Bäume in der Bibel

Symbole des Lebens

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Ein prachtvoller Baum wird in der Lesung an diesem Sonntag beschrieben: eine Zeder, auf einen hohen Berg gepflanzt, die so groß wächst, dass alle Vögel darin wohnen können. Bäume spielen in der Bibel eine wichtige Rolle.

Libanon-Zedern in einem englischen Schlosspark
Nicht verwunderlich, dass die Libanon-Zedern für Stärke und Stabilität stehen (hier mehrere Exemplare in einem englischen Schlosspark)

Von Kerstin Ostendorf

Fast 80-mal wird in der Bibel dieser Baum erwähnt, meist im Zusammenhang mit dem Libanon, wo diese Art vor allem verbreitet ist. Die Zeder, die bis zu 50 Meter groß und 1000 Jahre alt werden kann, steht für Stärke und Stabilität. Salomo nutzt das Holz zum Beispiel für den Bau seines Palastes und lässt den Innenraum des Tempels in Jerusalem mit Zedernholz vertäfeln. 

Immer wieder werden in der Bibel Bäume erwähnt: Sie beschreiben die biblische Landschaft oder schmücken die Erzählung aus. Bäume und Pflanzen schaffen den Lebensraum für Tiere und Menschen, sorgen für Sauerstoff, bieten Bau- und Brennmaterial, sind Nahrungsquelle. „Die Pflanzen und Bäume, die in der Bibel vorkommen, scheinen nebensächlich. Wer aber aufmerksam liest, erkennt, dass sie viel mehr darstellen“, sagt der Theologe und Autor Manfred Böhm, der das Buch „In den Himmel wachsen. Bäume der Bibel – Symbole für das Leben“ geschrieben hat. 

Egal ob Feigenbaum, Senfbaum, Weinstock oder Zeder: Bäume werden in der Bibel immer wieder in Gleichnissen genutzt. Dabei haben sie oft eine politische Dimension – wie in der Lesung aus dem Ezechielbuch an diesem Sonntag. Alle Bäume des Feldes erkennen den Herrn. Er macht den hohen Baum niedrig und den niedrigen hoch. Er lässt verdorren und erblühen. Es ist die prophetische Kritik Ezechiels an den Feinden Israels: am Pharao und an der Großmacht Assur. Neben Israel, dem Volk Gottes, können sie nicht bestehen. 

Die Zeder verbindet sich im Ezechielbuch mit der Vorstellung des Weltenbaums als ein Abbild des Kosmos. „Dieses Bild begegnet uns bei vielen Völkern. Der Wurzelbereich entspricht der Unterwelt, der Stamm unserer Welt und die Baumkrone der Oberwelt, dem Himmel“, erklärt Böhm. Im Baum verbinde sich Göttliches, Lebendiges und die Vorstellung des Jenseits. Der Weltenbaum markiere den Mittelpunkt der Welt – für Juden sei das der Tempelberg gewesen, für Christen wurden Golgota und das Kreuz Jesu zum neuen Welten- und Lebensbaum, sagt der Theologe. „Wenn Ezechiel die Zeder als Bild nutzt, um Gottes Macht zu zeigen, heißt das auch: Der wahre Weltenbaum ist Jahwe, nicht der Pharao, dessen Herrschaft vergehen wird“, sagt Böhm.

Unter den Ästen ungestört nachdenken

Im Evangelium an diesem Sonntag erzählt Jesus das Gleichnis vom Senfkorn, um der Menge vom Reich Gottes zu erzählen. Das winzige Samenkorn, das innerhalb kurzer Zeit zu einer stattlichen Staude und dann zu einem prächtigen Baum wachsen kann, in dem die Vögel nisten. „Auch hier spielt die Idee des Weltenbaums eine Rolle, wie bei Ezechiel in der Lesung“, sagt Manfred Böhm. „Das Bild des Senfkorns drückt eine Siegeszuversicht aus. Die Botschaft Jesu und das Reich Gottes werden so schnell wachsen und sich so stark verbreiten, wie das Senfkorn zum mächtigen Baum wird.“

Auch die sogenannte Jotam-Fabel im Buch der Richter (9,8–15) hat eine politische Bedeutung: Sie erzählt, dass Bäume einen König wählen wollen und nach dem richtigen Kandidaten suchen. Zunächst wird der Ölbaum gefragt, der das Amt ablehnt. Auch Feige und Weinstock wollen nicht König werden. „Es scheint eine Hierarchie der biblischen Bäume zu geben“, sagt Böhm. Erst der Dornbusch sagt zu. „Ein Dornstrauch ohne Blätter und schmackhafte Früchte gibt sich als Beschützer und Schattenspender aus – als ein König, der sich sorgt und das Volk ernähren will. Das zeigt, dass das Königtum nicht hält, was es verspricht.“

Immer wieder dienen Bäume in der Bibel als Kulisse für Treffen und Gespräche: Als drei Fremde zum Zelt von Abraham und Sara kommen, bewirten sie die Männer unter einem Baum im Hain Mamre. „Vor allem im Nahen Osten sind Bäume häufig ein Ort, um Freunde und Nachbarn zu treffen. Im kühlen Schatten eines Baumes kann man sich niederlassen, um miteinander zu sprechen“, sagt Böhm. Im Johannesevangelium trifft Jesus Natanael, der unter einem Feigenbaum sitzt. „Für Juden damals war es üblich, sich unter einen Feigenbaum zu setzen und dort die Tora zu studieren“, erklärt Böhm. Die weit ausladenden Äste schützen gut vor den Blicken anderer Menschen, so dass jemand ungestört lesen und nachdenken konnte. 

Vom Baum der Erkenntnis bis zum Kreuz 

Der Theologe gibt den biblischen Bäumen eine herausragende Bedeutung: „Der Baum ist der Schlüssel zum Verständnis der Bibel.“ Schon in der Schöpfungsgeschichte spielt ein Baum eine entscheidende Rolle: Adam und Eva essen die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis und werden von Gott aus dem Paradies vertrieben. „Das ist ein sehr ambivalentes Ereignis. Erkenntnis, das Unterscheiden zwischen Gut und Böse, ist ja durchaus positiv zu sehen. Allerdings ist es auch verbunden mit Arroganz und Hochmut“, sagt Böhm. 

Der Baum der Erkenntnis im Paradies ist verbunden mit dem Kreuz Jesu auf Golgota. Mittelalterliche Künstler drücken das in ihren Werken aus: Sie zeigen den sterbenden Jesus an einem Kreuz, das als Baum mit Zweigen und grünen Blättern gestaltet ist. Böhm sagt: „Wie könne man besser die christliche Auferstehungshoffnung zeigen? Im Tod ist das Leben. Gott hat uns Christen durch seinen Sohn die Tür zum Paradies wieder geöffnet.“