Pfarrer Bruno Kant ist 105 Jahre alt

Signale stellen für das Leben

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„Ich weiß nicht, warum ich so alt geworden bin. Ich war nie eine kräftige Natur.“ Pfarrer Bruno Kant ist 105 Jahre alt. Er wohnt in Löschenrod – seit 31 Jahren im Ruhestand. Nach seiner Zählweise hat er sich erst mit 100 zur Ruhe gesetzt.



Pfarrer Bruno Kant und seine Nichte Beate


Der älteste Priester im Bistum Fulda kann noch in den eigenen vier Wänden leben. Möglich machen dies Pflegekräfte, die ihn versorgen. Dafür ist die Nichte des Geistlichen dankbar. Beate Kant lebt in Mainz. Sie schaut regelmäßig nach ihrem Onkel, meist einmal in der Woche ist sie in Löschenrod. Ihr Vater Hans lebt in Gelnhausen. Der jüngere Bruder von Pfarrer Kant ist 103 Jahre alt.
Die Älteste der noch lebenden Geschwister – sie waren vier Jungen und vier Mädchen – ist Elisabeth Schwarzkopf. Mit 106 Jahren ist sie die älteste Bürgerin von Münster/Westfalen. „Ich habe vergangene Woche mit ihr telefoniert. Sie hat mir ein Ohr abgequatscht“, erzählt Beate Kant. Da  unterscheidet  sich  die  Schwes-ter von ihrem Bruder. Bei Pfarrer Kant sind die Augen hellwach. Aber das Hören fällt ihm schwer.

Mit den Pflegekräften wird Polnisch gesprochen

Pfarrer Kant wurde mitten im Ersten Weltkrieg 1916 in der Kaschubei nordwestlich von Danzig geboren. „Mein Vater war dort Lehrer“, erklärt der Priester. Als das Gebiet nach dem Krieg polnisch wurde, zog die Familie nach Danzig. Dort ist Kant aufgewachsen, hat mit 18 Abitur gemacht. Nach einem halben Jahr Arbeitsdienst begann er das Theologiestudium. „Die Kirche war das, was mir wichtig war. Dann kamen die Nazis an die Macht. Aber diese Richtung hat mir und meiner Familie nicht behagt“, betont er. So habe sein Vater sich geweigert, keinen Polnisch-Unterricht in Danzig mehr zu geben. Er wurde zwangsversetzt.
Apropos Polnisch: Mit den polnischen Pflegekräften spricht Pfarrer Kant in deren Muttersprache. Das verdankt er dem Bischof von Danzig. „Er sagte mir, dass ich als künftiger Priester auch Polnisch können muss, denn es gab eine polnische Minderheit im Bistum. Deshalb habe ich ein Semester Polnisch studiert.“
Kant könnte schon fast 80 Jahre Priester sein, wäre nicht der Krieg dazwischen gekommen. Bei Kriegsbeginn kam er zur Reichsbahn. Dann folgten zwei Jahre beim Militär. Der Priester zieht den Ärmel seines rechten Unterarms hoch. Dort sind die Spuren seiner Verwundung durch einen Granatsplitter zu sehen.
1948 wurde Kant aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Seine Mutter war inzwischen in Gelnhausen. Die Frage, die sich ihm stellte: Setze ich mein Theo-logiestudium fort oder mache ich bei der Eisenbahn weiter. Kant: „Als Eisenbahner stelle ich Sig-nale. Und auch als Priester stelle ich Signale für das Leben.“ In Gelnhausen fand er damals mit Otto Boden einen guten Pfarrer. Er war es auch, der mit dem Roten Kreuz die kinderreiche Familie wieder zusammenbrachte.

„Dass der Herrgott mich zu sich holt“

Die Priesterweihe empfing Kant 1950. Nach Kaplansjahren wurde er 1960 Pfarrer in Marbach. Auch im Ruhestand in Löschenrod hat sich Kant als „Kaplan“ lange Jahre um die Seelsorge gekümmert. Ausdruck der Wertschätzung ist, dass in Marbach eine Straße und in Löschenrod ein Platz nach ihm benannt sind.
Pfarrer Kant lebt mit seinen 105 Jahren nicht nur in der Vergangenheit. „Durch die Pandemie ist das kirchliche Leben sehr stark betroffen“, sorgt er sich um die Zukunft der Kirche. Aber mit Blick auf seine Erfahrungen im Leben fügt er ein Evangelienwort hinzu: „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden.“ Und mit „sie“ meint er die Kirche.
Bleibt die Frage, was sich ein 105-Jähriger noch wünscht. Pfarrer Kant denkt einen Moment nach und sagt dann: „Dass der Herrgott mich zu sich holt. Er hat mich geführt. Und ich habe mich führen lassen.“

Von Hans-Joachim Stoehr