Alte Mauern – neues Leben

Speisen in Zisterziensermauern

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„Alte Mauern – neues Leben“: Einmal im Monat führt die Reiseseite der Kirchenzeitung zu Stätten, an denen einst kirchliches Leben blühte. Wo im Mittelalter unverheiratete Töchter beteten, werden heute Hochzeiten gefeiert: in Wasems Kloster Engelthal in Ingelheim.



Der einstige Klosterhof lädt zum Essen und Trinken ein. Im Gebäudes links im Erdgeschoss befanden sich die Zellen der Nonnen.


Den „Jungfernpfad“ gibt es heute noch. Eine Gasse in Ober-Ingelheim unweit des ehemaligen Klosters Engelthal. „Auf diesem Weg gingen damals die Nonnen zur Kirche im Ort“, berichtet Karin Wasem, was überliefert ist. Sie und ihr Sohn Gerhard Wasem führen beim Ortstermin durch die Gebäude des heutigen „Wasems Kloster Engelthal“.
Gut restaurierte Bruchsteinmauern, vor denen üblicherweise edle Weine ausgeschenkt werden, lassen erahnen: Hier stehen die Füße auf geschichtsträchtigem Boden – auf dem heute wohl nicht selten getanzt wird bei rauschenden Festen. Wasems Kloster Engelthal das bedeutet: Restaurant, Vinothek, Location für Hochzeiten, Geburtstage, Tagungen sowie ein Veranstaltungsbüro für Kommunikations- und Kreativprogramme.  
Seit zwölf Jahren gehört die einstige Klosteranlage samt Gelände der Familie Holger Wasem. Am 7. Juni 2009 erwarb sie das denkmalgeschützte Anwesen von den Vorbesitzern, die sich ab 1978 nur noch dem Weinbau gewidmet hatten auf dem Hof, der viele Jahre als landwirtschaftlicher Gemischtbetrieb mit Milchvieh, Obst und Weinbau bestand.

300 Jahre bestand der Konvent

Im Innenhof zeigt Gerhard Wasem auf das gegenüberliegende Fachwerkhaus, das ehemalige Konventgebäude. „Das ist der ursprünglichste Teil, der noch von der mittelalterlichen Bausubstanz übriggeblieben ist. Dort, wo das Mauerwerk zu sehen ist, befanden sich die Zellen der Nonnen.“
Im Jahr 1290  erwähnte eine Urkunde erstmals den Ingelheimer Konvent. In den Höfen rundherum residierten adlige Familien. Sie stifteten das Kloster, vor allem, um ihre unverheirateten Töchter unterzubringen. Aber auch junge Adlige und alleinstehende Frauen aus anderen Orten traten dort ein. Die heutige Edelgasse, in der sich das Klos3ter als Hausnummer 15 befindet, verweist noch auf den Ingelheimer Landadel. 300 Jahre bestand der Konvent, der zum Zisterzienserorden gehörte und seelsorglich vom Kloster Eberbach im Rheingau betreut wurde. Namen von Äbtissinnen wie Elisabeth, Uda, Margarethe oder Clara von Engelthal sind aus den Quellen bekannt. Im Zuge der Reformation wurde das Kloster 1573 aufgehoben. Kurfürst Friedrich III. übergab den Besitz einem seiner Berater. Vermutlich wurde ein Großteil des Anwesens im Dreißigjährigen Krieg zerstört. So die Geschichte des Klosters, deren schriftliche Zeugnisse rar sind, wie Gerhard Wasem weiß. Seine Mutter macht auf eine der Außenmauern des Klosters aufmerksam, „die zugleich die frühere Stadtmauer gewesen sein muss“. Das passt zu einem weiteren Puzzleteil, um die Vergangenheit zu rekonstruieren: Ein paar Schritte vom Anwesen entfernt steht ein wie aus der Zeit gefallenes Relikt zwischen Straßenkreuzung und Obstwiese, eines der Ingelheimer Stadttore.

Heute barrierefrei

Die Reste der Klostergemäuer Engelthal samt Klostermühle überdauerten die Epochen. Irgendwann wurde der Ort genutzt, um zum Lebensunterhalt der Bevölkerung beizutragen. Ein Bauernhof entstand dort. Das bezeugen die Wirtschaftsgebäude aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zum Beispiel die ehemalige Scheune, die man sich meterhoch mit Heu bis unters Dach vorstellen kann. Heute stehen Tische und Bänke darin, und Teilnehmer eines Kreativtags etwa, die den Raum dafür buchen können, haben hier viel Luft über ihren grauen Zellen. „Die Holzbalken sind alle noch erhalten“, bestätigen Karin und Gerhard Wasem. Sie berichten von den Anforderungen, ein denkmalgeschütztes Gebäude zu erhalten und es zugleich für die Nutzung umgestalten zu wollen. „Es gibt genaue Vorschriften, zum Beispiel spezielle Marken für Fensterrahmen und -griffe, die für historische Gebäude vorgesehen sind“, sagt Karin Wasem. Es sei gerade noch im Ermessensspielraum gewesen, den Eingangsbereich des Klosters modern zu gestalten. „Dies war möglich, weil wir in dem Gebäude einen Aufzug eingebaut haben, der den Gästen heute Barrierefreiheit bietet.“ Wichtig sei es, so Karin Wasem, „dass ein denkmalgeschütztes Gebäude einem Zweck, einer sinnvollen Nutzung, zugeführt wird.“ Nur so könne es erhalten werden.
Drei Jahre haben die Umbauarbeiten im Kloster Engelthal gedauert. Die Bauherren Karin und Holger Wasem hatten das Ingelheimer Architekturbüro Hille damit beauftragt. Die Denkmalpflege Rheinland-Pfalz begleitete die gesamte Bauphase intensiv. Im Zuge der Sanierung wurde ein Flügel des ehemaligen Klostertrakts im Inneren weitgehend originalgetreu wieder aufgebaut. Die übrigen Gebäudeteile wurden in ihrer Substanz erhalten, das Bruchsteinmauerwerk saniert. Zeitgenössische Elemente aus Glas, Beton, Stahl ergänzen die Architektur.

„Modernes haben wir bewusst abgesetzt“

„Modernes haben wir bewusst abgesetzt von der ursprünglichen Substanz“, erläutert Gerhard Wasem. „Und was historisch aussieht, Mauerreste etwa, ist auch alt.“ Beim bundesweit ausgeschriebenen „Architekturpreis Wein 2013“ unter anderem des rheinland-pfälzischen Weinbauministeriums haben die Wasems dafür eine Auszeichnung erhalten.
In diesen Tagen nun soll Kloster Engelthal – wenn die Corona-Inzidenzen es zu lassen – nach einem halben Jahr wieder öffnen. „So einen Lockdown übersteht nur ein gesundes Unternehmen“, meint Gerhard Wasem, der seit 2017 das Veranstaltungsbüro mit seinem Team leitet. 35 Mitarbeitende sind im Gastronomie- und Veranstaltungsbereich tätig. Für die nächste Zeit ist das Kloster als Location für Hochzeiten ziemlich ausgebucht. „20 Prozent der Reservierungen wurden wegen Corona storniert“, sagt Gerhard Wasem, „aber 80 Prozent bestehen noch. Diese Hochzeiten werden gefeiert, sobald es wieder möglich ist.“

Von Anja Weiffen