Pro und Contra: Offen aufgebahrt

Teil eines Personenkults?

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Benedikt XVI. wurde nach seinem Tod im Petersdom öffentlich aufgebahrt. Im offenen Sarg. Der toten Queen Elizabeth II. konnte man am geschlossenen Sarg vorbeigehend die letzte Ehre erweisen. Ist eine solche Verehrung pietätlos, oder ist sie ein wichtiger Beitrag zum Trauerprozess? Die Meinungen gehen auseinander. Ruth Lehnen akzeptiert das Aufbahren, Anja Weiffen mag lieber ein stilles Gedenken.


Fast 200 000 Menschen haben dem verstorbenen Benedikt XVI. im Petersdom die letzte Ehre erwiesen.


PRO

Dem Tod ins Gesicht blicken, das ist weder schön noch besonders angenehm. Wer einem toten Menschen die Ehre erweist, der offen aufgebahrt vor einem liegt, kann sich aber einer besonderen Erfahrung nicht verschließen. In dieser Situation wird fühlbar und spürbar, dass das Leben endlich ist. Daher rührt die Erschütterung eines solchen Augenblicks. Dazu kommt oft die Trauer. 
Einmal ist in unserer Familie ein geliebter Mensch gestorben, bevor seine Frau, die ihn zuvor umsorgt hatte, im Krankenhaus eintraf. Der Seelsorger hatte am Totenbett ein gutes und tröstliches Wort für sie: „Sagen Sie Ihrem Mann alles, was Sie sagen wollen. Er hört es noch.“ Damit drückte er aus, dass es zwischen Leben und Tod mehr gibt, als der Verstand erfassen kann. 
Ich kann jedem nur empfehlen, sich im Vertrauen auf Gott, der den Tod überwindet, von den Toten auf diese Weise zu verabschieden. Es hilft beim Begreifen. Es ist keineswegs gruselig, aber ernst. Es ist keineswegs pietätlos, sondern ein Akt des Glaubens und Vertrauens, ja der Liebe. Dies wurde jetzt in der Berichterstattung zum Thema Aufbahrung auch von Bestattern und Bestatterinnen immer wieder betont. 
Wie ist es nun bei der öffentlichen Aufbahrung eines Papstes, in diesem Fall des emeritierten Papstes Benedikt XVI.? Auch hier gilt vieles von dem zuvor Gesagten. Hinzu kommt der öffentliche Charakter der Aufbahrung und, ein Phänomen der neuesten Zeit, die massenhafte Übertragung der Bilder des Toten. Diese sehen auch viele Menschen, die mit der jahrhundertealten Tradition der Aufbahrung nichts mehr anfangen können, und die diese Bilder dann verstören. Deshalb ist es die Aufgabe der Kirche und von uns allen, davon zu berichten, warum die Angst vor dem Tod natürlich ist, aber nicht übermächtig sein muss. 
Es irritiert, dass wir alle hunderte Krimi-Leichen im Jahr klaglos akzeptieren, aber es bei dem Bild eines würdig Aufgebahrten einen Aufschrei gibt. 
Ruth Lehnen, stellv. Redaktionsleiterin  
 

CONTRA

Wenn ein Mensch stirbt, ist das immer auch ein Schock. Ein Abschied am offenen Sarg hilft Angehörigen und dem näheren Umfeld, das Unbegreifliche zu begreifen. Ohne Frage. Doch warum sind die Bilder eines toten Papstes in der Diskussion? Eine Spurensuche nach dem eigenen Unbehagen führt mich in der Erinnerung nach Frankreich. Wer nach Lourdes pilgert, besucht oftmals auf dem Weg auch Ars und Nevers. In Ars liegen Jean-Marie Vianney, der heilige Pfarrer von Ars, und in Nevers die heilige Bernadette Soubirous. Ihre Leichname sind, unverwest, an ihren Wirkorten ausgestellt. Unverweslichkeit gilt als göttliches Zeichen. Doch diese Zeichen sind umstritten. Spätestens seit den alten Ägyptern wissen Menschen, wie Tote zu präparieren sind, um sie zu konservieren. Auch tote Päpste werden konserviert, um sie zumindest einige Tage lang offen aufgebahrt zeigen zu können. Bei der Aufbahrung von Benedikt XVI. haben wir also gerade nicht dem Tod ins Gesicht geschaut, sondern einer Inszenierung. Wie in den Medien zu erfahren war, kommen Päpste später in einen Zinksarg, der die Verwesung hinauszögert. Zudem wurde schnell eine Seligsprechung ins Spiel gebracht. Ein „Fahrstuhlgrab“, das für den Nimbus der Selig- und Heiligkeit durch die Namen der Grab-Vorgänger sorgt, war bereits organisiert. Auch das ist in katholischen Medien nachzulesen. Mit Chemie in den Adern und im Zinksarg konserviert, werden mit ganz weltlichen Mitteln Leichname auf mögliche göttliche Zeichen vorbereitet. 
Dies mag Tradition sein. Auch eine authentische Unverweslichkeit mag ihre Geheimnisse behalten. Doch brauchen Christen dies als Effekt? Wird mit einer solchen Aufbahrung nicht ein Ewigkeits- und Machtanspruch zur Schau getragen, der mindestens erklärungsbedürftig, wenn nicht fragwürdig ist? Kippt hier nicht ein Personenkult ins Pharaonenhafte? Gerade in Zeiten von Internet und Fake-News gehören meines Erachtens solche Rituale auf den Prüfstand. Ein geschlossener Sarg schmälert das würdige Abschiednehmen von einem Kirchenoberhaupt 
sicher nicht. 
Anja Weiffen, Redakteurin