Über Jahrhunderte hielt die Kirche Sklavenhandel für gerechtfertigt

Sklaven? Ja, bitte!

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Das Thema Sklaverei ist kein Ruhmesblatt für die Kirche. Über Jahrhunderte hielten Christen – wie Paulus in der Lesung – Sklavenhaltung für gerechtfertigt. Sie besaßen sogar welche. Erst im 19. Jahrhundert begann das Umdenken.

Kreuz aus Ketten als Sklavendenkmal vor Kirche in New Orleans
Sklavendenkmal vor der Kirche Sankt Augustine in Treme, einem Stadtteil von New Orleans (USA). Foto: kna/Katharina Ebel

Philemon ist Christ, vermutlich Leiter einer Hausgemeinde in Kolossä. Und er ist Sklavenhalter. Paulus schreibt ihm einen Brief, den kürzesten im Neuen Testament. Der Anlass: Im Gefängnis hat Paulus Onesimus kennengelernt. Paulus saß wegen christlicher Umtriebe dort ein, Onesimus, weil er ein entlaufener Sklave war. Und das geht natürlich nicht, dass Sklaven ihrem rechtmäßigen Herrn davonlaufen.

Paulus hat Onesimus wohl vom Glauben an Jesus Christus überzeugt, ihn vielleicht sogar getauft. Das ändert aber nichts an seinem Status als Sklave. Deshalb muss er zurück zu seinem Herrn – mit einem Begleitbrief. Wer aber vermutet, darin fordere Paulus Philemon auf, seine Sklaven freizulassen, staunt. „Die ersten Christen hatten in der Regel kein Problem mit der Sklaverei“, sagt Nadine Breitbarth. Die Theologin aus Mainz hat in dem Forschungsprojekt „Theologie und Sklaverei“ mitgearbeitet, das das Thema in einem Längsschnitt durch die Geschichte untersuchte; ihr Schwerpunkt lag auf der Antike.

„Unsere Vorstellung davon, dass alle Menschen Gott ebenbildlich sind und deshalb die gleichen Rechte und die gleiche Würde haben, ist eine sehr moderne Vorstellung“, sagt sie. „Einen Widerspruch zwischen der Vorstellung, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes ist, und dem Bestehen der Sklaverei sahen die Menschen in der Antike nicht.“ Auch sein Status als Christ ändert für Onesimus nichts. „Paulus versteht Freiheit an vielen Stellen als innere Freiheit, als Freiheit von Sünde und Tod“, sagt Breitbarth. „Ein Christ soll sich von der inneren Versklavung befreien, der gesellschaftliche Status ist davon völlig unabhängig.“ So ist auch die Stelle aus dem Galaterbrief zu verstehen, wo es heißt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Galater 3,38). „Alle dürfen gleichermaßen am Gottesdienst teilnehmen“, sagt Breitbarth, „innerlich ist man Bruder, äußerlich bleibt man Sklave.“

Die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse – also auch die Unterscheidung zwischen Sklaven und Freien – akzeptiert Paulus, auch angesichts seiner Naherwartung. „Paulus meint, dass jeder in seinem Stand bleiben und innerhalb dieses Standes innere Freiheit gewinnen soll“, sagt Nadine Breitbarth. 

Freilassung als einmaliger Gnadenakt


Das gilt natürlich auch für Onesimus. Nur hat Paulus für ihn gewisse andere Pläne. Onesimus scheint ein gebildeter Mann gewesen zu sein, vermutlich als Haussklave zuständig für Verwaltungstätigkeiten. Paulus hat ihn schätzen gelernt und würde ihn gern als Mitarbeiter behalten. Kann er aber nicht, weil Onesimus ja Philemon gehört. Deshalb bittet er in seinem Brief für – oder vielleicht auch um – Onesimus. Philemon könnte ihn, ganz freiwillig natürlich, freilassen und zu Paulus zurückschicken. 

