Christen erleben im Heiligen Land Hass und Gewalt

Minderheit in Gefahr

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Christen im Heiligen Land erleben zunehmend Hass und Gewalt. Die Ursache sehen Kirchenführer im aggressiven Ton von Israels Regierung. Sie will die Gewaltenteilung abschaffen und hat das Land in eine Krise gestürzt.

Foto: kna/Andrea Krogmann
Besinnung im Protest: Die reformjüdische Bewegung lädt in Jerusalem zum Mittagsgebet während einer Demonstration gegen die geplante Justizreform ein. Foto: kna/Andrea Krogmann

500 katholische Schüler drängten sich am 24. März über die Via Dolorosa in der Jerusalemer Altstadt, um die 14 Stationen des Leidenswegs Jesu von seiner Verurteilung bis zur Kreuzigung und zum Grab nachzugehen. Die Initiative der Heiligland-Franziskaner vor der Heiligen Woche gibt es seit langem, doch diesmal erinnern die jungen Christen an noch etwas: Rote Schals, auf ihnen das Bild einer verstümmelten Christusfigur, stehen symbolisch für die zunehmenden Fälle von Hass und Vandalismus gegen Christen im Heiligen Land.

Die Zerstörung des Christus in der Jerusalemer Geißelungskirche Anfang Februar war der sechste und nicht der letzte Angriff auf christliche Stätten und Gläubige seit Jahresbeginn. Die Bilanz reicht von der Schändung des protestantischen Friedhofs auf dem Zionsberg über Hassgraffiti an den Mauern des armenischen Klosters in der Altstadt und Übergriffe auf christliche Restaurants bis zu Gewalt gegen Kleriker in der orthodoxen Grabeskirche der Jungfrau Maria am Ölberg.
Die Täter: meist radikale Juden mit Hass auf alles Nichtjüdische. Doch auch von radikal-muslimischer Seite hat die Gewalt zugenommen. Seit Mitte März kam es in Nazaret zu gewaltsamen Angriffen auf eine franziskanische und eine salesianische Schule, so die Ortskirche. Unter anderem sollen Ordensschwestern aufgefordert worden sein, zum Islam zu konvertieren. „Wir leben in einer sehr schwierigen Zeit, unser ganzes Leben ist ein Weg des Kreuzes“, sagte Ibrahim Faltas, Vikar der Franziskanerkustodie, am Rande des Schülerkreuzwegs.

Die Zunahme der Feindseligkeiten erklären prominente Kirchenführer wie der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, mit dem Ton der neuen Regierung. Der italienische Ordensmann warnte vor einer Gefahr für das fragile Gefüge der multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft durch eine offen aggressive, rassistische Haltung mehrerer Koalitionsmitglieder. Es sei „kein Zufall, dass die Legitimierung von Diskriminierung und Gewalt in der öffentlichen Meinung und im gegenwärtigen politischen Klima Israels sich auch in Hass- und Gewalttaten gegen die christliche Gemeinschaft niederschlägt“, kommentierte Pizzaballas Mitbruder, Franziskanerkustos Francesco Patton. Das griechisch-orthodoxe Patriarchat sprach von „Terror radikaler jüdischer Gruppierungen“.

Christen fühlen sich als Bürger zweiter Klasse

Dass die politische Realität in Israel sich verändert hat, ist unübersehbar. Über mehr als drei Monate gingen jüdische Israelis in Massen auf die Straßen, um gegen das zu protestieren, was sie als die Verwandlung der israelischen Demokratie in eine Theokratie oder gar eine Diktatur bezeichneten: eine Justizreform, die die Macht des Obersten Gerichts einschränkt und die Gewaltenteilung gefährdet. Rot auch hier die Farbe des Protests, etwa bei langen Frauenmänteln, die auf die TV-Serie „The Handmaid’s Tale“ über eine frauenverachtende Diktatur anspielen.

Christen wie die arabische Minderheit hielten sich von den Demonstrationen fern. Spätestens seit dem Nationalitätengesetz, das Israel als jüdischen Nationalstaat definiert und das Recht auf nationale Selbstbestimmung auf jüdische Israelis beschränkt, fühlen sie sich als Bürger zweiter Klasse. Vor allem in Jerusalem habe sich die Lage für die Kirchen verschlechtert, sagte Pizzaballa unlängst. Aus dem Status quo des existenziellen Gleichgewichts zwischen den Religionsgemeinschaften sei ein Recht des Stärkeren geworden: „Wer die Macht hat, entscheidet.“ Von den Veränderungen am stärksten getroffen: die Christen als kleinste Gemeinschaft, zumal radikale Kräfte im Land sich unter dem Schutz von Teilen der Regierung in Sicherheit wiegen könnten.

Kurz vor Ostern sorgte ein Gesetzentwurf strengreligiös-jüdischer Abgeordneter für Unruhe. Er sollte die Rede über Jesus und den christlichen Glauben gegenüber nichtchristlichen Israelis unter Strafe stellen. Obwohl kein neuer Vorstoß, beeilte sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf Twitter zu versichern, dass es mit ihm keine antichristlichen Gesetze geben werde.

„Antwortet mit Liebe, Vergebung und Frieden!“

Die Forderungen der Kirchenführer an Politik und Sicherheitskräfte zum Schutz der einheimischen Christen und ihrer Stätten werden lauter. Gleichzeitig bekräftigen sie ihre Botschaft, die sie auch den Schülern auf der Via Dolorosa mitgegeben haben: „Antwortet niemals auf Gewalt mit Gewalt, sondern mit Liebe, Vergebung und Frieden!“

Die Justizreform soll nach Ankündigung Netanjahus bis in die nächste Sitzungsperiode des Parlaments ruhen, um einen Dialog zu ermöglichen. In die Atempause fallen der bereits begonnene islamische Fastenmonat Ramadan, das jüdische Pessachfest und die Osterfeiern der verschiedenen christlichen Konfessionen.

kna