Neuinszenierung an der Elbphilharmonie

Sankt Franziskus sorgt für Spektakel

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Dirigent steht vor Orchester
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Foto: Claudia Höhne

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Kent Nagano dirigiert auch bei der Neuinszenierung von Saint François d’Assise das Orchester im Großen Saal der Elbphilharmonie.

Interview mit dem Hamburgischen Generalmusikdirektor Kent Nagano zur Neuinszenierung der Oper Saint François d’Assise von Olivier Messiaen.

Stege führen über die Bühne, über der ein großer LED-Ring hängt, eine Sängerin scheint darüber zu schweben – am 2. Juni beginnt im Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg um 17 Uhr die Premiere einer der aufwendigsten Aufführungen in Hamburgs Elbphilharmonie: die Neuinszenierung der Oper Saint François d'Assise von Olivier Messiaen. Die musikalische Leitung liegt beim Hamburgischen Generalmusikdirektor Kent Nagano. Er war auch 1983 an der Uraufführung des Werks über den heiligen Franziskus in Paris beteiligt, wo er damals ein Jahr bei dem Komponisten und seiner Frau gelebt hat. Im Vorfeld äußerte sich Nagano zu der Koproduktion der Staatsoper Hamburg mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg und der Elbphilharmonie.

Maestro, Saint Francois d'Assise ist im eigentlichen Sinne keine Oper, oder?

Olivier Messiaen nannte es ein "Spectacle". Es handelte sich ja um einen Auftrag der Pariser Oper. Messiaen hatte aber Zweifel, ob er tatsächlich eine Oper schreiben kann. Er ließ sich von Hector Berlioz inspirieren. Berlioz hatte Werke komponiert, die weder eine Oper noch ein Oratorium sind und sie "Spectacle" genannt. Das regte Messiaen dazu an, über das Leben des heiligen Franziskus ein Theaterstück zu verfassen, das natürlich auf einer Partitur beruht, und es im Anschluss an Berlioz ebenfalls "Spectacle" genannt.

Was ist Ihnen in Bezug auf die Arbeit mit Messiaen 1983 noch in besonderer Erinnerung?

Es gibt acht Tableaux in Saint Francois d'Assise. Diese Bilder sind inspiriert von den Giotto-Fresken in der Basilica San Francesco in Assisi. Messiaen sagte mir, er werde mir nacheinander die Partituren zu den Bildern schicken, und zwar immer eine, mit der er gerade fertig geworden sei. Als erstes schickte er mir Tableau Nummer sieben. Dann kam Tableau drei. Dann kamen Nummer vier und fünf zusammen, anschließend Nummer eins. Ich war natürlich besonders gespannt auf das Tableau, das die Vogelpredigt des heiligen Franziskus thematisiert. Es kam aber nicht. Stattdessen kam Nummer acht. Und ich wartete und wartete. Die längste Partitur, eben die zur Vogelpredigt, kam dann zum Schluss. Das war wie Weihnachten. Sie war aber für Messiaen eine besondere Herausforderung. Denn: Wie soll man eine Predigt in Form eines Musiktheaters komponieren? Das ist sehr kompliziert. Aber er hat das genial gelöst. Er hat nur für diese Szene viele neue Kompositionstechniken entwickelt.

Inwieweit gibt es bei den anstehenden Aufführungen in der Elbphilharmonie Veränderungen gegenüber der Uraufführung?

Ein "Spectacle" zeichnet auch eine sehr starke Interaktion mit dem Publikum aus. Der Dialog mit dem Publikum kommt durch das Theater, durch Drama, durch Musik zustande. Aber Bühnenbild und Kostüme werden eher vom Publikum imaginiert, erscheinen in der Vorstellung der Zuschauer. So war jedenfalls Messiaens Konzept. Er sagte mir, dass konkrete Bühnenbilder und Kostüme die Teilnahme des Publikums zu sehr einschränkten. Er war mit der Uraufführung und auch späteren Aufführungen nicht unzufrieden, aber er sagte doch sehr deutlich, dass man dabei eben dieses Konzept von ihm nicht verstanden habe. Mich begeistert, dass sich Georges Delnon bei der Inszenierung für die Elbphilharmonie von konkreten Bühnenbildern und Kostümen entfernt hat. Natürlich gibt es auch einen starken visuellen Aspekt, aber er ist sehr abstrakt gehalten. Das erlaubt es dem Publikum, die Musik von Messiaen besser aufzunehmen und seine eigenen Vorstellungen einzubringen. Die Aufführungen in der Elbphilharmonie entsprechen eher Messiaens Konzept.

Welche Rolle spielte Religiosität für Messiaen?

