St. Adalbert in Hannover
Modern bis unter die Hutkrempe
Beton, Glas und Stahl: Die Kirche St. Adalbert in Hannover lädt ein zum „Tag des offenen Denkmals“. Mit der Vorstellung dieses Gotteshauses endet die KiZ-Serie zur Nachkriegsmoderne.
Von der viel befahrenen Hauptstraße aus sieht man sie nicht, man hört sie auch nicht, kurz bevor der Gottesdienst beginnt: Die Kirche St. Adalbert in Hannover hält sich zurück. Am Eingang des Kirchengeländes steht ein hohes schlankes Kreuz, eine Dauerleihgabe der benachbarten ehemaligen evangelischen Gustav-Adolf-Kirche, die 2007 zur Synagoge umgebaut worden ist. Ein schmaler Weg führt zum begrünten Vorplatz, dort endlich öffnet sich der Blick auf ein apartes und höchst eigenwilliges Gotteshaus ohne Ecken, ohne Turm – und ohne Glocken: Ein Oval mit einem Dach, das wie eine Hutkrempe heruntergezogen ist und das dennoch über dem Kirchenschiff zu schweben scheint. Der Eingangsbereich ist asymmetrisch gestaltet, links wird er von einer Spitze gerahmt und rechts von einem Zylinder. Dieser Kirchenbau „swingt“. An der linken Wand ist eine historische Säule der Vierung des Hildesheimer Mariendoms eingelassen, sie verweist auf die Verbindung zur Bischofskirche in der Domstadt.
Tradition und Aufbruch, moderne Architektur und ein ungewohnt neues Raumerlebnis treffen in der katholischen St.-Adalbert-Kirche harmonisch aufeinander. Der hannoversche Architekt und Leiter des Staatshochbauamtes Paul Wolters hat hier die Idee eines offenen Kirchenraumes umgesetzt – nach dem Vorbild der weltberühmten Kapelle von Ronchamp in Frankreich. Das plastische Werk aus Sichtbeton am Fuß der Vogesen hat der Stararchitekt Le Corbusier geschaffen, die katholische Wallfahrtskirche Notre-Dame-du-Haut gilt als Ikone der Moderne. Der Bau wurde zum Vorbild für viele Gotteshäuser und wird als Wendepunkt für den Kirchenbau der Nachkriegsmoderne betrachtet. Bis heute ist die Kapelle von Ronchamp ein Anziehungspunkt für Kunst- und Glaubenspilger.
Auch in Hannover hatte man den Mut, sich auf einen formenreichen Baustil aus Beton, Stahl und Glas einzulassen – die ungewöhnliche Kirche wurde 1958 geweiht. Im Innern ist sie geräumig, hell und weit. Ein Lichtschlitz knapp unter dem Dach zeichnet die Konturen nach. Die Wände sind nicht symmetrisch gestaltet, dadurch entsteht eine dynamische Spannung von Bewegung und Gegenbewegung. Ein schmales horizontales Fensterband mit Buntverglasung zeigt die 14 Kreuzweg-Stationen und führt vom Dunkel des Eingangs zum Altar. Wenn die Morgensonne durch die drei hohen Chorfenster fällt, flutet sie den Altarraum mit Licht. An der Altarwand findet sich ein großformatiges plastisches Bild, ein Sgraffito, mit einer symbolischen Darstellung des Himmlischen Jerusalem, auf drei Texttafeln sind die Passagen aus der Bibel wiedergegeben.
Das gesamte Raumoval mit seinen Rundungen bis in die beiden Seitenkapellen hinein wird von einer rotbraunen Decke überzogen, die sich leicht nach unten wölbt – so entsteht ein Raumgefühl aus Weite und Geborgenheit in einer Außenhaut aus rohem Sichtbeton.
Zum Ensemble von St. Adalbert gehört auch ein historischer Bau, die alte „Herrenhäuser Warte“. Das ehemalige Ausflugslokal mit Tanzsaal aus der Zeit um 1900 wurde 1927 zur St.-Adalbert-Kapelle umgestaltet. Zuvor mussten die katholischen Gemeinden in Leinhausen, Stöcken und Herrenhausen improvisieren und ihre Gottesdienste in benachbarten Lokalen feiern. Das wurde den Gemeindemitgliedern zu unbequem, sie kauften das Grundstück mit der Gastwirtschaft an der Stöckener Straße vis-à-vis dem Stöckener Friedhof.
Als die Gemeinde in dem ehemaligen Arbeiterstadtteil von rund 1000 Mitgliedern im Jahr 1927 auf etwa 6000 Mitglieder in den 1950er-Jahren wuchs, wurde die kleine Kapelle zu eng, also entschied man sich für einen Neubau auf dem gleichen Grundstück. Die moderne Kirche und der zum Gemeindezentrum umgebaute Tanzsaal bilden zwar einen architektonischen Kontrast, aber sie ergänzen sich auch. Jüngst erst hat man die Gebäude des alten Ausflugslokals saniert, der ehemaligen Tanzsaal wurde mit einer schicken Bar ausgestattet.
„Hier ist der Treffpunkt der Gemeinde, hier ist unser Kirchencafé, wir können die Räume für Feiern zur Verfügung stellen.“ Pfarrer Bernd Langer und sein Team wollen die Gemeinderäume zu einem offenen Begegnungsort im Stadtteil machen. „Wir haben viel Platz und hier gibt es in der Nachbarschaft viele Menschen, die Räume brauchen“, ergänzt Astrid Wegmann vom Kirchenvorstand.
Stolz ist die Gemeinde vor allem auf das moderne Gotteshaus aus Beton. Jüngst erst hat sich ein Förderverein gegründet, um auch den denkmalgeschützten Bau zu pflegen und in seiner Substanz zu erhalten. Inzwischen ist man zudem dabei, die Baugeschichte der Kirche von 1958 zu dokumentieren und digital zugänglich zu machen. Am „Tag des offenen Denkmals“ am 12. September öffnet das Gemeindeteam die Räume und bietet spezielle Kirchen- und Architekturführungen an. Der Stil von Ronchamp hat auch an der Stöckener Straße Spuren hinterlassen.
Die St.-Adalbert-Kirche in Hannover ist während der Gottesdienstzeiten und mittwochs von 9 bis 11 Uhr geöffnet.
Am „Tag des offenen Denkmals“ am 12. September gibt es von 12 bis 17 Uhr ein buntes Programm. Stefan Amt, Architekt und Denkmalpfleger beim Bistum Hildesheim, hält um 16 Uhr einen Fachvortrag.
Karin Dzionara
Nachkriegsmoderne
Zu kühl, zu beliebig, zu viel Beton? Nie zuvor wurden so viele Kirchen gebaut wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch diese Gotteshäuser sind längst nicht so beliebt wie die mittelalterlichen Kathedralen. Nun ist man vielerorts dabei, die oft auch verborgene Schönheit moderner Kirchenbauten wieder zu entdecken. Viele von ihnen standen damals für einen religiösen Aufbruch. In einer kleinen Serie stellen wir Ihnen einige spannende Beispiele der Nachkriegsmoderne vor.