Patricia Kelly entdeckte ihren Glauben in Schriften von Thérèse von Lisieux
"Meine Mission ist es zu singen"
Foto: imago/Frank Peter
Ein Foto zeigt eine junge Frau auf einer Bühne. Sie hebt ihre Hand, als würde sie die Menschenmenge vor ihr dirigieren. Ihre Augen funkeln. Wie muss es sich anfühlen, auf einer Bühne zu stehen und in ein Meer von Menschen zu schauen, die einem zujubeln?
Patricia Kelly kennt dieses Gefühl zu gut. „Es war immer unser Traum, irgendwann in einem vollen Stadion zu singen“, sagt die 53-Jährige heute, fast 30 Jahre später. Als Mitglied der Kelly Family wurde sie berühmt und tourte mit ihrer Familie durch die ganze Welt.
Aufgewachsen ist sie in einem kleinen spanischen Dorf ohne Strom und fließendes Wasser. „Es waren sehr einfache Verhältnisse“, erzählt sie, „aber meine Kindheit war ein Traum.“ Die Vorfahren ihrer Mutter Barbara-Ann gehörten den Amish People an, einer strengen, protestantischen Glaubensgemeinschaft. Vater Dan war Katholik und tief im Glauben verwurzelt. Gemeinsam bekamen sie acht Kinder.
Bei einer Reise nach Rom wurde der VW-Bus der Familie ausgeraubt. Übrig blieben nur die Musikinstrumente der Familie. Die Kellys machten daraufhin das, was sie schon in Spanien immer gemacht hatten: Sie sangen – und das mit Erfolg. Die Menschen kamen in Scharen. Patricia Kelly erinnert sich, dass sie sich als kleines Mädchen gefragt habe, warum so viele Menschen bei ihren Auftritten weinen würden. Ihre Mutter habe ihr gesagt: „Weil sich ihre Herzen öffnen!“
Die Kellys tourten durch ganz Europa. „Das war eine wunderbare Zeit“, sagt Patricia Kelly mit einem Lächeln. Schon damals bekamen sie Angebote von Plattenfirmen, doch Vater Dan war skeptisch. Um seine Kinder nicht zu gefährden, lehnte er ab. Als Barbara-Ann mit ihrem jüngsten Sohn Angelo schwanger war, erfuhr sie, dass sie Brustkrebs hat. Ärzte rieten ihr, das Kind abzutreiben, um frühzeitig mit einer Chemotherapie anfangen zu können, doch sie lehnte ab. Die Familie reiste zurück nach Spanien, wo Angelo zur Welt kam. Ein Jahr später erlag Barbara-Ann ihrer Krankheit.
Patricia Kelly wirkt noch heute tief ergriffen, wenn sie davon erzählt: „Meine Mutter starb in Würde. Sie starb im Glauben. Es gab keine Verzweiflung. In ihr war ein Feuer und sie hat uns dieses Feuer gegeben.“ Ihre letzten Worte seien gewesen: „Keep on singing“ – Singt weiter! „Das haben wir dann gemacht.“
Ganz so einfach war das aber nicht. Der Vater stürzte nach dem Tod seiner Frau in eine Depression und ertränkte seine Verzweiflung in Alkohol. Alle finanziellen Mittel wurden aufgebraucht. Die Kinder sangen auf den Straßen, um Geld zu verdienen. „Das war eine harte Zeit, aber irgendwie war ich mir immer sicher, dass schon alles gut werden wird. Ich wusste, Mama ist da. Sie passt auf uns auf“, sagt Patricia Kelly.
1989 erwarb Vater Dan ein Hausboot als Wohnsitz für die Familie. Patricia Kelly übernahm die Organisation, handelte Verträge aus und sorgte dafür, dass die Familie genügend Geld verdiente. „Ich habe gar nicht schlecht verhandelt“, sagt sie heute: „Ich kann zwar nicht gut für mich kämpfen, aber für meine Familie schon.“
Mitte der 1990er Jahre feierten die Kellys mit „An Angel“ ihren Durchbruch. Bei ihrem ersten Konzert in einem Stadion war sie krank. Sie erzählt, ihre älteste Schwester Kathy habe sie angerufen und ins Telefon gerufen: „Patricia, hörst du das?“ Als sie die kreischende Menge gehört habe, habe sie angefangen zu weinen.
Das Leben der Familie veränderte sich schlagartig: Millionen verkaufter Platten, Preise, Welttourneen, Massen von Fans. „Doch das Beeindruckendste waren die Briefe. Uns schrieben Tausende Menschen.“ Die Briefe seien oft traurig gewesen, geschrieben von Menschen, die durch ihre Musik Kraft und Hoffnung in schweren Zeiten gefunden hatten.
„Ich wusste, das ist die Wahrheit“
Patricia Kelly war zu dieser Zeit nicht nur Sängerin, sondern Leiterin des gesamten Teams. Das verlangte letztlich seinen Preis. Ein Burnout und eine Rückenmarkentzündung zwangen sie, mit der Musik aufzuhören. Nach dem Tod des Vaters im August 2002 löste sich die Band auf. In dieser Zeit fing Patricia Kelly wieder an zu beten. Weil ihr die Bibel zu komplex war, begann sie, Bücher von Thérèse von Lisieux zu lesen, und verschlang deren gesamtes Werk. „Ich wusste, das ist die Wahrheit“, erzählt sie. In Lisieux’ Werken habe sie das Feuer wiedergefunden, das sie von ihrer Mutter kannte.
Als sie wieder gesund war, beschloss sie, ins Kloster einzutreten. Davon sei ihre Familie aber nicht begeistert gewesen: „Meine Brüder schleppten einen Mann nach dem anderen an, aber die wollte ich alle nicht.“ Als sie Denis Sawinkin kennenlernte, war es um sie geschehen. Seit über 20 Jahren sind sie verheiratet. Trotzdem fühle sie manchmal eine große Sehnsucht. In der Nähe von Ordensschwestern zu sein, sei für sie immer noch sehr besonders. Sie ist der festen Überzeugung, dass jeder Mensch eine von Gott gegebene Aufgabe hat: „Meine Mission ist es zu singen. Aber die der Schwestern ist viel größer.“
Nachdem sich die Familienband getrennt hatte, veröffentlichte Kelly Soloalben. 2009 traf sie der nächste Schicksalsschlag: Sie erkrankte an Brustkrebs. Eine Brust musste amputiert werden, doch sie erholte sich wieder. „Mein Mann hat mich durch diese Zeit getragen. Ich weiß nicht, wo ich ohne ihn heute wäre.“ Sie sang weiter, ging mit sechs Geschwistern in neuer Konstellation auf Tour.
2021 stellte das Schicksal sie erneut auf die Probe: Nach einer coronabedingten Lungenentzündung lag sie auf der Intensivstation. Im gleichen Jahr starb ihre Schwester Barby. Ohne ihren Glauben hätte sie diese Zeit nicht überstanden, sagt Patricia Kelly. Trotz der Tiefschläge habe sie nie an Gott gezweifelt: „Mit dem Glauben ist es wie mit einer Beziehung. Es gibt Höhen und Tiefen. Der Glaube ist nicht perfekt.“ Man müsse sich aktiv immer wieder dafür entscheiden und sich um den Glauben kümmern. Orte könnten dabei helfen: „Eine Kirche, die mich berührt, kann mich tragen, kann mir im Gebet und im Glauben helfen.“ Seit zehn Jahren macht sich Patricia Kelly auch für das Hilfswerk missio stark. Dort hat sie das gefunden, was ihr das Showbusiness nie geben konnte: „Ich weiß, dass dort mein Zuhause ist.“