Serie „Alte Mauern – neues Leben“

Nonnen läuten, Mönche brauen

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„Alte Mauern – neues Leben“: Einmal im Monat führt diese Reiseseite zu Stätten, an denen einst kirchliches Leben blühte. Vom ehemaligen Benediktinerinnenstift auf dem Schulberg
in Eschwege steht heute nur noch ein Turm. Doch die Geschichte des Klosters ist lebendig.



 Einer von zwei Türmen des Benediktinerinnenstifts: der Karlsturm auf dem Schulberg.


Am Anfang stand das Benediktinerinnenstift. Der Karlsturm – einer von einst zwei Türmen – auf dem Schulberg ist alles, was an die Anfänge von Eschwege bis heute erinnert. Alle Gebäude rings um den Turm sind erst nach der Aufhebung des Benediktinerinnenstifts St. Cyriakus in der Reformation entstanden. „Es gibt nur noch das Gelände“, sagt Silvia Schaaf-Dormeier. Sie ist Stadtführerin und an diesem Nachmittag zusammen mit Michael Dölle auf dem Schulberg. Dölle ist pensionierter Lehrer und auf Diözesanebene Mitglied im Katholikenrat und Kirchensteuerrat.

Ein Kloster als Keimzelle der Siedlung
„An dieser Stelle war vor dem Kloster bereits eine Königspfalz“, erklärt die Stadtführerin. Schaaf-Dormeier zeigt eine Kopie der Schenkungsurkunde von Kaiser Otto II. an seine Frau Theophanu aus dem Jahr 975. Später gründete deren Tochter Sophia von Gandersheim (975 bis 1939) das Stift. Das Kloster als Keimzelle der Ansiedlung hatte Markt- und Münzrecht. „Das war wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung“, erläutert Dölle, der Politik und Wirtschaft im Gymnasium Friedrich-Wilhelm-Schule unterrichtete.
Zum Benediktinerinnenstift gehörte eine Novizinnen-Schule – daher der Name Schulberg. Dies sollte aber nicht die einzige Schule auf dem Gelände bleiben. So befand sich dort eine private Mädchenschule, in deren Gebäude sich heute die Volkshochschule befindet. Ein weiteres Gebäude war früher eine Sonderschule. Nach einer Sanierung werden die Räume inzwischen von der Musikschule genutzt. Unterhalb davon steht das Haus, in dem Otto Heinemann seine ersten beiden Lebensjahre verbrachte. Er war der Vater von Gustav Heinemann, von 1969 bis 1974 der dritte Bundespräsident.

Äbtissin war die „starke Frau“ in Eschwege
Auch die einstige jüdische Schule – eine Grundschule – befand sich wie auch die Synagoge auf dem Schulberg. Apropos Synagoge: Das Gebäude wurde in der Reichspogromnacht nicht niedergebrannt. Dölle nennt den Grund: „In der Nähe standen Fachwerkhäuser. Und man hatte Angst, dass diese bei einem Brand der Synagoge auch Feuer fangen könnten. Allerdings wurde die Innenräume verwüstet.“
Zurück zum Benediktinerinnenstift: Dessen Äbtissin blieb auch die „starke Frau“ in Eschwege, als sich 1278  Mönche der Augustiner-Eremiten ansiedelten. „Die Frauen des Stifts hatten das Vorrecht, die Glocken zu läuten. Nur bei Verspätung der Nonnen durften die Mönche das übernehmen“, berichtet die Stadtführerin.
Das Kloster der Mönche stand in der Nähe der Stadtmauer. Der Weg vom Schulberg dorthin führt durch die Altstadt von Eschwege mit seinen zahlreichen Fachwerkbauten. Ein besonders sehenswertes Exemplar dieser Bauweise ist das Alte Rathaus. Über einem der Eingänge ist das Wappen der Stadt zu sehen: zwei Türme der einstigen Kirche des Benediktinerinnenstifts – und ein Eschenzweig. Dieser Laubbaum ist Teil des Stadtnamens.
Vom Kloster der Augustiner-Eremiten sind nur noch die Doppelstock-Kapelle und ein Gewölbe-Keller erhalten. Auf dem einstigen Areal der Mönche stehen seit 1875 die Gebäude der Eschweger Klos-terbrauerei. Mit der Bierproduktion befindet sich die Brauerei in guter Gesellschaft. Seit 1369 ist belegt, dass die Mönche in Eschwege Bier brauten.
Nach der Auflösung des Klosters wurden die Kirche beziehungsweise Kapelle vom daneben erbauten St.-Elisabeth-Hospital genutzt. Das in Eschwege „Spettel“ genannte Gebäude stand neben der Kapelle. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die eins-tige Klosterkirche zerstört – bis auf die heute noch stehende Kapelle.
Auf dem Platz vor der einstigen Kapelle zeigt Schaaf-Dormeier auf die Wand. Genauer gesagt auf einen aus Stein gemeißelten Kopf. „Die Mönche brauten gutes Bier. Nur der Mönch, der da abgebildet ist, braute schlechtes Bier“, erzählt Schaaf-Dormeier aus ihrem reichen Anekdotenschatz. Bei einer Führung mit Schulkindern habe ein Schüler den besagten Kopf nicht an der Wand gefunden, so die Führerin. Ein Mitschüler habe ihm daraufhin den Tipp gegeben: „Schau doch mal an das Ende des Mc-Donald-M“, habe er gesagt. Und tatsächlich: die beiden Spitzbogen an der Wand haben Ähnlichkeit mit dem Logo der Fast-Food-Kette.
In der Zufahrt zur Brauerei steht ein Tankwagen, der mit Bier befüllt wird. „Wir brauen noch hier, aber füllen das Bier hier nicht mehr in Flaschen“, erläutert Tanja Beck von der Brauerei. Durch den Gärkeller führt die Mitarbeiterin in einen Gewölbekeller. „Das wäre doch ideal für eine Bewirtung“, meint Dölle zu dem derzeit nicht genutzten Gewölbekeller, der schon zum Kloster gehörte. Beck und Schaaf-Dormeier zeigen auf eine Mauer im Keller. „Das war ein Eingang zu einem Tunnel. Es heißt, das wäre einmal ein geheimer Gang zwischen den beiden Klöstern gewesen“, gibt die Stadtführerin eine weitere Anekdote zum Besten.

Von Hans-Joachim Stoehr