"Alte Mauern, neues Leben": Kloster Germerode

Spiritueller Ort am Meißner

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Blick auf Germerode
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Foto: Ruth Lehnen

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Blick auf Kloster Germerode, im Hintergrund die Thüringer Berge

Wer etwas Liebliches sucht, muss im Sommer nach Germerode kommen, wenn der Mohn blüht. Wer Stille sucht und die Begegnung mit der Natur, der ist auch zum Ende des Jahres richtig im Kloster Germerode nicht weit von Kassel. „Alte Mauern – neues Leben“: Aufleben am Meißner. Von Ruth Lehnen


Der Berg liegt an diesem Novembermorgen fast ganz im Nebel. Kloster Germerode gehört zum Meißner, und der Meißner gehört zu Germerode. Der Berg  vulkanischen Ursprungs wurde im Jahr 1913 berühmt, als sich hier Vertreter der Jugendbewegung versprachen, „nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit“ ihr Leben zu gestalten. Schon damals war der Meißner als eine Art Kraftort bekannt, der die Menschen anzog und ihre Phantasie beschäftigte. Frau Holle soll hier wohnen –  und zwar nicht nur die aus dem Märchen, sondern die dahinterstehende, mythologische und starke Mutterfigur.

Das christliche Gegenstück zum heidnischen Berg

Ganz in der Nähe zum Meißner sahen die Grafen von Bilstein um 1140 den richtigen Ort für ihr Totengedenken: Sie gründeten das Kloster als Versicherung für ihren Eintritt ins Himmelreich, denn hier sollte auf ewig für ihr Seelenheil gebetet werden. Kloster Germerode war ein christliches Gegenstück zum heidnischen Berg. Nicht immer wurde hier gebetet, der Ort hat wechselvolle Zeiten hinter sich, aber eins ist sogleich spürbar, wenn man durch den Torbogen tritt: Kloster Germerode ist bis heute ein besonderer spiritueller Ort. 
Pfarrer Manfred Gerland schließt die schwere Kirchentür auf, trockenes Laub raschelt um unsere Füße. Wir befinden uns an einem Eingang der Kirche, der heute Hintereingang ist. Aber hier, weiß der Pfarrer, ist der richtige Eingang, baulich gesehen. Mit vielen Gruppen, die im Kloster zu Gast waren, ist er hier in Prozession eingezogen, zum Lied „Tut mir auf die schöne Pforte“. Gerland erklärt, dass der herrliche säulengeschmückte Raum, den wir jetzt betreten, den Sinn hatte, die Menschen vorzubereiten auf das Heilige. Hier ist der Ort für das reinigende Wasser, das in vielen Religionen bis heute beim Eintritt ins Heiligtum eine Rolle spielt. Ist dieser Raum durchschritten, kommen die Beter an den Ort, in dem man auf das Wort hört und Erleuchtung erfahren soll.

"Tut mir auf die schöne Pforte"

Blick in die Klosterkirche
Eine tiefe Stille herrscht in der Klosterkirche. Foto: Ruth Lehnen

Dies geschieht im Kirchenraum, der nach der Reformation zu einer evangelischen Predigtkirche umgebaut wurde. Es ist kalt hier, aber doch einnehmend durch die Stille und die Majestät der alten, hohen Mauern. Wir gehen am neu geschaffenen Taufbecken vorbei und nehmen die Stufen zum Altarraum. Hier oben, erhöht, sei der Ort der Vereinigung, sagt Gerland: Im himmlischen Mahl vereinigen sich das Göttliche und die Glaubenden. 
Wir haben eine kleine Prozession hinter uns, und es ist wahr geworden, wie es in dem Kirchenlied heißt: „Tut mir auf die schöne Pforte, führt in Gottes Haus mich ein; ach wie wird an diesem Orte meine Seele fröhlich sein!“ 
Pfarrer Gerland deutet auf das seit Jahrhunderten leerstehende Sakramentshäuschen. Hier wurde vor der Reformation das Allerheiligste hinter einem kleinen Gitter aufbewahrt. In diesem Sommer hat ein Rotkehlchen  – oder war es ein anderer Singvogel? – seinen Weg durch ein offenes Fenster gefunden und genau an dieser Stelle sein Nest gebaut. Niemand hat ihn vertrieben, das Leben, das er an den verwaisten Ort des Sakramentshäuchens gebracht hat, wurde willkommen geheißen.

