Ordensfrau leitet Hospital in Äthiopien

Stoßgebete im OP

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Schwester Rita versorgt im Krankenhaus in Äthiopien die Wunde am Bein eines Kindes.
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Foto: privat

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Schnelle Hilfe: Schwester Rita versorgt die Wunde am Bein eines Kindes. 

Schwester Rita Schiffer leitet das Attat-Hospital in Äthiopien. Die Ordensfrau operiert Unfallopfer und hilft schwangeren Frauen. Bei ihrer Arbeit hat sie gelernt: Sie kann ihr Bestes geben, aber das Leben kann nur Gott schenken.

Vor einigen Wochen kamen zwei Frauen zu Rita Schiffer ins Krankenhaus. Die eine hatte große Eiter-Ansammlungen in ihrem Becken, die andere war schwanger und hatte eine doppelte Darmverschlingung. „Wir mussten schnell operieren. Beide Fälle waren sehr kritisch“, sagt Schiffer. „Und ich habe gebetet: Lieber Gott, lass die Frauen morgen noch in ihrem Bett liegen.“

Die 66-Jährige ist Missionsärztliche Schwester und leitet seit 26 Jahren das Attat-Hospital in Äthiopien. Die Klinik wurde 1969 von ihrem Orden gegründet und liegt in der Region Guraghe, rund 200 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Addis Abeba. Sie bietet eine Basisversorgung für die Menschen: Die Ärztinnen und Ärzte behandeln Blinddarmentzündungen, operieren nach Unfällen und leisten Geburtshilfe. Für die Menschen in der Region ist es eine wichtige Anlaufstelle. So auch für die beiden Frauen, die die Hilfe von Schwester Rita und des Ärzteteams brauchten.

„Die eine Patientin hat ihr Kind verloren. Die Schwangerschaft war erst in der 28. Woche. Ein so kleines Frühchen können wir hier nicht retten“, sagt Schiffer. „Aber: Beide Frauen haben überlebt. Das berührt mich immer wieder. Und ich weiß, dass es ein Geschenk ist.“

Sie hat gelernt, Grenzen zu akzeptieren

Solche Momente erlebt die Gynäkologin häufig. Zum Beispiel, als eine hochschwangere Frau von ihren Verwandten ins Krankenhaus gebracht wurde. Ihre Herzfrequenz war schwach, ihr Kind in Gefahr. „Wir sind dann zum OP gerast und haben einen Kaiserschnitt gemacht“, sagt Schwester Rita. „Das Kind kam ganz schlapp heraus und ich dachte: Vielleicht warst du dieses Mal zu spät.“ Aber am nächsten Morgen lag das Baby ganz rosig im Bett seiner Mutter. 

Schwester Rita im Gespräch mit einer schwangeren Frau
Freundliche Worte: Schwester Rita im Gespräch mit einer schwangeren Frau. Foto: Misereor/Eduardo Soteras

In Äthiopien hat die deutsche Ärztin gelernt, Grenzen zu akzeptieren. „Leben und Tod liegen nicht in unserer Hand“, sagt Schwester Rita. „Als Ärzte leisten wir unseren Beitrag, aber der Geber und Erhalter unseres Lebens ist unser Schöpfer und nicht wir selbst.“ Dieser Gedanke entlastet sie: „Ich kann sagen: ‚Lieber Gott, von meiner Seite war es das jetzt. Mehr kann ich nicht tun. Heute Abend bete ich noch einmal und dann liegt es an dir.‘“ So gelingt es ihr, den Gedanken an Patientinnen loszulassen. „Ich kann nicht jede Frau retten. Ich kann nur mein Bestes tun.“

Während ihres Medizinstudiums in Essen ist Schiffer in den Orden der Missionsärztlichen Schwestern eingetreten. „In meiner Jugend prägte mich der Eine-Welt-Gedanke“, sagt sie. Sie habe überlegt, was sie gegen die Ungerechtigkeit in der Welt tun könne. Weil ihr das geistliche Leben der Ordensschwestern gefiel, trat sie in den Orden ein. Schwester Rita sagt: „Ich will ein bisschen mehr Fairness in die Welt bringen.“

