"Pro und Contra"
Streitthema Gendern: Erhellen diese Sterne?
„Gendern“ heißt ein Stichwort, das viele Gemüter bewegt. Das Ziel ist, Frauen und Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, „sichtbar“ zu machen. Ein Pro und Contra zu der Frage, wie Sprache das Bewusstsein prägt, und was daraus zu lernen ist: Für Karin Röder ist das Gendern eine Form von Respekt, die auch der Kirche gut ansteht, Ruth Lehnen möchte sich nicht in eine Ecke gestellt sehen.
PRO
Neben „männlich“ und „weiblich“ gibt es inzwischen ganz offiziell auch die Option „divers“, die sogenannte „Dritte Option“ (Bundesgesetzblatt I Seite 2635). Diese Tatsache möchte ich auch mit meiner Sprache anerkennen. Ob Sternchen oder Doppelpunkt – beide sind kurz und prägnant. Sie sparen Schreiber*innen einige Zeichen und für Leser:innen ist es Geschmackssache. Der : geht leichter von der Hand, das * symbolisiert eher die Vielfalt. Mündlich wähle ich dafür eine Zäsur, den sogenannten Glottisschlag. Das geht mir hierbei noch nicht so flott über die Lippen. Doch es ist alles eine Frage der Übung.
Ich möchte mit dem Gendern meinen Respekt gegenüber allen Menschen ausdrücken, auch jenen gegenüber, die sich nicht (eindeutig) in den Kategorien männlich/weiblich verorten, oder Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Diverse Menschen sollen so sein dürfen, wie sie sind, ohne sich festlegen zu müssen. Auch sie sind Kinder Gottes. Ich möchte
kein Geschlecht ausschließen, auch sprachlich nicht.
Neutrale Umschreibungen ersparen zwar das Gendern, doch sie wirken oft geschraubt. Im Englischen ist es simpel, es gibt es nur einen Artikel. Die deutsche Sprache jedoch ist so herrlich vielfältig, genau dafür mag ich sie so sehr. Noch in den 1970-er Jahren wurde heftig diskutiert über die Anrede „Frau“, statt „Fräulein“ auch für unverheirate oder junge Frauen. Heute ist sie selbstverständlich. Sprache ist dynamisch. Niemand spricht mehr so wie die Menschen vor 100 Jahren. Ich bleibe vorerst beim Gendern – bis es vielleicht noch passendere Alternativen gibt.
Karin Röder, Journalistin und ehrenamtliche Mitarbeiterin in St. Ignaz, Mainz
CONTRA
Im Jahr 1984 erschien bei Suhrkamp das Buch von Luise Pusch „Das Deutsche als Männersprache“. Dieses Buch habe ich damals verschlungen. Sprache prägt das Bewusstsein, und das Bewusstsein prägt Sprache. Pusch zeigt zum Beispiel, dass die Verwendung ausschließlich männlicher Formen vor dem inneren Auge von Leserinnen und Lesern einen Mann abbildet. Werden also Bundespräsidenten gesucht, kommt den lesenden Menschen weniger in den Sinn, dass auch eine Frau dieses Amt übernehmen kann. Alte Hüte? Mag sein. Frauen sichtbar machen mittels einer sensiblen Sprache ist ein richtiges und wichtiges Ziel. Aber wie? Ich plädiere für Kreativität.
Mitarbeiterbesprechung kann Teamrunde heißen, statt Studienleiterkonferenz heißt es Programmkonferenz – solche Änderungen gab es zum Beispiel bei der Katholischen Journalistenschule ifp. Sichtbar machen heißt für mich aber noch viel grundsätzlicher: Kommen Frauen überhaupt vor – zum Beispiel in den Medien? Wird die ganze Bandbreite unterschiedlicher Frauenleben abgebildet? Während die Debatte über den Genderstern Doppelseiten füllt, wird oftmals vergessen, über die vielen Fälle zu berichten, bei denen Frauen aufgrund ihres Geschlechts ermordet wurden, zum Beispiel in Indien und in Brasilien. Oder über die gezielte Abtreibung von weiblichen Föten in Teilen dieser Welt. Doch nicht nur als Opfer sollen Frauen vorkommen, sondern auch in ihrer Stärke.
An die Kirche richtet sich die Frage, was sie tun will, damit Frauen all ihre Gaben auf allen Ebenen einbringen können. Werden diese Fragen thematisiert und gelöst, ist es mir egal, ob mit Sternchen oder Doppelpunkt oder sonstwie kreativ. Ich bin gegen verordnete Sprache. Ich bin dagegen, eine Front aufzumachen nach dem Motto „Genderst Du nicht, bist du von gestern.“ Ich bin für Gerechtigkeit.
Ruth Lehnen, stellvertretende Redaktionsleiterin Bonifatiusbote, Der Sonntag, Glaube und Leben