Wo Christen dem Herrn die Wege ebnen - und wo nicht

Steine und Brücken

„Senken sollen sich die Berge und heben die Täler“, schreibt Jesaja und meint die Voraussetzung dafür, dass Gott kommen kann. Das klingt fast fantastisch, ist aber eigentlich ein lebensnaher Auftrag für heute.

„Bereitet dem Herrn den Weg“, heißt es an diesem zweiten Adventssonntag im Lukasevangelium. Denn schon der Prophet Jesaja, der an dieser Stelle zitiert wird, verkündete: „Ebnet ihm die Straßen! Was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.“ Gerade jetzt in der Vorbereitungszeit auf Weihnachten können wir Christen überlegen: Wo bereiten wir dem Herrn die Wege? Wo räumen wir Hindernisse beiseite und machen es anderen leichter, den Glauben zu entdecken? Und andererseits: Wo hebt die Kirche, wo heben wir selbst viel zu oft Gräben aus oder türmen Berge von Problemen auf, die dem Glauben im Weg stehen? Einige Beispiele, die erfunden sind, aber so im Alltag jeder Gemeinde vorkommen können:


Herr Krause ist entsetzt: Ein Priester soll vor Jahren in seiner Gemeinde Kinder missbraucht haben. Er hat Messdiener in der Sakristei bedrängt. Eigentlich mochte Herr Krause den Mann. Er konnte gut predigen und die Gottesdienste waren schön. „Das ist ein frommer Mann“, hat er immer zu seiner Frau gesagt. Als sich nun immer mehr Opfer melden, von der Gewalt berichten und von den massiven Folgen für ihr Leben, ist für Herrn Krause klar: „Die Opfer brauchen unsere Hilfe und die Täter müssen bestraft werden. Wir müssen das aufarbeiten.“ Doch er hat das Gefühl, als verändere sich kaum etwas. Die Bischöfe entschuldigen sich und wollen Präventionskonzepte ausarbeiten. Ihm reicht das nicht. Es geht ihm alles zu langsam, zu zäh und behäbig. Immer häufiger stellt er sich die Frage: Kann ich noch in dieser Kirche glauben? Ein tiefer Riss tut sich da auf, einer, der kaum noch zu überbrücken ist.


Frau Schönemann möchte gerne Wege bereiten: Seit neun Jahren arbeitet sie als Pastoralreferentin in ihrer Gemeinde. Besonders die Vorbereitung der Erstkommunionkinder liegt ihr am Herzen. Ihr selber sind die Gruppenstunden von damals zusammen mit ihren Freunden noch in guter Erinnerung. Das ist ihr Antrieb. „Ich möchte auch für die Kinder heute, dass sie auf dem Weg zur Erstkommunion Spaß haben, dass sie etwas lernen und gute Erfahrungen mit der Kirche und mit Gott machen“, sagt sie. Das ist nicht immer leicht, aber sie gibt sich viel Mühe: Sie bastelt, überlegt sich Spiele, bereitet die Elternabende gut vor. „In diesem Jahr hat mich eine Mutter sogar gelobt. Ihre Tochter hätte es gut gefallen, sie habe viel erzählt.“ Das sei ein sehr schönes Gefühl, sagt Frau Schönemann, den Kindern und ihren Familien Wege zum Glauben bereitet zu haben.


Auch Herr Otte möchte, dass ein gutes Gefühl bleibt. Er ist der Leiter des Kirchenchores in seiner Gemeinde. Immer donnerstags kommen rund 25 Sängerinnen und Sänger und proben im Pfarrheim. Am dritten Advent wollen sie ein festliches Konzert in der Kirche geben: Das Licht ist dann gedimmt, viele Kerzen brennen und die weihnachtlichen Lieder zaubern eine ganz besondere Atmosphäre. Im vergangenen Jahr war die Kirche bis auf den letzten Platz voll. „Da sind sogar die gekommen, die man sonst nie im Gottesdienst sieht“, sagt Herr Otte nicht ohne Stolz. Er und sein Chor wollen mithelfen, dass „alle Menschen das Heil Gottes schauen“, wie Lukas so schön sagt.


Herr Robbe hingegen möchte nichts mehr mit der Pfarrgemeinde in seinem Ort zu tun haben. Er ist enttäuscht. Der 80-Jährige hat vor zwei Jahren seine Frau verloren. Seitdem hat er sich zurückgezogen und verlässt nur selten sein Haus. Vor ein paar Wochen hat ihm sein Nachbar den Tipp gegeben, zu schauen, ob nicht die Kirchengemeinde etwas anbietet, was ihm gefallen würde. Ein Treffen zum Kartenspielen zum Beispiel oder ein gemütliches Kaffeetrinken. Herr Robbe hat gezögert. Aber schließlich hat er Mut gefasst und ist ins Pfarrbüro gegangen. Doch die Sekretärin hatte keine Zeit: Das Telefon klingelte ständig und sie musste noch einen riesigen Stapel Papier sortieren. Die Frau drückte ihm das Pfarrnachrichtenblatt in die Hand. „Schauen Sie doch mal selbst“, sagte sie freundlich, aber etwas gehetzt. „Und im Internet steht auch ganz viel. Auf unserer Homepage unter dem Button ‚Senioren.“ Sich selber kümmern, im Internet nachschauen? Für Herrn Otte ist das ein Riesenberg, der sich da vor ihm auftürmt. „Nein, da gehe ich nicht mehr hin“, sagt er enttäuscht.


Frau Schmidt hat nur wenig mit der Kirche zu tun. In die Gottesdienste geht sie nur an Weihnachten, sie ist auch in keinem Veband engagiert, aber sie weiß: Die Kirche tut Gutes, sie hilft den Menschen. Die Jugendlichen in ihrem Stadtteil können sich im Pfarrheim treffen und lungern nicht auf der Straße herum. Ihr Onkel lebt in einem Pflegeheim, das von der Caritas geleitet wird. „Die Pflegerinnen und Pfleger sind dort sehr nett und nehmen sich auch mal Zeit für einen Plausch“, sagt sie. Zu Weihnachten spendet sie an kirchliche Hilfswerke. Aus der Zeitung und dem Fernsehen weiß sie, dass sie immer vor Ort sind, wenn Katastrophen passieren, wenn Kriege ausbrechen. Sie unterstützen die Armen und fördern Frauen und Kinder. Das findet Frau Schmidt gut. Häufiger in die Kirche geht sie deshalb nicht, aber sie denkt: Gut, dass es Menschen gibt, die was tun.


Bereitet dem Herrn die Wege. Manchmal tut die Kirche das, manchmal auch nicht. Gefragt ist aber nicht nur „die“ Kirche mit ihren Hauptamtlichen. Gefragt ist jeder von uns: Wo ebne ich dem Herrn den Weg? Wie gehe ich auf Menschen zu, die neu in meiner Pfarrgemeinde sind? Spreche ich sie an oder beachte ich sie nicht? Was tue ich, damit es in meiner Gemeinde gut läuft? Wo engagiere ich mich? Wie lebe ich meinen Glauben? Wie zeige ich ihn? Was macht mich überzeugend? Wie kann ich andere von meinem Glauben begeistern? Adventliche Fragen ganz im Sinne des Johannes.

Kerstin Ostendorf