Wenn Altes vergeht und Neues beginnt

Sprießt es schon?

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Jesaja ist Optimist. Er ermahnt die Juden, in Krisen nicht auf die guten alten Zeiten zurückzuschauen, sondern das Gute wahrzunehmen, das aus den Trümmern herauswächst. „Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?", ruft Gott seinem Volk zu. Passt perfekt auf die Situation der Kirche – oder doch nicht? Das haben wir drei Männer und Frauen gefragt, die auf unterschiedliche Weise in der Kirche mitarbeiten.

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Der Frühling ist da, es grünt und blüht mit Macht. Und die Kirche? Kann sie auf eine neue Blüte hoffen? Foto: imago images/blickwinkel

AUFBRUCHSTIMMUNG

Vor gut 20 Jahren ließ Edith Furtmann sich in das ehrenamtliche Leitungsteam der Pfarrei Maria Waldrast in Krefeld wählen. „Da habe ich eine richtige Aufbruchstimmung gespürt“, sagt die 58-Jährige. Einige Jahre zuvor ist der Pfarrer in den Ruhestand gegangen und es gab niemanden, der die Pfarrei übernehmen konnte. Die Pfarrei war die zweite im Bistum Aachen mit einem Leitungsteam aus ehrenamtlichen Laien.
 
Sie erlebte damals das, was der Prophet Jesaja beschreibt: Etwas Neues keimt auf. Zwar hätten einige Gemeindemitglieder wehmütig auf die Zeit mit einem eigenen Pfarrer zurückgeschaut, insgesamt sei das Leitungsteam aber schnell akzeptiert gewesen, sagt Furtmann: „Wir waren schon immer eine Gemeinde mit einem großen ehrenamtlichen Engagement. Jetzt waren wir noch freier, konnten eigenständig entscheiden, was wir wie umsetzen wollen.“ Gottesdienste, Konzepte für die Erstkommunion- oder Firmvorbereitung sowie Planungen für Feste mussten nicht mehr von einem Priester abgesegnet werden. „Im Team kommen viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen zusammen. Da ist nicht nur die eine Sicht des Priesters. Wir konnten die Gemeinde so gestalten, wie die Menschen vor Ort es möchten.“
 
16 Jahre lang war Furtmann Teil des Leitungsteams. Dann brauchte sie eine Pause. „Es ist viel Freiheit, aber auch viel Arbeit und Verantwortung“, sagt sie. Sie hat die Zusammenlegung mit einer anderen Kirchengemeinde begleitet, den Kontakt zum Bistum gehalten. Dazu viele Kleinigkeiten im Alltag: „Alles, was sonst ein Pfarrer entscheidet, lag auf unserem Tisch: Welche Wandfarbe bekommt die Kapelle? Wo kaufen wir Osterkerzen? Wie viele Gottesdienste werden gefeiert?“
Seit der letzten Pfarreiratswahl im Herbst gehört sie dem Leitungsteam der Gemeinde, die mittlerweile St. Michael heißt, wieder an. „Nach Corona liegt einiges im Argen“, sagt sie. Sie will helfen, der Gemeindearbeit wieder neuen Schwung zu geben. „Die Aufbruchstimmung der ersten Jahre ist ein bisschen verflogen“, gibt Furtmann zu. Das Bistum plane, weitere Pfarren zusammenzulegen. Von derzeit 72 Gemeinschaften der Gemeinden soll es künftig nur noch 50 geben. „Das dämpft ein bisschen die Stimmung. Viele sind skeptisch, wie sich die Zusammenarbeit vor Ort entwickeln wird“, sagt Furtmann. Es sei wieder ein Neuanfang. Furtmann sagt: „Und unsere Aufbruchstimmung holen wir uns zurück.“ (Kerstin Ostendorf)
 

FREIHEIT

Matthias Eggers, Pfarrer von St. Petrus in Wolfenbüttel, erkennt in der Jesaja-Lesung Parallelen zur kirchlichen Situation heute. Allerdings sieht er im Blick zurück nicht vor allem die vermeintlich gute alte Zeit, sondern eher die Schattenseiten der Kirche. Zu Beginn erinnert die Lesung an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. So gehe es auch der Kirche im Missbrauchsskandal, meint Eggers. Wie beim biblischen Exodus durch Wassermassen, verfolgt von den Truppen des Pharaos, „so dramatisch erlebe ich das auch“, sagt Eggers. In seiner Pfarrei gab es mehrere Missbrauchsfälle. „Ich habe eine Ahnung davon, wie gewaltig das Ausmaß des Versagens ist.“ Und immer noch seien Verantwortliche im Umgang mit den Fällen nicht ehrlich und wollten Missstände nicht wahrhaben. „Unter dem Deckmantel des Guten gab es einen Machtbereich, wo sich das Böse austoben konnte.“ Diese „Kirche der Macht zerbricht jetzt“. Sie ist das, was hoffentlich bald hinter uns liegt.

