Christliche Arbeitsethik

Mehr als Broterwerb

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Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen: ein entscheidender Satz für die christliche Arbeitsethik. Der katholische Sozialethiker Bernhard Emunds sagt: Eins zu eins kann man den antiken Text nicht auf unsere Zeit übertragen.

Foto: istockphoto/Getty images/Michael Utech
Wer hart arbeitet, hat sich seine Mittagspause redlich verdient. Wer nicht arbeitet, auch? Foto: Istockphoto/Getty Images/Michael Utech


Professor Emunds, in der Lesung heißt es: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ Gibt es aus christlicher Sicht eine Pflicht zur Arbeit?

Wichtig ist, den Kontext zu beachten und nicht einzelne Sätze in die Gegenwart zu zerren. Wir haben es hier mit Gemeinden zu tun, in denen Wanderprediger zu Gast sind und sich lange Zeit „durchfüttern“ lassen. Das geschieht in der aufgeheizten Naherwartung, dass Jesus Christus jeden Moment wiederkommt. In dieser Situation hält der Autor des Briefes das Arbeitsethos hoch. Und wichtiger noch ist der kulturelle Kontext.
 
Und welcher ist das?
Das kulturell dominante Rollenmodell in der Antike ist der reiche männliche Vollbürger, der nicht selber arbeitet, sondern für sich arbeiten lässt. Dieser Vollbürger hat Zeit für Politik, Zeit, um nachzudenken über Gott und die Welt. Das frühe Christentum setzt dieser Oberschichtenmoral die Moral der kleinen Leute entgegen, der Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden, die nicht andere für sich arbeiten lassen, sondern selber arbeiten.
 
Welches Rollenmodell dominiert heute?
Heute haben wir eine Arbeitsgesellschaft, die rund um die Erwerbsarbeit aufgebaut ist. Das heutige Rollenmodell sind der Karrieremann und die Karrierefrau, bei denen der Beruf im Mittelpunkt steht und die effizient den Alltag um diese Arbeit herum organisieren. Dieses Modell ist sehr einseitig. Davon müssen wir wegkommen.
 
Welchen Sinn hat die Arbeit aus biblischer Sicht?
Im Judentum ist Gott selbst jemand, der im Garten Eden tätig ist. Er arbeitet in dem Sinne, dass er den Garten bebaut und gestaltet. Im biblischen Ethos gehört das Arbeiten zum erfüllten Menschsein dazu. Arbeiten im Sinne von tätig sein, kreativ sein, pflegen. Es geht darum, das zu pflegen, zu umsorgen, zu erhalten, was Gott uns geschenkt hat. Bei diesem Verständnis geht es aber nicht zuerst um den Erwerb von Geld. Deshalb dürfen wir dieses biblische Lob der Arbeit nicht einfach auf die Gegenwart übertragen. In unserer Arbeitsgesellschaft verstehen wir unter Arbeit sofort Erwerbsarbeit. Und die steht in unserer Gesellschaft im Mittelpunkt. 
 
Und das entspricht nicht der biblischen Botschaft?
Nein, es geht erstens um ein umfassenderes Verständnis von Tätigkeit. Das ist eben nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern auch die Sorgearbeit in der Familie. Das ist ein umfassendes Verständnis, das uns abhandengekommen ist. Aber Sorgearbeit gehört zum Leben des Menschen dazu – zum Leben eben nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern! Zweitens betont die Bibel die Muße. Gott vollendet die Schöpfung am siebten Tag: mit einem Tag der Ruhe! Wir müssen heute Erwerbsarbeit, Sorgearbeit und auch zweckfreie Muße und Kreativität in eine neue Balance bringen.
 
Aber im biblischen Text schreibt der Autor, dass er sich Tag und Nacht geplagt hat. Das ist doch keine Work-Life-Balance.
Im antiken Rollenmodell geht es darum, dass andere für einen Vollbürger aus der Oberschicht arbeiten. Sklaven übernehmen die Arbeit. Wenn wir heute unsere Work-Life-Balance dadurch sichern, dass wir im Haushalt Migrantinnen schwarz beschäftigen, etwa in der sogenannten 24-Stunden-Pflege, dann gleichen wir dem reichen antiken Vollbürger. Wir lassen andere unter sehr schlechten Bedingungen für uns arbeiten. Darin kann man eine aktuelle kritische Spitze des Lobs der Arbeit im Lesungstext sehen.
 
Foto: Nell-Breuning-Institut/Felix Schmitt
Bernhard Emunds ist Professor für Christliche
Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an
der Hochschule Sankt Georgen.
Foto: Nell-Breuning-Institut/Felix Schmitt

Das ordentliche Leben, von dem die Bibel spricht, heißt also, dass man nicht auf Kosten anderer lebt?

So kann man das übertragen: Ich sorge selbst für mein Leben und das der Meinen. Ich lasse mich nicht von anderen versorgen, die als Dienstboten elend für mich schuften müssen. Der Text richtet sich nicht gegen Arbeitslose, weil sie nicht erwerbstätig sind. Dieses Missverständnis liegt natürlich nahe, wenn man ihn in einer Arbeitsgesellschaft liest.
 
Was ist mit denen, die nicht arbeiten?
Dieser Text ist dazu benutzt worden, Arbeitslose zu kritisieren und unter Druck zu setzen, sie auch in Erwerbsarbeit zu miserablen Bedingungen zu zwingen. Das ist nicht die biblische Intention, sondern etwas Neuzeitliches. Geschichtlich hat das mit dem protestantischen Arbeitsethos zu tun. Dessen Entstehung war verbunden mit einem wichtigen Durchbruch in der Theologiegeschichte: Luther erkannte, dass es keinen höheren Gnadenstand der Priester oder der Ordensleute im Unterschied zu den Laien gibt: Da, wo Gott uns in den Alltag gestellt hat, da üben wir durch unsere Tätigkeiten Dienst am Nächsten und damit an Gott. Luther nannte das „Beruf“. Das Wort wurde dann später auf die Erwerbsarbeit verengt und diese damit massiv aufgewertet. 
 
Was wäre ein zeitgemäßes christliches Arbeitsethos?
Heute haben wir eine enorme Steigerung der Arbeitsproduktivität. Ökologisch stoßen wir an die Grenzen der Ausdehnung der Güter. Es wird immer problematischer, dass diese Güterwirtschaft immer weiter expandiert und wir immer mehr produzieren. Wir können die steigende Produktivität aber auch dazu nutzen, Arbeitszeiten zu verkürzen. Wir können und müssen dazu kommen, dass die Menschen weniger arbeiten. Diejenigen, die weniger arbeiten, es insgesamt etwas ruhiger angehen lassen, sind heute die Avantgarde.
 
Interview: Ulrich Waschki