"Die Mönche und Nonnen, das sind jetzt Sie!"

Große Toleranz scheint die Germeroder auszuzeichnen. Pfarrer Gerland betet mit seinen Gruppen das Stundengebet, es findet sich ein Bild von Maria in der Kirche, in der Seitenkapelle wird dazu eingeladen, Kerzen anzuzünden. Auch wenn hier längst keine Nonnen und Mönche mehr leben, sind in Germerode die klösterlichen Tugenden lebendig, wie Gerland das nennt: „Gastfreundschaft, stabilitas loci (die Treue zum Ort), und das Gebet“. Gerland sagt zu den Besuchern des hier ansässigen Evangelischen Tagungshauses Kloster Germerode: „Die Nonnen und Mönche, das sind jetzt Sie!“ 
Wer ins abgelegene Germerode fährt, müsse sich bewusst auf den Weg machen, meint der Pfarrer, der hier lange die „ Landeskirchliche Pfarrstelle für Spiritualität und Geistliches Leben“ innehatte. Im November werden im Ort um 17 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt, eine Dunkelheit herrscht, die Großstädter nicht mehr kennen. Doch, ein Licht leuchtet noch im Dunkel: Germerode hat einen selbstorganisierten Dorfladen. Hier gibt es alles für den täglichen Bedarf und dazu die vielen Mohnprodukte. Denn Germerode ist heute vielen als „Mohndorf“ bekannt, seit hier ab Ende Juni auf etlichen Hektar morphinarm angebauter Mohn blüht: eine Freude fürs Auge und Ziel vieler Besucher. 
Auch die ansässige Kirchengemeinde beteiligt sich: Wenn der Mohn blüht, verkaufen Freiwillige den selbstgebackenen Kuchen am Kloster Germerode, das mit dem „Verweilgarten“ ein Anziehungspunkt für Schönheitsliebende ist. So passt es ganz gut, dass mittlerweile auf dem Gelände auch der „Geo-Naturpark Frau-Holle-Land“ seinen Sitz hat. Mag sein, dass sich künftig die Wanderer, Ruhe- und Natursuchenden noch mehr vom christlichen Kloster inspirieren lassen – und umgekehrt. Jedenfalls war es eine großartige Leistung des Vereins, der sich 1983 zur Erhaltung der Klosteranlage gegründet hat, diesen Ort als spirituellen, christlichen Ort zu retten. Seit 1990 gibt es das ökumenisch offene Tagungshaus für religiös Suchende. Pfarrer Gerland hat es schon oft von Besuchern gehört: „Wenn ich durch diesen Torbogen fahre, komme ich in eine andere Welt.“

Von Ruth Lehnen

 

Zur Person: Pfarrer Dr. Manfred Gerland

Manfred GerlandDr. Manfred Gerland war lange der Pfarrer der „Landeskirchlichen Pfarrstelle für Spiritualität und Geistliches Leben“ der Evangelischen Kirche von Kurhessen- Waldeck (EKKW) in Germerode. 
Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die spirituelle Arbeit mit Männern, er befasst sich auch mit der „Spiritualität der Natur“. 

https://kloster-germerode.de/

Zur Sache: Bitte eintreten!

Die romanische Kirche von Germerode ist ein Juwel. Jeden Tag geöffnet, jeden Tag brennt hier die Kerze. Allerdings betritt der Besucher sie heute nicht mehr durch diese wunderbare Säulenhalle. Germerode wurde als Hauskloster der Grafen von Bilstein um 1140 gegründet. Hier lebten Prämonstratenser in Form eines Doppelklosters für Mönche und Nonnen. Nach der Reformation wandelte sich die Kirche zur evangelischen Predigerkirche. Der besonderen, in Jahrhunderten durchbeteten Atmosphäre wird sich kaum ein Besucher entziehen können. Heute  Gemeindekirche der evangelischen Gemeinde vor Ort und Hauskirche des benachbarten Tagungszentrums – oft wird hier das Stundengebet gebetet. (nen)

https://www.naturparkfrauholle.land/tourismus

 

Ruth Lehnen