Tanz der Kulturen
Einmal im Monat lädt die Poppenbüttler Gemeinde St. Bernard Geflüchtete zum „Café Mach Mit“. Kurden, Iraner, Afghanen und Ukrainer tauschen sich dort aus über verschiedene Gebräuche, etwa jene zu Beginn des Frühlings.
Aus dem Keller des Gemeindehauses von St. Bernard in Poppenbüttel dringen sonntagnachmittags ungewöhnliche Rhythmen. Zu nahöstlichem Trommelschlag erklingt der Tanbur, ein der Laute ähnliches Instrument. Die Musik schallt aus dem Jugendraum empor, den zu dieser Zeit eine Gruppe geflüchteter Kurden nutzt. Sie stammen aus der Stadt Afrin im Nordwesten Syriens. Aber in der Gemeinde sind sie aus anderem Grund: Sie studieren eine Tanz-Choreografie für eine Feier des Neujahrsfestes Newroz.
Was es mit dem Fest auf sich hat, wird eine gute Stunde später einen Stock höher im Gemeindesaal erklärt. Und zwar bei Kaffee und Kuchen sowie einigen persischen und kurdischen Speisen beim „Café Mach Mit“. Es findet einmal im Monat an einem Sonntag um 15 Uhr statt. Anette Bethge organisiert es im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Malteser und wird dabei von vielen Ehrenamtlichen unterstützt.
Rund 80 Gäste haben sich diesmal eingefunden. Es sind weit überwiegend Geflüchtete aus Syrien, dem Iran und Afghanistan. Seit dem Überfall Russlands haben sich viele Ukrainer dazugesellt. Hinzu kommen Mitglieder der Pfarrei Seliger Johannes Prassek, zu der St. Bernard gehört. Das Café ist Treffpunkt, hilft, die deutsche Sprache besser zu beherrschen und dient dem interkulturellen Austausch, etwa, indem über Newroz informiert wird – und nebenan zugleich Eier für das christliche Osterfest bemalt werden.
Ersteres tut zunächst die aus dem iranischen Rascht geflüchtete Hanieh Jamalzadeh, wo das Fest Nouruz heißt. Sie und ihr Mann sind durch einen Deutschkurs mit der Gemeinde in Kontakt gekommen. Auf Deutsch und in Farsi erläutert sie denn auch, dass zu Nouruz beispielsweise neue Kleidung gekauft wird und das Fest eine 3000-jährige Tradition hat, also schon weit vor der Islamisierung ihres Herkunftslandes gefeiert wurde.
Neben ihr steht Mahmud Mustafa. Er stammt aus Afrin und übersetzt die Ausführungen ins Kurdische. Anschließend verdeutlicht er eine weitere Dimension, die das Fest für die Kurden hat. Es geht demnach auf die Niederschlagung des Tyrannen Dahhak durch den Schmied Kawa Haddad im Jahre 612 vor Christi zurück. Für die Kurden sei es daher auch ein Symbol für Freiheit.
Erfahrung friedlichen Zusammenlebens
Mustafa zählt auch zu der Tanzgruppe, die zuvor im Untergeschoss übte. Er ist schon seit sieben Jahren in Deutschland, lebt in Pinneberg und nimmt damit wie die beiden Iraner und viele andere Gäste einen langen Anfahrtsweg auf sich. Vor fünf Jahren hatte er Anette Bethge angesprochen, ob die Gruppe nicht in den Gemeinderäumen üben könne. Berührungsängste zu Christen hat der Muslim nicht: „Wir Kurden sind nicht so streng.“
Offen für solche Begegnungen sind auch Nidal Momika und Sabih Alqas Boros. Sie sind 2015 aus Mossul im Nordirak vor dem IS geflüchtet. Sie gehören der syrisch-katholischen Kirche an, die ihre Gottesdienste nahe St. Bernard in der Volksdorfer Kirche Heilig Kreuz feiert.
Am Nebentisch sitzt Volodymyr Ovenarenko, ein Psychologe aus Kiew. Er ist seit fast einem Jahr in Hamburg, geflüchtet vor dem russischen Angriffskrieg. Er ist evangelischer Christ und findet es spannend, hier anders als in seinem Herkunftsland auf so viele Kulturen zu treffen. Es sei sehr schön zu erfahren, dass sie in Frieden zusammenleben könnten, übersetzt seine Worte Katherina Sykowa. Sie kommt urspünglich aus Kasachstan und gehört einer Familie von Spätaussiedlern aus Gebieten der ehemaligen Sowjetunion an. Im Café Mach Mit übersetzt sie auch die Ausführungen zu Nouruz für die Ukrainer.
Nach rund zwei Stunden erklingen dann wieder nahöstliche Rhythmen und der Tanbur. Und es wird wieder getanzt, diesmal im Gemeindesaal und im Kreis. Und es sind nicht nur Kurden, sondern auch Nidal Momika, Anette Bethge, Mahmud Mustafa und viele andere dabei.
Von Matthias Schatz