Todeswunsch des Elija

Mut für den Neuanfang

Image

In der Lesung zum Sonntag ist Elija am Ende seiner Kräfte. Er hat Todessehnsucht und legt sich unter einen Ginsterstrauch, um zu schlafen. Der Klinikseelsorger Martin Splett, kennt dieses Gefühl, völlig erschöpft

Ein Ginstertrauch auf trockenem Boden
In der Lesung legt sich Elija unter einen Ginsterstrach, um zu schlafen. 

Von Kerstin Ostendorf 

„Todessehnsucht? Nein, ich glaube nicht, dass Elija wirklich sterben will – auch wenn er sich im biblischen Text von Gott den Tod wünscht“, sagt Martin Splett. Der Theologe ist Seelsorger in der Magdalenenklinik bei Osnabrück, einer Fachklinik für psychische und psychosomatische Erkrankungen. „Der Prophet hat vielmehr große Angst um sein Leben – er spürt, dass es mit ihm nicht mehr so weitergehen kann wie bisher.“

Die alttestamentliche Lesung an diesem Sonntag erzählt, wie Elija in die Wüste geht und sich müde unter einen Ginsterstrauch legt. Der Prophet ist auf der Flucht: Im Kapitel zuvor wird berichtet, dass Elija 450 Propheten des Gottes Baal getötet hat. Isebel, die Ehefrau des israelitischen Königs Ahab, verehrt den Gott Baal, hat dem Götzen einen Tempel gebaut und den Kult gefördert. Nun sinnt sie auf Rache und lässt Elija verfolgen. Nach einem Tagesmarsch unter der sengenden Sonne ist Elija am Ende seiner Kräfte und bittet Gott, sein Leben zu beenden. Erschöpft schläft er ein. Doch ein Engel weckt ihn, Elija findet Brot und Wasser, stärkt sich und kann er seinen Weg durch die Wüste mit neuer Kraft fortsetzen.

Als Klinikseelsorger hat Martin Splett in den vergangenen sechs Jahren viele Menschen kennengelernt, die sich so gefühlt haben, wie es vom biblischen Propheten erzählt wird: ausgelaugt, müde, völlig erschöpft. „Anhaltende Krisen und Krankheiten, berufliche oder familiäre Probleme können Menschen so zusetzen, dass sie am Boden liegen. Sie sehen nichts Helles mehr in ihrem Leben. Alles erscheint dunkel und trostlos“, sagt Splett. „Ich erlebe oft eine große Niedergeschlagenheit. Wer etwa an Depression erkrankt, hat keinen Antrieb mehr, bricht Kontakte zu anderen ab und verschließt sich. Viele psychisch Kranke sind auf einem Weg durch die Wüste und können sich irgendwann nur noch hinlegen“, sagt Splett.

Wer in die Klinik komme, habe meistens schon eine Menge durchgemacht: Der Alltag, die Beziehung, Freundschaften oder der Job – alles gerate in Mitleidenschaft, sagt Splett. Biblisch Kundige mit Depressionen oder Erschöpfungssyndrom könnten sich durchaus in Elija wiederfinden und hineinversetzen. Die Menschen würden für sich nichts Gutes mehr erwarten. Und wenn die Aussichten so düster sind, dann kommen auch schon mal dunkle Gedanken auf, wie bei Elija: ‚Ach, wenn doch nur alles vorbei wäre‘“, sagt der Theologe.

Der Heilungsprozess dauert 

Der Prophet könnte sein Leben in der heißen Wüste schnell beenden – doch er legt sich unter den schattenspendenden Ginsterstrauch. Er kommt zur Ruhe, schläft, schaut sich um und findet die rettende Nahrung. „Unsere Klinik ist für die Menschen wie dieser Ginsterstrauch“, sagt Splett. „Unterstützt von guten Engeln, kommen sie zu Kräften, richten sich wieder auf und richten sich neu aus.“

Allerdings sei mehr nötig als Brot und Wasser, und auch mehr als Nachdenken und Beten: „Zu uns kommen Menschen, die erkrankt sind. Sie brauchen Medikamente und Psychotherapie, aber auch pflegerische Betreuung“, erklärt Splett. Zudem helfen Entspannungsübungen und Meditation ebenso wie Fitnessangebote, Spaziergänge in der Natur oder gemeinsame Mahlzeiten mit netten Gesprächen. Allerdings bräuchten Heilungsprozesse ihre Zeit und damit Geduld, sagt Splett. Auch Elija hatte nach seiner ersten Stärkung noch nicht genug Kraft für den langen Weg, der vor ihm lag.

Als Seelsorger könne er mit Begegnung und Gespräch, aber auch mit Gebet und geistlichen Impulsen zur Heilung beitragen: „Ich behandle Menschen nicht, ich begleite sie“, sagt Splett, „und das nur, wenn sie wollen.“ Mal bleibt es bei kurzen Begegnungen im Flur, mal entwickelt sich ein intensives Gespräch über das Leben, bis hin zu regelmäßigen Treffen über einen längeren Zeitraum. „Entweder wenden sich Interessierte aktiv an mich, manchmal ermutigt durch Klinikpersonal. Oder ich gehe auf Patienten zu, denen vielleicht die Kraft fehlt, den ersten Schritt zu machen und um ein Gespräch zu bitten.“

Ausschau nach hellen Momenten 

Wo Patienten dafür offen sind, möchte Splett sie dabei unterstützen, wieder zu sich selbst zu kommen, Zugang zur eigenen Sehnsucht zu finden und neu Hoffnung zu schöpfen. Wer wieder nach vorne schauen kann, sieht dann auch wieder die anderen: Nicht nur man selbst, sondern auch Partner und Kinder sollen mit ihnen wieder froh sein, der Beruf soll wieder Freude machen. „Das ist ihre Motivation für die Therapie und den Aufenthalt“, sagt der Seelsorger. „Viele Patienten, die zu uns kommen, haben ihre Hoffnung verloren – das ist oft das Tückische an Krankheiten wie Depression. Ich versuche dann, behutsam an ihre Sehnsucht anzuknüpfen. Ich hoffe für sie und mit ihnen. Im Gespräch, im Schweigen und auch im Gebet.“ Der christliche Glaube könne nicht einfach Ängste und Sorgen nehmen und dürfe keinen billigen Trost spenden. „Aber ich kann schon das Licht der christlichen Hoffnung in das und neben das Dunkel stellen und dazu ermutigen, nach hellen Momenten Ausschau zu halten, wie Elija: Was kann dieser Tag, diese Zeit mir bieten? Wofür kann ich gerade trotz vielem dankbar sein?“

Bei Patienten erlebt Splett dann oft zwei Verhaltensweisen: „Manche fassen Mut und wagen einen Neuanfang, mitunter radikal. Dazu lösen sie sich von Menschen, Orten und Lebensweisen, die ihnen nicht guttun.“  Andere machen es wie Elija: „Sie haben in der Klinik Kraft und Zuversicht geschöpft und kehren zurück in ihr familiäres und berufliches Umfeld. Sie wollen kein anderes Leben, aber sie wollen nun anders leben. Sie haben gelernt, mehr auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu achten, damit ihr Leben gelingt“, sagt Splett.