Woche für das Leben
Sehen Sie hin! Helfen Sie!
Etwa 10 000 Menschen nehmen sich in Deutschland jedes Jahr das Leben. Die großen Kirchen wollen dagegen etwas tun. Sie widmen die Woche für das Leben in diesem Jahr dem Thema Suizidprävention. Und klären darüber auf, wie jeder von uns verzweifelten Menschen Mut machen kann.
Wenn ein Mensch suizidgefährdet ist, dann sendet er häufig Signale aus. Er wirkt ängstlich, hoffnungslos, verzweifelt. Vernachlässigt seine Freunde und seine Hobbys. Klagt, er sei anderen eine Last. Oder kündigt sogar an, dass er sich das Leben nehmen will. Dann braucht er Menschen, die ihm zuhören, seine Sorgen ernstnehmen und ihm professionelle Hilfe vermitteln. Aber wie genau geht das? Wie deute ich Signale? Und: Was treibt einen Menschen überhaupt in tödliche Verzweiflung? Darüber wird selten geredet.
„Suizid ist immer noch ein Tabu“, sagt Barbara Schneider, die Vorsitzende des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland. „Viele Leute haben Angst vor dem Thema Suizidalität – weil sie Angst haben vor dem Thema Tod.“ Sie will das ändern – und betont: „Jeder Mensch kann in eine Situation kommen, in der er überlegt, sich das Leben zu nehmen. Und jeder kann mal in eine Krise geraten, die ihm ausweglos erscheint.“
Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) unterstützen Schneiders Anliegen, sie widmen die Woche für das Leben vom 4. bis 11. Mai der Suizidprävention. Der DBK-Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strom wollen zeigen, „dass wir zur Stelle sind, wenn Menschen uns brauchen, und dass wir ihnen helfen möchten, eine Krise zu überwinden und neue Lebensperspektiven für sich zu entwickeln“.
Etwa 10 000 Menschen nehmen sich in Deutschland jedes Jahr das Leben. Viele von ihnen sind psychisch krank. Fast 80 Prozent der Opfer sind Männer – auch weil sie häufiger unter Suchterkrankungen leiden und sich seltener Hilfe suchen. Mit zunehmendem Alter steigt das Suizidrisiko stark an. Weil manche Menschen so sehr daran leiden, krank, pflegebedürftig und abhängig zu werden und den lange gewohnten Einfluss in der Familie, im Beruf und in der Gesellschaft zu verlieren. „Wir sollten hingucken“, sagt die Psychiaterin und Psychotherapeutin Schneider. „Wir sollten das Thema nicht dramatisieren, aber wir sollten offen damit umgehen.“
„Denkst du daran, dir etwas anzutun?“
Diese Offenheit kann entscheidend helfen, verzweifelte Menschen zu retten. „Es ist immer richtig, seine Sorge um den anderen anzusprechen“, sagt Schneider. Niemand sollte Angst haben, dass er damit jemanden erst auf falsche Gedanken bringt. Wer fürchtet, sein Partner, seine Freundin oder sein Nachbar wolle sich das Leben nehmen, der sollte ihn direkt fragen: „Geht es dir so schlecht, dass du am liebsten Schluss machen würdest? Denkst du daran, dir etwas anzutun? Wie kann ich dir helfen?“
Zögern sollte man mit solchen Fragen nicht – auch weil suizidale Krisen meistens kurz und extrem mächtig sind. Vom Entschluss zum Suizid bis zum Suizidversuch dauert es in 97 Prozent aller Fälle weniger als 24 Stunden. In dieser Zeit, so beschreiben es Betroffene, beherrschen die Suizidvorstellungen das ganze Denken. „Wichtig ist zu vermitteln, dass Hilfe möglich ist“, sagt Schneider. Dann kann langsam Hoffnung wachsen.
Andreas Lesch