Doch was sie im Attat-Hospital erlebt, ist oft nicht fair. Zu eng sind die Grenzen des medizinisch Möglichen. Im Krankenhaus mangelt es an Ausstattung. Oft fehlen Bluttransfusionen, so dass Operationen verschoben werden müssen; viele Krankheiten können die Ärztinnen und Ärzte überhaupt nicht behandeln. „Hier Krebs zu bekommen, ist ganz schlecht“, sagt Schwester Rita. Nur wenige Privatkliniken können die Krankheit erfolgreich behandeln. „Es gibt zwei öffentliche Stellen in der Nähe, wo eine Bestrahlung möglich wäre. Aber die sind so überlaufen, dass ich die Leute da schon gar nicht mehr hinschicke“, sagt Schwester Rita. 

Besonders traurig macht es sie, wenn junge Frauen unheilbar erkranken. „Oft kommen die Leute viel zu spät, weil sie die Symptome zu spät bemerken“, sagt sie. Dann kann sie nur noch Schmerzmittel geben. In diesen Momenten tröstet es sie, dass viele Menschen gläubig sind. „Ich sage dann: ‚Ich gebe etwas gegen die Schmerzen – und ab jetzt ist Gott zuständig.‘ Und das ist nicht irgendein billiges Trostpflästerchen für die Leute. Sie fühlen sich wirklich von Gott im Leben gehalten“, sagt Schwester Rita. Ihre Zusage, für die Menschen zu beten, gebe ihnen neue Kraft. „Da ist eine unheimliche Stärke und eine Gewissheit: Ich falle nicht ins Nichts. Das berührt mich jedes Mal wieder.“ Die meisten Menschen in Äthiopien sind Muslime, Christen sind hauptsächlich orthodox geprägt. Aber egal, welcher Religion sie angehören: Der Beistand von Schwester Rita hilft ihnen allen.

„Es macht jeden Tag Sinn, aufzustehen“

Sie lebt in einer Gemeinschaft von vier Schwestern auf dem Gelände des Hospitals. Neben ihrer Arbeit prägen Gebete ihren Tag: eine Eucharistiefeier am Morgen und das gemeinsame Gebet am Abend. „Und die Stoßgebete im OP“, sagt sie. „Meine Mitarbeiter kennen das schon: Ich höre kurz auf, atme ein paar Mal tief durch und sage mir: Ich probiere hier mein Bestes, dann musst du mir helfen, dass ich auch das Beste schaffen kann.“

In den vergangenen Jahren hat sie erlebt, wie sich die Lage in der Region verbesserte. „Es gibt mehr Schulen, der Staat hat Straßen ausgebaut. Es gibt Autos und Krankenwagen, die Patienten schnell zu uns bringen können“, sagt Schwester Rita. Im Krankenhaus hat sie Ärzte ausgebildet, so dass zu jeder Zeit Operationen durchgeführt werden können. Zwar gibt es in Äthiopien regelmäßig Dürren und in den vergangenen Monaten hat in der Region Tigray ein Bürgerkrieg getobt, aber zum Glück, sagt Schwester Rita, seien sie davon nicht direkt betroffen gewesen. 

Vor einem Jahr hat die Ordensfrau einen weiteren Fünf-Jahres-Vertrag mit der Regierung geschlossen, der den Betrieb des Krankenhauses sichert. Sie hat nun ihre letzten Berufsjahre vor sich. „Ich schaue, wie lange ich noch die Kraft für diesen Job habe. Das können noch vier oder zehn Jahre sein“, sagt sie. „Und ich genieße diese Zeit jetzt sehr: Ich kann meine Arbeit tun und es macht jeden Tag Sinn, aufzustehen.“

Kerstin Ostendorf