Jetzt beginne etwas Neues. Die Kirche könne nicht mehr auf Macht setzen, sondern müsse die Herzen der Menschen gewinnen. „Da bricht etwas auf. Das ist eine jesuanische, eine freiheitliche Kirche.“ Eggers denkt dabei zuerst an die Betroffenen, die den Mut gefunden haben zu reden. Aber auch an die Frauen, die sich bislang still engagiert haben und nun, etwa in der Bewegung Maria 2.0, für Gleichberechtigung streiten. Oder an die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich in der Aktion „Out in church“ zu ihrer Homosexualität bekannt haben. Das Gottesvolk wird selbstbewusst.
 
Für ihn als Pfarrer bedeutet das aber nicht, dass sein Amt überflüssig wird. Im Gegenteil: Die Gruppen müssen zusammengeführt, Dialog organisiert werden. Der Pfarrer ist für Eggers Diener der Einheit, aber auf Augenhöhe. Das kann unbequem sein: Bei Entscheidungen zur Kirchenrenovierung ist Eggers mit mancher Vorstellung gescheitert, die Gremien hätten ihn auch „gnadenlos überstimmt“. Die Kirche habe immer versucht, Vorschriften zu machen. Dagegen stellt Eggers den barmherzigen Vater: Er lässt den Sohn ziehen, ohne Vorschriften. Freiheit ist das zarte Pflänzchen, das Gott in den Augen von Pfarrer Eggers in unseren Tagen in der Kirche sprießen lässt. (Ulrich Waschki)
 

DURCHSTARTEN

Dass früher manches leichter war, erlebt auch Mika Woken. „Als ich nach der Erstkommunion Messdienerin wurde, waren wir zu zwölft; heute melden sich noch zwei oder drei Kinder“, sagt die 20-Jährige. Auch dass es schwieriger wird, Teamer für die kirchliche Jugendarbeit zu finden, weiß sie. „Aber dass früher alles größer war, heißt ja nicht, dass es besser war.“ Etwa der Gottesdienstbesuch. „Viele gingen ja hin, weil sie mussten, nicht, weil sie wollten.“ Der Blick zurück liegt der Emsländerin deshalb nicht. Im Gegenteil. „Wenn es keinen radkalen Neuanfang gibt, hat die Kirche keine Chance“, sagt sie. Sie sehe das bei Freunden: „Wenn der erste Lohnzettel mit der Kirchensteuer kommt, treten sie aus, weil sie sagen: Wofür soll ich das zahlen?“

Schwarz für die Kirche sieht Mika Woken aber nicht. „Ich finde schon, dass da etwas Neues sprießt“, sagt sie. Die Initiative „Out in church“, die Segensfeiern für homosexuelle Paare und die Diskussionen um die Rolle der Frau in der Kirche nennt sie als Beispiele. „Auf jeden Fall sind Anfänge da“, sagt sie, „auch wenn es ziemlich schleppend geht“.

Und Woken redet nicht nur, sie tut auch etwas. Zurzeit als FSJlerin beim Diözesanverband der Katholischen Landjugend im Bistum Osnabrück, aber auch schon vorher in ihrem Ort. „Bei uns gab es nur das Zeltlager und das war uns zu wenig“, sagt sie. Deshalb hat sie mit Februar 2020 mit einigen anderen eine Landjugendgruppe gegründet. „Die Gründungsfeier war toll – und dann kam Corona.“ Trotzdem sind kleine Pflänzchen deutlich auszumachen. „Wir haben inzwischen 50 Mitglieder“, sagt Woken. Und der große Erntedankgottesdienst auf dem Bauernhof, den die Gruppe im vergangenen Jahr gestaltet hat, kam sehr gut an. „Ich hätte niemals gedacht, dass so viele Leute kommen.“ Es gehe auch nicht darum, alles Frühere über Bord zu werfen. „Es gab gute Dinge in der Vergangenheit“, sagt Woken. Trotzdem müsse man den Blick nach vorne richten, „sonst bleibt man stehen“. Die Landjugend, sagt sie, „hat jedenfalls große Lust durchzustarten“. (Susanne Haverkamp)