Anfrage

Rücken zum Volk oder Gesicht zu Gott?

Dass ein Priester früher mit dem Rücken zum Volk Messe feiert, wird oft negativ gesehen. Kann man nicht auch sagen: Alle beten mit dem Gesicht zu Gott, also in Richtung des Tabernakels?
Aus Rückmeldungen zum Thema „50 Jahre Neue Messe“

Die Muslime machen es uns vor: Alle richten sich beim Beten in die gleiche Richtung aus: in Richtung des Zentralheiligtums in Mekka. Und niemand würde sagen: Der Imam betet mit dem Rücken zum Volk. Könnte man bei uns nicht ähnlich argumentieren? Kurz gesagt: eher nicht – und das aus mehreren Gründen. 

Erstens würde das Argument nur in Kirchen funktionieren, in denen die Bänke in einer Zentralachse stehen, also ausschließlich in Reihen hintereinander angeordnet sind; und in denen zudem der Tabernakel in der Zentralachse steht, also klassisch mittig hinter dem Altar. Das ist aber längst nicht in allen Kirchen der Fall. Ein Beispiel ist der Osnabrücker Dom: Hier ist der Tabernakel seitlich in der Anbetungskapelle, die auch zum stillen Gebet genutzt wird. Rücken zum Volk hieße in diesem wie in allen ähnlichen Fällen nicht: Gesicht zum Herrn.

Zweitens ist in der Messfeier keineswegs der Tabernakel das Kernsymbol für Christus; das Kernsymbol für Christus ist der Altar. Deshalb küsst der Priester beim Ein- und Auszug den Altar und nicht den Tabernakel. Der Tabernakel soll bei der Messfeier sogar leer sein, denn die Hostien, die zum Leib des Herrn gewandelt werden, stehen idealerweise auf dem Altar, nicht im Tabernakel. Deshalb: Egal, wie herum der Priester steht, er steht immer vor dem Altar und vor Brot und Wein, dem Leib und dem Blut Christi und damit immer mit dem Gesicht zu Christus.

Drittens besteht theologisch ein entscheidender Unterschied zwischen dem gerichteten Gebet von Muslimen und dem Gebet in der Eucharistiefeier: Gemäß dem Wort Jesu „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt bin, da bin ich mitten unter ihnen“, nehmen wir Christen den Herrn in unsere Mitte. Wir stehen ihm nicht gegenüber, sondern versammeln uns um ihn herum. Deshalb umgeben in vielen Kirchen Bänke den Altar von (mindestens) drei Seiten: Weil der Herr in unserer Mitte ist – und im Kreis richten alle das Gesicht auf unsere Mitte, auf Christus.

Susanne Haverkamp