Sünde in der Bibel - und heute
O, glückliche Schuld
Die Bußzeit ist vorbei. Wir haben Ostern, Zeit für fröhlichere Gedanken. Und doch kommt das leidige Thema Sünde an diesem Sonntag gleich in allen drei Lesungstexten zur Sprache. Ein Anlass, um darüber nachzudenken. Positiv.
Von Annabell Sirovátková
Sünde scheint ein beliebtes Thema der biblischen Autoren gewesen zu sein. „Kehrt um und tut Buße, damit eure Sünden getilgt werden“, heißt es in der Apostelgeschichte. „Christus ist die Sühne für unsere Sünden“, verkündet der erste Johannesbrief. Und Jesus selbst kündigt im Evangelium an, dass in seinem Namen allen Völkern Umkehr verkündet werde, „damit ihre Sünden vergeben werden“. Offenbar hatten die Menschen zur Zeit Jesu ein Bewusstsein für ihre Sündigkeit und gingen offen damit um.
Wir hingegen empfinden Schuld und Sünde als etwas Schlechtes. Ich möchte nicht schuld sein, dass … Sich schuldig zu fühlen, heißt: schlecht, niedergedrückt, traurig, beschämt sein. Einfacher ist es, die Schuld von mir zu weisen. Damit geht es mir besser. So kann ich selbstbewusster auftreten, mich leichter im Spiegel ansehen, mich selbst eher wertschätzen. Mit unserer eigenen Schuld wollen wir nichts zu tun haben. Meistens gelingt es auch ganz gut, sie wegzudiskutieren. Es handelt sich ja um keine großen Sachen, um keine Verbrechen. Alles ganz normal. Schuld sind wir nicht. Schuld ist ein unangenehmes Thema.
Das Schuldbekenntnis ist von gestern?
Genau so wirkt es manchmal in unseren Gottesdiensten. Das Schuldbekenntnis wird gerne mal umschifft und mit Anrufungen ähnlich der Fürbitten ersetzt. Es ist jedoch ein Unterschied zu sagen: „Viele Menschen sind in diesen Tagen allein. Herr, erbarme Dich“ oder zu formulieren: „Manchmal haben wir Menschen in diesen Tagen alleingelassen. Herr, erbarme Dich“. Das große Schuldbekenntnis: „Ich bekenne, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe …“ ist vielen zu sehr von gestern. Mit der Beichte verhält es sich ähnlich. Sicher, über Formulierungen kann man streiten. Aber sind wir in der Sache bereit, dazu zu stehen, dass einiges von unserem Verhalten in der letzten Woche nicht sehr liebevoll war?
Und kann man nicht auch positiver über Schuld nachdenken? Ich wage mal einen etwas schrägen Vergleich: den mit Müll. Der entsteht, wenn wir ganz normal leben. Wenn wir versuchen, ihn zu vermeiden, können wir ihn reduzieren. Ganz ohne geht es aber in der Regel nicht. Auch Müll ist unangenehm, stinkt. Wir würden ungern darin wühlen. Wir geben ihn in saubere Behälter, gern in Küchenschränke integriert, dann ist er versteckt. Aus der Abfallwirtschaft wissen wir allerdings, dass es sich sehr wohl lohnen kann, sich damit zu beschäftigen. Wertstoffe schlummern da. Wenn es gelingt, Abfall zu nutzen, wie etwa im Garten zur Kompostherstellung oder Müll zur Energieherstellung, dann kann uns das regelrecht begeistern. Welche Verwandlung! Eine neue Zahnbürste, komplett aus recyceltem Material! Kann also auch Schuld, unsere eigene persönliche Schuld, wenn sie nun schon mal da ist, zu etwas gut sein?
Manche Abwehrreaktion ist verständlich
Aus den Evangelien wissen wir, dass Sünder es oft leichter hatten, den Weg zu Jesus zu finden, als die scheinbar Gerechten; ein Empfinden für eigene Schuld scheint hilfreich dafür zu sein, sich retten zu lassen.
Und noch etwas wäre seltsam, geradezu paradox: Wenn Christen, die die Auferstehung des Gekreuzigten feiern, und damit den Sieg über die Sünde, sich selbst zieren und mit ihren Sünden nichts zu tun haben wollten. Das wäre, um im Bild zu bleiben, so ähnlich, als wenn ein besonders vorbildlicher Müllvermeider sich schämen würde, seinen Müll zum Recyclen herzugeben.
Ja, es gibt allergische Reaktionen auf das Thema Schuld, und die haben auch ihre Ursachen. Schlimme Geschichten erzählen gerade ältere Leute, die eine Abwehr verständlich machen. Dennoch wäre es schade, es dabei bewenden zu lassen. Zu große Chancen für die Tiefe des gelebten Glaubens blieben ungenutzt. Wir wissen: Auch im mitmenschlichen Bereich ist es wichtig, zu entfernen, was zwischen mir und dem anderen steht. Mit offenen Karten spielen, nichts beschönigen, offen zugeben, dass ich einen Fehler gemacht habe, Gefühle und Schwächen zeigen – das hält Beziehungen frisch und lebendig, authentisch. Nur wenn wir vor dem Anderen die Maske abnehmen, wird Tiefe möglich.
Ich kann spüren, wie das Böse schmilzt
Und das gilt auch für die Gottesbeziehung. Gottes Liebeszusage bezieht sich auf mich als ganzen Menschen, auch in meinen weniger ansehnlichen Teilen. Nicht nur, dass ich traurig bin oder schwer beladen, hat bei ihm Platz, sondern auch das, dessen ich mich schäme. Eine Begegnung mit ihm befreit, heilt. Ich kann förmlich spüren, wie das Böse schmilzt. Schade, wenn wir es ihm nicht hinhalten. Menschen können nicht immer vergeben, Gott aber schon. Denn Gottes Erlösungstat an uns ist nicht (nur) etwas, was vor zweitausend Jahren stattgefunden hat. Es ist etwas, das mindestens in jeder heiligen Messe erneut stattfindet. Wie eine Ehe nicht in der Hochzeit besteht, sondern gelebt werden will, so will auch der Bund mit Gott gelebt werden. Er ist nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart. Jesu Leben, Tod und Auferstehung kaufen uns fortwährend von Sünde und Schuld los.
Meine Sündhaftigkeit in den Glauben zu integrieren, bedeutet, regelmäßig Psychohygiene zu betreiben. Wenigstens an den Stellen, die ich sehen kann. Es bedeutet, reflektiert zu leben und wo immer möglich aus Fehlern zu lernen. Besonders aber und vor allem bedeutet es, um meine Erlösungsbedürftigkeit zu wissen – im Angesicht des Erlösers! So konnte Papst Franziskus nach seiner Papstwahl auf die Frage „Wer ist Jorge Bergoglio?“ fröhlich antworten: „Ein Sünder, den der Herr angeschaut hat.“
„O, glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden“ heißt es im Exsultet der Osternacht. Das gilt auch mir, immer wieder neu, für meine ganz persönliche Schuld.