Lesung im Epheserbrief

Nieder mit der Mauer!

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Die Lesung aus dem Epheserbrief beschwört die Versöhnung alter Feinde. Christus „riss die Wand der Feindschaft nieder“, heißt es dort. Schön wär’s, wenn das auch heute gelten würde. Zumal in der Kirche.

Eine Frau geht durch den Riss einer Mauer. Sie trägt einen schwarzen Hut und einen roten Mantel.
„Die Welt ist zu klein für Mauern.“ Ein Kunstwerk, das an 1989 erinnert. Mauern der Feindschaft stehen aber auch anderswo.

Von Susanne Haverkamp

Juden und Heiden waren zur Zeit Jesu wie Feuer und Wasser. Zum Teil natürlich aus politischen Gründen. Die Heiden, das waren die Römer, und die Römer waren die unrechtmäßigen Besatzer Israels, die Feinde. Diejenigen, die zu hohe Zölle und Steuern verlangten und die Bevölkerung unterdrückten. Aber politische Feinde wurden immer schon auch mit religiösen Waffen bekämpft. Einen Juden ein Schwein küssen zu lassen, fanden römische Soldaten witzig. Und sie zu zwingen, vor der Statue des göttlichen Kaisers zu knien, war eine beliebte Demütigung.

Umgekehrt verachteten die Juden die Römer auch wegen ihres heidnischen Glaubens. Ihre Häuser zu betreten, machte Juden kultisch unrein. Mit Ungläubigen verkehrt man nicht, spricht man nicht, handelt man nicht – oder nur, wenn es gar nicht anders geht. Das auserwählte Volk des einen Gottes wähnte sich himmelhoch über der Vielgötterei der Heiden – und das seit Generationen. Eine Erbfeindschaft, kann man sagen.

Auch wenn Ephesus in der heutigen Türkei liegt: In biblischer Zeit war die Stadt eine römische Metropole, eine der größten Städte des römischen Reichs und Sitz des Proconsuls der Provinz Asia. Und eine Stadt, die früh mit der neuen Religion in Kontakt kam. Dort hatte ein Jude, Apollos aus Alexandrien, missioniert. „Er sprach mit glühendem Geist und trug die Lehre von Jesus genau vor“, heißt es in der Apostelgeschichte (18,25). 

Vermutlich hat Apollos die Lehre in der Synagoge vorgetragen, dort, wo die Juden sich trafen, zum Beispiel die aus Rom ausgewiesenen Priscilla und Aquila. Als später Paulus dazukam (Apg 19), lehrte auch er in der Synagoge. Erst als dort viele „den Weg Jesu verspotteten, trennte er sich mit den Jüngern von ihnen“. Sie kamen in einer öffentlichen Halle mit dem ziemlich heidnischen Namen „Lehrsaal des Tyrannus“ unter. „Auf diese Weise hörten alle Bewohner der Provinz Asien, Juden wie Griechen, das Wort des Herrn.“ (Apg 19,10)

Klare Fronten in der Kirche von Ephesus

Was für uns selbstverständlich klingt, muss mit großen Konflikten einhergegangen sein. Juden und Heiden passten einfach nicht zusammen. Und das nicht nur in den ersten Jahren der Gemeinde. Denn der Epheserbrief, der vermutlich von einem Schüler des Paulus um 100 n. Chr. geschrieben wurde, hat nur ein Thema: die Einheit der Gemeinde. Die scheint gefährdet gewesen zu sein. Streit bis hin zu Feindschaft, und die Fronten scheinen klar zu sein. In diese Situation hinein beschwört der Brief: Christus ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile – Juden und Heiden – und riss die trennende Wand der Feindschaft in seinem Fleisch nieder ... Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet. Er kam und verkündete den Frieden ... Denn durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde diese Lesung sehr aktuell. Ersetzen Sie „Juden und Heiden“ durch „Konservative und Reformer“, dann sind wir der Situation in Ephesus ziemlich nah. Worum es damals genau ging, ist nicht klar. Aber worum auch immer es ging: Beide Seiten waren nicht nur sicher, recht zu haben, beide Seiten verfeindeten sich offenbar immer mehr. 

Und genau so ist es heute – nicht nur in Deutschland. In den USA scheinen die Bischöfe der unterschiedlichen Richtungen kaum noch miteinander sprechen zu können; Kenner der Szene beschreiben sie unverhohlen als verfeindet. Auch bei uns wird der Ton rauer: Die Atmosphäre zwischen den Bischöfen soll zuweilen äußerst angespannt sein. Und unter Laien und auf Onlineportalen ist es fast schon selbstverständlich, sich gegenseitig vorzuwerfen, die Kirche zu zerstören, sie gar absichtlich zerstören zu wollen. „Mach doch rüber“ ist inzwischen ein gängiger Vorschlag zum Evangelischwerden; „Traditionalist“ ist umgekehrt noch eine harmlose Bezeichnung für alle, die den Zölibat schätzen und gegen die Priesterweihe von Frauen sind.

Dass im Epheserbrief weder die Streitpunkte erwähnt sind noch gar eine lehrhafte Klarstellung erfolgt, finde ich interessant. Weit weniger wichtig als die richtige Lehre scheint das richtige Leben zu sein. Und das ist: Einheit, nicht Spaltung; Freundschaft, nicht Feinschaft; Türen, nicht Wände; Frieden, nicht Kleinkrieg.

Und warum? Zum einen, weil Jesus es vorgelebt hat. Weil er die Liebe lebte bis zum Tod, weil das Kreuz für Versöhnung steht, weil Jesus selbst die „Wände der Feindschaft“ einriss. Daraus folgt: Wer Bruder oder Schwester als Feind ansieht, wie einen Feind behandelt oder beurteilt, setzt sich selbst ins Unrecht, weil er oder sie Mauern aufbaut, die Jesus eingerissen hat.

Den Zugang zum Vater haben alle

Und noch ein zweiter Grund steht im Epheserbrief: „Denn durch Christus haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater.“ In biblischer Zeit war offenbar noch klar, dass der „eine Geist“ kein exklusiver Besitz bestimmter Gruppen oder Personen ist. Dass der „Zugang zum Vater“ nicht reglementiert ist. Dass die Taufe genügt. Etwas später formuliert der Epheserbrief folgende Fürbitte für die Glaubenden: Durch den Glauben wohne Christus in euren Herzen, in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet. So sollt ihr mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu erkennen, die alle Erkenntnis übersteigt. (3,17–19)

Wenn alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Synodalen Wegen, Pastoral- und Bischofskonferenzen, Kirchenvorstandssitzungen, Onlineforen und Kaffeerunden diese biblischen Worte beherzigen würden, kämen wir der Kirche Jesu Christi einen großen Schritt näher.