Das wäre ein großes Zugeständnis, denn eigentlich hatte ein entlaufener Sklave mit Bestrafung zu rechnen. Schläge, Fesseln, Brandmarkung, etwas in der Art. Freiwillige Rückkehr, tätige Reue und ein einflussreicher Fürsprecher wie Paulus konnten die Strafe mindern. Aber freilassen? Das wäre eine absolute Ausnahme, eine besonders „gute Tat“, wie Paulus selbst schreibt.

Doch wenn schon Sklaverei für die Christen eine ganz normale Lebensweise war, waren sie dann wenigstens besonders gute Sklavenhalter? „Es gibt schon Texte aus der christlichen Antike, die betonen, dass Sklavenhalter eine besondere Verantwortung haben“, sagt Nadine Breitbarth und nennt das geforderte Verhalten "liebespatriachal“: Die Herren besitzen uneingeschränkte Verfügungsgewalt über ihre Sklaven und Sklavinnen, sie sind aber der Nächstenliebe verpflichtet. „Dieses Beziehungsmuster wird für alle Über- und Unterordnungsverhältnisse gefordert“, sagt die Theologin und nennt als Vergleich die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, Männern und Frauen, Gott und Mensch. „Der jeweils Übergeordnete hat das Recht, ja, die Pflicht, zu erziehen, zu bestrafen – natürlich immer zum Wohle des Untergeordneten.“ 

Auch ungeschuldete Gnade gehört zum Recht des Übergeordneten: So wie bei Philemon, der offenbar dem Bitten des Paulus nachgab, Onesimus freiließ und zu Paulus zurückschickte, wie der Kolosserbrief (4,9) andeutet. Später soll er gemäß einer alten (unbiblischen) Tradition sogar Bischof von Ephesus geworden sein.

An der grundsätzlich positiven Beurteilung der Sklaverei änderte das jahrhundertelang nichts. Ein Beispiel dafür ist die Sklaverei in den Kolonialgebieten Amerikas. „Die Kirche lieferte sogar eine theologische Begründung für die legitime Versklavung von Afrikanern“, sagt Nadine Breitbarth. „Alle dunkelhäutigen Menschen wurden als Nachkommen Hams gesehen, dem zweiten Sohn Noahs. Nach einer bestimmten Überlieferungsgeschichte wurde dieser verflucht und zum Sklaven seiner Brüder bestimmt“, erläutert die Theologin die Interpretation der Erzählung im Buch Genesis (9,20-27). Und so gab es im 19. Jahrhundert zwar durchaus Kritik an der Versklavung der indigenen Völker Amerikas – nicht aber an der von Schwarzafrikanern.

Sklaven als Mitgift für das Kloster

In den USA wird diese umrühmliche Geschichte der Kirche gerade aufgearbeitet. Denn Pries-ter, Bischöfe und Ordensgemeinschaften haben in früheren Jahrhunderten nicht nur Sklaven besessen, sondern waren sogar aktiv in den Sklavenhandel verwickelt. Manche junge Frauen bekamen von den Eltern Sklaven geschenkt, die sie dann als Mitgift mit ins Kloster nahmen.

Ein anderes Beispiel ist die hoch angesehene Jesuiten-Universität Georgetown. Wie 2016 die „New York Times“ berichtete, verdankte die Universität im Jahr 1838 ihr finanzielles Überleben nur dem Verkauf von Sklaven. 272 Frauen, Männer und Kinder brachten so viel Geld ein, dass die Schulden getilgt werden konnten, so ist es historisch belegt. Erst gerade haben die Studenten von Georgetown deshalb für die Einführung einer Zusatzgebühr gestimmt, mit der quasi als Sühne benachteiligte Gemeinden unterstützt werden sollen, in denen Nachfahren der einst verkauften Sklaven leben.

Ausdrücklich verurteilt wurde die Sklaverei seitens der katholischen Kirche übrigens erst spät: 1888 von Papst Leo XIII. und noch einmal 1965 vom Zweiten Vatikanischen Konzil.

Susanne Haverkamp