Neues Buch über Yad Vashem, die Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem

Nicht für deutsche Betroffenheit

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Für einen deutschen Touristen gilt: Keine Reise nach Jerusalem ohne Besuch in der Shoa-Gedenkstätte Yad Vashem. Doch der Ort ist nicht für Deutsche gemacht. Er hilft Israelis beim Verstehen ihrer Geschichte und Zukunft. Ein neues Buch von Georg Rößler klärt uns Deutsche auf. Ganz ohne Moralin.



Eindrückliches Denkmal in Yad Vashem: „Janusz Korczak und die Ghettokinder“


Natürlich muss Angela Merkel in der Gedenkhalle von Yad Vashem einen Kranz für die Opfer in den Konzentrationslagern der Nazis niederlegen. Bei jedem ihrer Besuche. Immer. So, wie es alle Staatsgäste in Israel tun. Aus Respekt. Vor den Toten. Und vor den Lebenden. Denn dieser Ort ist – wie es Georg Rößler so treffend schreibt – „der Versuch des jüdischen Staates Israel, eine Gesamtperspektive für die Bewältigung und Verarbeitung der Shoah für das jüdische Volk anzubieten“.
Yad Vashem – Denkmal und Name – offizielle Bezeichnung: „Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“. Erinnert wird mit dem Titel an die alttestamentliche Bibelstelle aus dem Buch Jesaja (56,5): „Ihnen allen errichte ich in meinem Haus und in meinen Mauern ein Denkmal, ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals getilgt wird.“

Wortlose Betroffenheit überwinden helfen

Wenn deutsche Reisegruppen diesen Ort besuchen, dann fallen sie oft in wortlose Betroffenheit. Der Schmerz über die grausamen Vorfahren, ein irgendwie bleibendes Mitschuldigfühlen … Ein evangelischer Pfarrer, Dr. Andreas Goetze, der häufig mit Georg Rößler Yad Vashem besucht hat, schreibt in einem Geleitwort zum Buch: „Es verband uns immer das Anliegen, die Gedenkstätte nicht als ,Betroffene‘, sondern als nach einer menschenwürdigen Zukunft Fragende zu besuchen. Betroffenheit kennzeichnet den, der betroffen ist und nicht das, was betroffen macht. Insofern erzeugt Betroffenheit belastende Emotionen, ja Lähmung bis hin zum Verstummen, sie eröffnet selten verantwortungsvolle Handlungsoptionen.“
Seinem Reiseführer Georg Rößler sei es gelungen, ihm einen Perspektivwechsel zu ermöglichen: „Er will sensibilisieren für die Verantwortung eines jeden Einzelnen, sich für Demokratie und Menschenrechte zu engagieren.“
Georg Rößler ist Deutscher. Und israelischer Staatsbürger. Seit 1988 lebt er in Jerusalem und leitet heute SK-Tours in Nature (sktours.net), ein Reiseunternehmen, das viele christliche Pilgergruppen im Land begleitet.
Wer einmal die Gelegenheit hatte, sich Georg Rößler für eine Führung anzuvertrauen – ganz gleich ob in der trubeligen Altstadt Jerusalems oder auf dem wüsten Zuckerweg hinauf von Jericho durchs Wadi Kelt, der weiß: Geschichte ist weit mehr als Jahreszahlen. Geschichte erzählt man am eindrücklichsten mit Geschichten. Georg Rößler ist ein Meister im Erzählen. Er nimmt seine Hörer mit. Und wer nach einigen Stunden Füßen und Kopf eine Rast gewährt, der spürt: Ich habe jetzt mehr Fragen als zuvor. Aber ich weiß warum.
Und ebenso ergeht es einem mit der Lektüre dieses Buchs. Man hält jetzt die verbindenden Fäden jüdischer Geschichte in Händen. Versteht, warum Yad Vashem nur hier am Herzl-Berg, dem israelischen Heldengedenk-ort, seinen richtigen Platz hat. Man  wird einladend begleitet beim Nachdenken über erwachenden Antisemitismus, den schwelenden Nahost-Konflikt, die pädagogische Aufgabe, den Menschen und seine Taten zu begreifen – und ins Tun zu kommen.
„Nicht für Deutsche …?“ Und dann muss da jeder Deutsche hin? Auf jeden Fall. Nicht wegen der deutschen Schuld, sondern um den israelischen Traum und das bleibende Trauma besser zu verstehen. Und um künftig die richtigen Fragen zu stellen: an Politiker, die Großväter, ans Leben …
Ein Buch nimmt man gerne in die Hand, weil es einem viel erzählt. Aber auch dann, wenn es schön gemacht ist. So schön wie dieses Buch. Mit den vielen Fotografien von Orli Hefetz-Haim aus der Gedenkstätte – künstlerisch den eigenen Horizont weitend …

Von Johannes Becher