 400 Jahre alte Linde gibt. In den Wasserbecken schwimmen Fische und seit neuestem auch Seerosen. Waltraut Schmelz war früher Standesbeamtin und lud die frisch getrauten Ehepaare ein, einen Rosenstock spenden und auch gleich einzupflanzen. Für die Paare eine schöne Erinnerung, für Kloster Haydau eine Zierde, so wird’s heute noch gemacht – eine Idee, die viele Blüten hervorbringt. Das Kloster und sein Park sind für Waltraut Schmelz eine Bereicherung, vor allem die Begegnungen mit den vielen Menschen, die hier auf Entdeckungs- und Entspannungsreise gehen.
Damit sie verstehen, was sie sehen, können Besucher eine Führung in den alten Mauern buchen. Dann kommt Bernd Stoklasa zum Zug, dessen Lieblingsort die Klosterkirche ist. Hier erklärt er Konfirmanden, wie oft die Zisterzienserinnen gebetet haben und warum sie auf ihrer Nonnenempore saßen. Stoklasa als ehrenamtlicher Kirchenführer möchte, dass der spirituelle Kern der Anlage verstanden wird, auch wenn die Klos-terzeit des Klosters aufs Ganze gesehen eher kurz war: Erste Überlieferungen sprechen von einer Kapelle 1235, und im Jahr 1527 wurde das Kloster aufgelöst. Etwas weniger als 300 Jahre von seiner mehr als 800 Jahre alten Geschichte gab es in Haydau ein Kloster.
Bernd Stoklasa hat Schlüsselgewalt, und kann Besuchern die schönen Kreuzrippengewölbe im Refektorium zeigen. Er führt auch zum stark veränderten Kreuzgang, wo in die Spitzbögenarkaden Fensterbrüstungen eingebaut wurden – unten im Keller zeigt er Reste des alten Maßwerks.
Jeder Gedanke an Verluste und düstere Zeiten schwindet aber beim Betreten des Innenhofs. Rund um den neugestalteten Brunnen öffnet sich ein Freiluftzimmer mit Blicken aufs Fachwerk, auf Turm und Gemäuer. Hier wachsen Kräuter, angenehmer Schatten kühlt und blaue Schmucklilien wachsen in Kübeln.
Moritz dem Gelehrten, der von 1592 bis 1627 als Landgraf von Hessen-Kassel regierte, verdankt das Kloster den Engelsaal, der im Obergeschoss als Fest-, Speise- und Billardsaal des Schlosses diente. Seit 1616 wölbt sich hier eine Holztonnendecke, bemalt mit einem Abendhimmel, mit Sternen und Wolken, aus denen Engel hervorlächeln, einer hübscher und lieblicher als der andere. In diesem Saal, in dem heute Hochzeiten stattfinden, waren seinerzeit Kriegsgefangene untergebracht und ritzten ihre Namen in den Alabaster des Prachtkamins – Kloster Haydau ist ein Ort der Gegensätze, wo das Schöne gesiegt hat – jedenfalls bis heute.
Tipp I: Offenes Denkmal
Bei zahlreichen Veranstaltungen wie den Jazz-Frühstücken, Konzerten, Lesungen wird das ehemalige Kloster zum offenen Denkmal. Unter dem Titel „Frauengespäche“ werden Frauen wie zuletzt Bischöfin Beate Hofmann zum Vortrag eingeladen. In der Klosterkirche wird regelmäßig evangelischer Gottesdienst gefeiert. Beim Tag des offenen Denkmals am 10. September 2023 werden Führungen in Kloster Haydau angeboten: um 11 und 14 Uhr. Treffpunkt ist der Platz vor der Klosterkirche. (nen)
Förderverein Kloster Haydau e. V., In der Haydau 6, 34326 Morschen, Telefon: 05664/939100; E-Mail: info@kloster-haydau.de
Tipp II: Bauernbarockkirche Ronshausen
Ein Erlebnis ist der Besuch der kleinen „Bauernbarockkirche“ in Ronshausen in der Nähe von Bebra. Dort können Besucher, wie auch im Engelsaal von Kloster Haydau, einen Blick in den von Engeln bevölkerten Himmel werfen. Die evangelische Kirche mit den doppelten Emporen wurde von 1715 bis 1719 umgestaltet. Wer den Kopf hebt, erkennt eine lachende Sonne, umschwärmt von musizierenden Engeln, die an naive Malerei erinnern. An den Emporen zum Beispiel Adam und Eva und der „Gute Hirt“. Täglich von 10 bis 16 Uhr geöffnet.
Im Kirchtal 10, 36217 Ronshausen
Telefon: 06622/ 7402