Oberammergauer Passion verschoben – Oberspielleiter nach der Absage
Seine Passion
Das Spiel von Tod und Auferstehung ist verschoben. Die Oberammergauer Passion findet dieses Jahr nicht statt. Wenn Träume nicht wahr werden: Oberspielleiter Christian Stückl nach der Absage seines Herzensprojekts. Von Ruth Lehnen.
Christian Stückl sind die Tränen gekommen. Er hatte so vernünftig gesprochen. Gesagt, dass er kein gutes Gefühl mehr gehabt hat in den vergangenen Wochen. Gesagt, dass es einfach zu viele Menschen auf einem Fleck gewesen wären, 2400 Mitspieler, 4500 Zuschauer jeden Tag. Wenn die Oberammergauer die Passion spielen, dann ist das etwas richtig Großes. Und deshalb muss sie in Zeiten wie diesen verschoben werden, auf das Jahr 2022. „Wir werden irgendwann weitermachen, wir sind guter Dinge“, sagt er, und dann kommen ihm die Tränen. Abgang.
Nach der Verschiebung ein Gefühl wie „ein hohles Loch im Bauch“
Einen Tag später wirkt er gefasst. Klar, er habe ein Gefühl wie ein „hohles Loch im Bauch“. Aber es ist auch ein bisschen wie eine Befreiung.
Die Oberammergauer Passion hat so eine lange Tradition, Verschiebungen hat es immer wieder gegeben. Gerade vor 100 Jahren sei die Passion wegen der Spanischen Grippe ebenfalls um zwei Jahre verschoben worden. Das teilt er mit denen, die vor ihm da waren: „Du denkst, du hat alles im Griff, aber du merkst, du hast gar nichts im Griff.“
Um zu verstehen, was in dem 59-Jährigen gerade vorgeht, muss man wissen, was er investiert hat. Seit Monaten steckt er in der Probenarbeit, und die geht bei Stückl Wort für Wort, Satz für Satz. Mit seinen Laienschaupielern hat er fast jeden Abend am Tisch gesessen. „Der Text ist für mich wahnsinnig wichtig“, hat Stückl in einem Interview gesagt. „Wie wir es sagen, warum wir es sagen!“ Alles, was auf der Bühne geschieht, muss für ihn „von innen rauskommen“.
Und im Mittelpunkt von allem steht für ihn Jesus. An ihm arbeitet er sich ab, seit er als Oberammergauer Kind bei den ersten Proben des Passionsspiels dabei war und seinen Großvater auf der Bühne sah.
Hätte nicht Jesus jetzt was für ihn tun müssen, für die Passion, für die Welt, die vom Coronavirus gerade ganz und gar verändert wird? Hätte der Herr, zu dessen Ehren gespielt wird, das nicht verhindern müssen? Solche Gedanken sind dem Theatermacher fremd: „Alles, was wir nicht verstehen, schieben wir auf Gott. Ein Gott, der mit uns Spielchen spielt, sowas glaube ich nicht.“ Bei allem, was leidvoll sei, auf Gott zu zeigen und zu sagen: „Das mir, warum das mir?“ – das lehnt er ab.
Und Jesusdarsteller Frederik Mayet sagt: „Bei uns geht es nur um ein Spiel, woanders geht es um Existenzen.“ Und um Leben und Tod.
Jesus fragt die Jünger: „Warum seid Ihr so traurig?“
Die Frage nach dem Tod, die sich jetzt gerade wieder so leidvoll stellt, die hat Christian Stückl mit seinen Darstellern genau besprochen. Der Mann, der die Bibel auswendig zu kennen scheint, hat alles versucht, um seinen Schauspielern den Galiläer näherzubringen. Den Kern der Passion: Was ist da los bei Jesus? Beim Abendmahl habe Jesus Stärke bewiesen. Nicht die Jünger fragten ihn, warum er traurig ist, er fragt die Jünger: Warum seid ihr so traurig? „Erst als er allein ist, am Ölberg, da kommt der Zusammenbruch“, hat Stückl seinen beiden Jesusdarstellern eingeschärft. „Und dann kommt der Engel und gibt ihm Kraft.“ Wenn die Entscheidung gefallen ist, wird man ruhiger, das sollten sie beherzigen.
Der Theatermacher, der rastlos lebt und rastlos raucht – in seinem übergroßen Aschenbechern häufen sich die Sargnägel – spricht von innen raus über Jesus, und wer Ohren hat zu hören, hört immer auch die Sehnsucht, die ihn selbst umtreibt: Kann man dem Jesus in dieser Sache auch trauen? Kann einer die Angst vorm Tod verlieren? Kommt da noch was nach dem Tod?
Bei jeder Probe hat er alles gegeben – jetzt ist es vorbei
Oberspielleiter Stückl mit den grauen Locken, dem Bart und den abgewetzten Haferlschuhen wollte die Antwort darauf auf die große Bühne des Oberammergauer Freilufttheaters stellen. Er hat alles dafür gegeben. Bei jeder Probe hat er die Rollen vorgesprochen, in den Dialekt übersetzt, die Darsteller aus der Reserve geholt, ist er rumgetigert, hat auch mal geschrien, dann war er wieder sanft, väterlich, witzig.
Jetzt ist alles vorbei, und doch nicht vorbei. Es ist nur eine Pause. Danach werden die Oberammergauer weitermachen. Wie seit 1634.
Christian Stückl hat angekündigt, dass sich die Textfassung gegenüber der aktuellen Spielfassung verändern wird. Aber das ist nichts Außergewöhnliches: „Bei jeder Probe verändere ich die Fassung. Ich kann nicht einfach Gedanken, die ich 2020 hatte, auch 2022 haben.“ Die Welt wird anders und somit auch das Spiel.
Zur Sache: 42. Passion
- Wegen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sind die Oberammergauer Passionsspiele auf 2022 verschoben worden. Die darauffolgenden Passionsspiele finden 2030 statt.
- Seit 1634 zeigen die Menschen aus dem Dorf in den bayrischen Alpen die letzten Tage Jesu auf der Bühne: Vom Einzug nach Jerusalem bis zur Kreuzigung und Auferstehung. Sie folgen damit einem Pestgelübde.
- Zu den 103 geplanten Aufführungen waren Menschen aus aller Welt erwartet worden.
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