Serie zur Fastenzeit, Teil 4

Ruhe für die Seele

Österliche Bußzeit – so heißen die Wochen vor Ostern. Es ist die Zeit, das eigene Leben zu hinterfragen, falsche Wege zu verlassen und neu zu beginnen. Zum Beispiel im Umgang mit mir selbst. Teil 4 unserer Fastenserie.

Jesus sagt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Damit steht schon in der Bibel ein moderner Grundsatz der Achtsamkeit: Wer für die Sorgen und Nöte der anderen ein offenes Ohr haben möchte, wer für sie da sein will, wer sie wirklich lieben will, der muss zunächst auf sich schauen: Wie geht es mir? Bedrückt mich etwas? Macht mich etwas unglücklich? Was raubt mir, vielleicht auch nur unterbewusst, Kraft? Nur wer um die eigenen Schwächen und Probleme weiß und sich ihnen stellt, kann anderen eine echte Hilfe sein. 
Die Frau, die sich aufopfernd um ihre alten Eltern kümmert, sollte sich fragen: Wann habe ich Zeit für mich? Was tue ich mir Gutes? Das Ehepaar, das sich zwischen Familienalltag und Beruf aufreibt, sollte überlegen: Haben wir unsere Partnerschaft im Blick? Was tun wir für unsere Liebe?
 

Brechen Sie aus Ihrem Alltag aus
Um Antworten auf solche persönlichen Fragen zu finden, braucht  es Zeit. Das lässt sich nicht zwischen den Arztbesuch und den Gang in den Supermarkt schieben. Im Alltag bestimmen viele Pflichten unseren Rhythmus – eine Pause einzulegen, ist manchmal schwierig. Die Fastenzeit kann eine Gelegenheit für einen kleinen Ausbruch sein. Nutzen Sie diese Wochen und blicken Sie ehrlich auf Ihr Leben. Fragen Sie sich: Wo stehe ich? Wie zufrieden bin ich? Wie wichtig ist mir meine Beziehung zu Gott? Wie lebe ich meinen Glauben? Was habe ich vernachlässigt?
Das heißt nicht, dass Sie in den Tagen bis Ostern nur noch um sich selbst kreisen und alle anderen vernachlässigen sollen.Achtsamkeit ist kein Aufruf zum Egoismus, sondern ein Aufruf, behutsam auf die eigenen Ressourcen zu blicken. Im Matthäusevangelium sagt Jesus: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele.“ 
Ruhe finden für die Seele – das geht zum Beispiel in einem Gottesdienst. Oder gehen Sie in der Fastenzeit bewusst einmal in der Woche, außerhalb einer heiligen Messe, in eine Kirche. Lassen Sie die Gerüche auf sich wirken. Lauschen Sie dem dumpfen Lärm von Autos, die vorüberfahren, und genießen Sie die Stille im Inneren. Entzünden Sie eine Kerze und sprechen ein Gebet: Bitten Sie Gott um seinen Beistand und danken Sie ihm für seine Hilfe. 
Vielleicht haben Sie in Ihrer Gemeinde die Möglichkeit, sich zu Exerzitien anzumelden – auch über die Fastenzeit hinaus? In einer Gruppe fällt es Ihnen vielleicht leichter, einen neuen Zugang zu Ihrem Glauben zu finden und Kraft zu schöpfen. Oder Sie verbringen einige Tage in einem Kloster. In Gesprächen mit Seelsorgern dort entdecken Sie vielleicht ganz neue Blickwinkel, können Ihre Gedanken sortieren und neu entwickeln.


Ostern mit neuer Kraft feiern
Wenn Sie sich trauen, kritisch auf Ihr Leben zu blicken, werden Sie erleben, wie kraftvoll diese Gedanken sein können. Sie können ein ganzes Leben auf den Kopf stellen, aber auch im Kleinen schon ihre Wirkung entfalten. Vielleicht fühlen Sie sich manchmal in Ihrem Alltagstrott gefangen? Vielleicht wünschen Sie sich mehr Zeit für Ihre Familie? Vielleicht belastet Sie ein Streit mit einem Freund?
Blicken Sie auf sich, entdecken Sie, was gut und schlecht ist, und schöpfen Sie neue Kraft. Dann können Sie sich auch wieder ganz auf Ihren Nächsten konzentrieren: Laden Sie Ihre Enkel zum Spielen ein oder versuchen Sie, pünktlich Feierabend zu machen, um noch Zeit für Ihre Kinder zu haben. Wagen Sie den ersten Schritt und bitten jemanden um 
Verzeihung. 
Nutzen Sie die Fastenzeit, um Jesu Gebot der Nächsten- und Selbstliebe umzusetzen. Dann können Sie das Osterfest mit neuer Kraft feiern.

Von Kerstin Ostendorf