Theologe und Bürgerrechtler verstorben
Staat und Kirche betroffen über Tod von Friedrich Schorlemmer
Foto: kna/Paul-Phillip Braun
Spitzenvertreter von Staat und Kirche haben mit großer Betroffenheit auf den Tod von Friedrich Schorlemmer reagiert. Der Theologe und Bürgerrechtler starb bereits am Sonntag im Alter von 80 Jahren in Berlin, wie die Katholische Nachrichten-Agentur am Dienstag auf Nachfrage aus dem Umfeld Schorlemmers erfuhr. Zuerst hatte die mitteldeutsche Kirchenzeitung "Glaube+Heimat" darüber berichtet. Vor gut zwei Jahren gab Schorlemmer seine Demenz-Erkrankung bekannt und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Zuletzt lebte er in einem Pflegeheim in Berlin.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte Schorlemmer als einen jener "mutigen DDR-Bürgerrechtler, die mit hohem persönlichen Einsatz das Unrecht des SED-Regimes kritisierten und im Herbst 1989 den Aufbruch für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte wagten". Ohne Menschen wie ihn wäre die friedliche Revolution vor 35 Jahren nicht möglich gewesen, so Steinmeier.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, erklärte, Schorlemmer sei nicht nur als prominentes Mitglied der Opposition in der DDR, sondern Zeit seines Lebens ein Mensch gewesen, der seine Verantwortung als Christ immer auch mit politischem Denken und Handeln wahrgenommen habe.
Leitfigur der friedlichen Revolution
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bezeichnete Schorlemmer als eine Symbolfigur der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR: "Sein Name ist eng verbunden mit dem Wittenberger Kirchentag 1983 und der symbolträchtigen Aktion 'Schwerter zu Pflugscharen'. Schorlemmer war Mitinitiator der Bürgerrechtsbewegung und eine Leitfigur der friedlichen Revolution." Nach 1989 sei er ein kritischer Begleiter der deutschen Einheit gewesen: "Er hat sich immer wieder eingemischt und den öffentlichen Diskurs beeinflusst."
Der Bischof der Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, sagte, die Kirche verliere "einen ihrer großen Geister", der in ganz Deutschland eine wichtige Stimme gewesen sei und für viele eine wichtige Orientierung: "Eine klare und streitbare Stimme für Frieden, für Demokratie, für Gerechtigkeit. Der unbeirrt sich auch in Streite begeben hat und ein gutes Gespür dafür hatte, was zu welcher Zeit zu sagen ist. Wir könnten ihn gerade heute gut gebrauchen."
Die Präsidentin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, Anja Siegesmund, würdigte Schorlemmer als zentrale Persönlichkeit der Kirchentagsbewegung: "Er war ein herausragender Denker, Mahner und Mutmacher für alle, die etwas bewegen wollten – respektiert auch von vielen, die anderer Meinung waren. Unser großer Dank gilt seinem herausragenden Engagement insbesondere für die Kirchentage in der DDR."
Die Stiftung Friedliche Revolution erklärte: "Mit Friedrich Schorlemmer verlieren wir eine wichtige und unverwechselbare Stimme aus dem Osten, die Menschen in Ost und West gleichermaßen bewegt und beeinflusst hat." Sein nüchterner und unkonventioneller Blick auf die Welt sei für viele ein Kompass gewesen, der beim Einsatz für eine gerechtere, friedlichere und umweltfreundlichere Welt Orientierung gegeben habe.
Die von Schorlemmer initiierte Aktion "Schwerter zu Pflugscharen" war ein Meilenstein der DDR-Friedensbewegung und machte den evangelischen Oppositionellen international bekannt. 1989 gehörte er zu den Mitbegründern der Partei "Demokratischer Aufbruch". 1993 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Kritische Stimme in Politik und Kirche
Schorlemmer kam 1944 als Sohn eines Pfarrers im brandenburgischen Wittenberge zur Welt. Nach dem Theologie-Studium folgten erste Stationen als Jugend- und Studentenpfarrer in Merseburg. 1978 wechselte er nach Lutherstadt Wittenberg, zunächst als Dozent am dortigen Predigerseminar, ab 1992 als Studienleiter der Evangelischen Akademie.
Schorlemmer gehörte zu den Gegnern des Militäreinsatzes im Afghanistankrieg ab 2001 und des Irakkriegs ab 2003. Seit 2009 war er Mitglied im globalisierungs-kritischen Netzwerk Attac. Kirchliche Aufmerksamkeit erregte 2017 seine Streitschrift "Reformation in der Krise", in der er eine ernüchternde Bilanz des evangelischen Reformationsjubiläums zog.