Um Hilfe bitten bleibt aktuell

Rede doch! Hör mir zu!

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Wie lernen Menschen so offen und klar miteinander zu sprechen, dass sie einander auch verstehen?
Foto: istockphoto/CurvaBezier

Der Kranke im Evangelium konnte nicht hören und nicht sprechen. Dass er Jesus um Hilfe bat, war der erste Schritt zur Heilung. Das ist auch heute so, sagt Andrea Stachon-Groth. Um „Effata – Öffne dich“ geht es auch bei ihr.

Von Kerstin Ostendorf

Dass Menschen sich öffnen wollen – ihr Herz, ihren Mund, ihr Ohr – das erlebt auch Andrea Stachon-Groth immer wieder. Sie ist Vorsitzende der Katholischen Bundeskonferenz für Ehe-, Familien- und Lebensberatung und Leiterin der Beratungsstellen im Bistum Münster und weiß, dass manche dafür Hilfe brauchen. „Wobei die Menschen den ersten Schritt, sich zu öffnen, schon ohne uns geschafft haben: Sie wenden sich an die Beratungsstelle und bitten um Unterstützung“, sagt sie. Für viele sei das schon eine große Hürde. Wenn der Anruf dann aber geschafft und der erste Gesprächstermin vereinbart ist, seien die meisten sehr erleichtert. „Ich schiebe das Problem nicht länger vor mir her, sondern werde aktiv. Das ist ein gutes Gefühl“, sagt Stachon-Groth. Vielleicht spürte genau das auch der Kranke im Evangelium.

Seit 1998 arbeitet Stachon-Groth als Beraterin. Sie vergleicht ihre Arbeit gerne mit den Aufgaben einer Allgemeinmedizinerin. „Wir haben 18-Jährige in der Beratungsstelle, aber auch Menschen über 90. Und alle haben völlig unterschiedliche Anliegen und Sorgen“, sagt sie. Es kommen Menschen mit Depressionen, Menschen, die sich einsam fühlen oder Probleme am Arbeitsplatz haben. Hauptsächlich suchen aber Paare und Familien ihren Rat. „Da geht es um Schwierigkeiten, eine Beziehung aufzubauen oder sie stabil zu führen. Oder es gibt Streit über die Rollenverteilung in der Partnerschaft. Manchmal steht schon der Gedanke an eine Trennung oder Scheidung im Raum und die Beratung ist der letzte Rettungsversuch.“ 

Um sich zu öffnen, braucht es Vertrauen

Damit sich die Ratsuchenden in den Gesprächen öffnen und von ihren Problemen erzählen, ist eine gute Atmosphäre wichtig. „Sie sollen sich bei uns wohlfühlen und spüren, dass wir den Schritt, sich an uns zu wenden, wertschätzen“, sagt Stachon-Groth. Das beginne schon beim ersten telefonischen Kontakt. „Wenn da zu mir jemand ruppig oder unfreundlich wäre, würde ich das ganze Vorhaben sofort wieder stoppen.“ 
Ebenso wichtig sei das erste Treffen in der Beratungsstelle. Einige würden sofort reden, die Sorgen sprudelten nur so aus ihnen heraus. Andere seien zurückhaltender. „Damit die Menschen sich öffnen, ist es wichtig, Vertrauen zu schaffen“, sagt Stachon-Groth. Sie erklärt etwa, dass sie der Schweigepflicht unterliegt, dass nichts, was gesagt wird, den Raum verlässt. 


Andrea Stachon-Groth ist Lebensberaterin
in Münster. Foto: Achim Pohl

Außerdem achte sie darauf, dass bestimmte Gesprächsregeln eingehalten werden: Jeder darf sich äußern, ohne unterbrochen zu werden. Die Partner sollen wieder lernen, ihre Ohren zu öffnen: Sie sollen sich nicht gegenseitig ins Wort fallen, sondern einander zuhören. „Für manche ist das nach langer Zeit eine völlig neue Kommunikationserfahrung“, sagt Stachon-Groth. So versucht sie, die manchmal hitzigen Gespräche zu verlangsamen. „Ich stelle Rückfragen oder bitte die Partner, das Gehörte noch einmal in eigenen Worten zusammenzufassen. Da ergeben sich oft neue Perspektiven.“ 

Immer wieder fasst sie auch selbst das Gesagte zusammen. „So können die Partner reflektieren, was ihre Worte beim anderen vielleicht auslösen. Manchmal drücken wir uns im Streit einfach ungeschickt aus“, sagt Stachon-Groth. Im Laufe einer Beratung zeigten sich Kommunikationsmuster, die den Streit anfachen. „Die Menschen erkennen: Nicht der andere ist der Feind, sondern das Gesprächsmuster. Die Art, wie wir miteinander reden, ist zerstörerisch. Und daran können wir arbeiten.“

Letztlich sei das ein Ziel der Beratung: Muster aufbrechen, neue Perspektiven entdecken und gemeinsam Lösungsideen entwickeln. Und wenn jemand sich nicht öffnen möchte und die Beratung verweigert? „Das passiert eigentlich nie. Die Ratsuchenden kommen freiwillig zu uns und sind motiviert, ihr Problem anzugehen“, sagt Stachon-Groth. Es gebe immer mal wieder Fälle, etwa in der Beratung von Familien, dass sich zum Beispiel erwachsene Kinder zunächst weigerten, die Eltern zu einem Gespräch zu begleiten. „Da überlege ich dann gemeinsam, welche Argumente es für den Sohn oder die Tochter gäbe, doch zu kommen.“ Man könne etwa hervorheben, dass es ein Neuanfang sei, dass es ein Versuch sei, den Kontakt zueinander nicht völlig zu verlieren und dass man lernen könne, die Vorwürfe fallen zu lassen und stattdessen gemeinsam an der Beziehung zu arbeiten. 

Wunder gibt es auch im echten Leben

Dennoch gebe es bei den Beratungen nie ein bestimmtes Schema, das sich abspielen lasse. „Jede Beratung ist anders“, sagt Stachon-Groth. Sie versteht sich als Begleiterin im Beratungsprozess. „Die Ratsuchenden geben das Tempo vor und ich muss feinfühlig entscheiden, welche Intervention, welcher Impuls oder auch welche Konfrontation gerade richtig sind.“ 

Nach mehreren Treffen schaue man dann: Was hat sich verändert? Hat sich schon etwas gebessert? Woran müssen wir noch arbeiten? „Ich gebe Hilfe zur Selbsthilfe. Das Paar lernt, konfliktreiche Situationen zu entschärfen. Irgendwann können sie dann alleine an ihrer Beziehung weiterarbeiten und brauchen meine Unterstützung nicht mehr“, sagt Stachon-Groth. Manchmal erlebt sie ein ähnliches Wunder, wie der Taubstumme im Evangelium: Paare, die sich nichts mehr zu sagen hatten, lernen einander wieder zuzuhören und miteinander zu sprechen. 

Effata – öffne dich: Das gilt nicht nur für Schwerhörige oder Stumme. Denn nur so gelingt das Leben – damals am See Gennesaret und heute bei uns.