Messiaen war tief gläubig. Der Glaube spielte die Hauptrolle in seinem Leben. Der Glaube, das Gespräch mit Gott und religiöse Schriften waren seine Inspirationsquellen, die ihn auf wundersame Weise in die Lage versetzten, ein Kunstwerk hervorzubringen. Heute, mit dem Blick aus dem 21. Jahrhundert sehen wir, dass er aus dieser Inspiration heraus viele Meisterwerke geschrieben hat.  Aber er erwartete nicht, dass die Zuhörer seine Musik ebenso aus solcher Gläubigkeit heraus erfahren, sondern dass sie sie aus ihrer individuellen Lebenserfahrung und ihrer Vorstellungskraft heraus entdecken. Messiaen ist mehrfach gefragt worden, ob man Katholik sein müsse, um seine Musik zu verstehen. Und er hat stets gesagt: absolut nicht.

Im fünften Tableau kommt ja der Engel und sagt zu Franziskus: Gott wird zu Dir in der Musik sprechen. Können Sie das persönlich nachvollziehen?

Selbstverständlich. Durch Musik fühlt man eine andere Dimension außerhalb der drei Dimensionen des Raums. Wer regelmäßig zur Kirche geht, kommt dabei auch regelmäßig in die vierte und fünfte Dimension. In der Oper gibt Messiaen eine sehr genaue Beschreibung der Farben, die der Engel zur Musik sieht. Die Harmonien beim Geigenspiel des Engels sind eine Resonanz des gesamten Himmels, des Universums. Das ist für mich ein sehr schönes und inspiriertes Bild. Als Musiker verbinden wir immer Töne mit Farben. Das hat Messiaen in den Auftritt des Engels eingebracht. Es bleibt eine Schönheit, und zwar nicht im Sinne von "hübsch". Denn man erfährt die Schönheit nicht so sehr durch die Augen. Die Welt öffnet sich in diesem Moment. Das ist anders als in anderen Tableaux, in denen Hass, Gewalt und Misstrauen Themen sind.

Welche Rolle spielen denn Religiosität und Kirche für Sie?

Ich komme aus einem kleinen abgelegenen Dorf in Kalifornien. Dort lebten viele Immigranten aus Europa und Japan. Mein Klavierlehrer kam aus München. Daher habe ich eine gewisse europäische Prägung. Ich habe ihn an sechs von sieben Tagen der Woche gesehen, um Klavier zu üben und auch für Orchesterproben. Dreimal in der Woche habe ich ihn auch in der Kirche getroffen, denn er war überdies Chorleiter. Vom dritten Lebensjahr an bin ich mit der Kirche aufgewachsen. Durch die Kirche habe ich viel Unterstützung bei meiner musikalischen Ausbildung erfahren. Nicht nur im Chor, an der Bratsche, sondern auch an der Orgel und durch die Musik im Gottesdienst. Messiaen und ich hatten somit von Anfang an einen ähnlichen Lebensstil und daher harmonierten wir auch menschlich. Ich bin mit ihm zu den Gottesdiensten in Saint Trinité gegangen, wo er bis ans Lebensende als Organist tätig war. Natürlich war ich fasziniert von seinen Improvisationen während der Kommunion, die auf einem ganz anderen Niveau waren als meine Improvisationen. Da das so selbstverständlich war, haben wir auch nur sehr selten über Religion gesprochen. Religion gehörte ganz normal dazu. 

Welche Bedeutung hat der heilige Franziskus für Sie?

In meiner Familie, einer Bauernfamilie, spielte der heilige Franziskus eine große Rolle. Meine Mutter erzählte uns häufig aus seinem Leben. Wir haben sehr oft die Benediktion von Franziskus gelesen. Ich bin eigentlich inmitten der Natur aufgewachsen. Der heilige Franziskus hat ein besonderes Verhältnis zur Natur. Es war normal für ihn, mit der Natur, mit Tieren zu reden. Das spielte auch für uns Kinder damals eine große Rolle. Manche finden das vielleicht merkwürdig, aber eigentlich ist das ganz normal. Zuhause spricht man ja auch mit dem Hund oder der Katze. Uns Kindern gab Franziskus eine schöne Bestätigung, dass es völlig in Ordnung ist, so mit der Natur zu kommunizieren.

Welche Bedeutung hat der Heilige denn Ihrer Meinung nach gesellschaftlich?

Das Thema Natur hat heute eine dramatische Bedeutung. Stets geht es in den Nachrichten um das Klima und wir hören von Naturkatastrophen. Ich denke, dass die Ideen von Franziskus daher auch präsent bleiben, selbst, wenn immer weniger Menschen in die Kirche gehen oder aus christlichen Kirchen hierzulande austreten. In diesem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung, dass Franziskus aus einem bestimmten Wertesystem in eine neues Wertesystem wechselte. Er kam aus einer reichen Kaufmannsfamilie, verzichtete auf sein Erbe und lebte in Armut. 

Weitere Vorstellungen am 6. und 9. Juni jeweils um 17 Uhr. Tickets kosten zwischen 23 und 129 Euro und sind über die Website www.staatsoper-hamburg.de zu erwerben.

Interview: Matthias Schatz