Katholiken in der DDR

Ökumenische Männerabende als Staatsbedrohung

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Religion und Kirche waren der DDR stets suspekt. Mit dem Eichsfeldplan sollte der Katholizismus in Thüringen bekämpft werden. Doch die Idee, mit neuen Industriebetrieben die Kirche zu verdrängen, schlug fehl. Auf der „Rennstrecke“ mit dem SED-Staat hatte sie klar den längeren Atem.


Der Erfurter Bischof Dr. Joachim Wanke feiert mit
zahlreichen Gläubigen einen Gottesdienst zur
Grundsteinlegung der neuen Kirche 1988 in Leinefelde.

Die Zahlen sprechen für sich: Trotz Bevölkerungswachstum von über 600 Prozent innerhalb von 30 Jahren in Leinefelde, sank der Anteil christlich gebundener Menschen im gleichen Zeitraum nur von rund 95 Prozent im Jahr 1960 auf rund 77 Prozent im Jahr 1986. Das hatte sich die DDR anders vorgestellt.

Der von der SED 1958 verabschiedete Eichsfeldplan sollte mit neuer Industrie im ländlich geprägten Eichsfeld die Strukturen aus Landwirtschaft, Kleinhandwerk und Glauben zerstören und eine sozialistische Gesellschaft entstehen lassen. Aber „die Funktionäre von Staat und Partei befanden sich von Anfang an in Konkurrenz zu einem mächtigen Gegenspieler: der starken katholischen Kirche und ihren Traditionen“, schreibt Kirchenhistoriker Torsten W. Müller. Sein Beitrag „Die Kirche ist der FDJ wesentlich überlegen“ erschien in der Festschrift „Leinefelde im Sozialismus“ zum 50-jährigen Stadtjubiläum.

Müllers Auswertung der umfangreichen Stasi-Akten lässt deutlich werden, wie sehr sich DDR und Kirche in einem ständigen Wettbewerb befanden. Durchgängig berichtet ab 1953 ein gut vernetzter IM „Maxe“ aus den inneren Kirchenzirkeln an das Ministerium für Staatssicherheit.

Weltanschauliche Diaspora

Offensichtlich hatte er regelmäßig Möglichkeiten, sich mit Pfarrern und Gemeindemitgliedern der Region auszutauschen, war beruflich im Staatsapparat tätig, aber auch in der CDU engagiert und ging regelmäßig sonntags in die Kirche.
 


Schnell steht der Rohbau der neuen Kirche in Leinefelde-Süd.

Während sich der Staat wünschte, dass Pfarrer im Sinne der SED politisch tätig werden, verweigerte sich die Kirche dem weitgehend. „Den kirchenleitenden Amtsträgern war daran gelegen, auch nur jeden Anschein einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit von Kirche und Staat zu vermeiden und jedes diesbezügliche fördernde Verhalten zu unterbinden“, schreibt Müller. In der Personalpolitik habe die Kirche ihre Chance erkannt und gleich ab 1960 unter anderem mit einer Seelsorgehelferin etwa die kirchliche Jugend- und Gruppenarbeit gestärkt. Das zu einer Industriestadt heranwachsende Dorf Leinefelde wurde schon 1965 Sitz des neu gegründeten Dekanats Leinefelde. Die „kirchlich-administrative Bedeutung“ wuchs parallel zum staatlich verordneten Industriewachstum.

Selbst Männerabende im Pfarrheim wurden als Staatsbedrohung empfunden, denn sie wurden ab 1967 gemeinsam vom katholischen und vom evangelischen Pfarrer gestaltet. „Hier verstand man sich ganz als Christ in gleicher Bedrängnis“, berichtet Müller. Beide Konfessionen hätten sich in einer weltanschaulichen Diaspora befunden. „Das Gegenüber waren nicht mehr die Protestanten oder Katholiken, sondern die Partei, der Staatssicherheitsdienst, oftmals die Schule“, formuliert der Kirchenhistoriker, „aus Sicht der Staatsmacht wenig erfreulich“.

Auch Vergleiche zwischen kirchlicher und staatlicher Jugendarbeit zieht „Maxe“ in seinen Berichten: „Es gibt so Diskussionen, dass die FDJ langweilig sei, die Kirche interessanter.“ 700 Jugendliche würden wöchentlich Kirche oder Pfarrheim besuchen, ist für 1971 vermerkt.

Der Leinefelder Schildbürgerstreich

Die Gemeinde schafft es, noch zu DDR-Zeiten den Grundstein für den Kirchneubau von St. Bonifatius zu legen. Bezahlt wurde mit „Westgeld“. Beim Kindergarten hingegen musste die Kirche tricksen, dafür gab es keine Baugenehmigung. Also wurde mit „Reparaturen“ eine alte Baracke über Jahre in mehreren Bauabschnitten teilweise eingerissen und nach und nach neu auf- und angebaut. Einen „Leinefelder Schildbürgerstreich“, so nannte das der damalige Erfurter Generalvikar und spätere Erzbischof von Berlin Georg Sterzinsky.

Johannes Broermann
 

Zentrum der Arbeiterklasse
Leinefelde wurde erstmals 1227 urkundlich erwähnt, der Ortsname „Feld an der Leine“ deutet auf eine Siedlung im 9. Jahrhundert hin, archäologische Funde datieren aus der Jungsteinzeit vor 4000 Jahren. Einen eigenen Pfarrer hat Leinefelde erst seit 1867. In den 1950er Jahren zählte der Ort rund 2500 Einwohner. Für ein deutliches Bevölkerungswachstum sorgte die DDR, nachdem 1961 der Bau einer industriellen Baumwollspinnerei für über 4000 Beschäftigte begann und eine neue Wohnstadt in Plattenbauweise entstand. Hinzu kamen weitere Betriebe der Textilindustrie. In kurzer Zeit wurde so ein „Zentrum der Arbeiterklasse“ geschaffen. Bei der Standortwahl profitierte Leinefelde von seiner günstigen Verkehrslage mit Bahnanschluss und erhielt 1969 Stadtrechte. Auch die Zahl der Katholiken stieg, 1988 wurde der Grundstein für St. Bonifatius, den größten Kirchenneubau in der DDR gelegt, 1993 geweiht. Zur Wiedervereinigung 1990 lebten rund 16 000 Menschen in Leinfelde, heute sind es knapp 9000. (job)