Gebetsschule

Tief im Herzen

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Das Ruhegebet zählt zu den ältesten Gebeten des Christentums. Es ist kurz und besteht oft nur aus einem Wort oder einem einzelnen Satz. Das hilft, sich ganz auf sein Inneres zu konzentrieren. 

Foto: Andreas Kaiser
Peter Dyckhoff praktiziert und lehrt das Ruhegebet seit 50 Jahren. „Es ist zu meiner Lebensaufgabe geworden“, sagt er. Foto: Andreas Kaiser


Obwohl es in den christlichen Kirchen des Westens längst nicht so bekannt ist, ist das Ruhegebet – nach dem Vaterunser – eines der ältesten Gebete der Christenheit. Vom Wesen her ist das Ruhegebet eher eine Kontemplation oder Meditation als ein förmliches Gebet. Dabei wird „ein einziger kurzer Satz als Mittel benutzt, die nötige Stille zu erlangen“, berichtet Peter Dyckhoff, der das Ruhegebet seit mehr als 50 Jahren praktiziert und dazu auch schon mehrere Bücher geschrieben hat. „Es ist zu meiner Lebensaufgabe geworden“, sagt er. 

Erdacht wurde das Gebet von den sogenannten Wüstenvätern. Kirchenlehrer Johannes Cassian brachte das Gebet um 400 nach Europa. In Marseille schrieb er die Erfahrungen der Mönchsväter mit der neuen Gebetsweise auf. Begierig aufgegriffen wurden die „Collationes patrum“ später vor allem vom heiligen Benedikt, der die Schriften Cassians auch seinen Mitbrüdern empfahl. 

Nach einer ersten Blütezeit in der ägyptischen Wüste erfreute sich das Gebet in der Orthodoxie, bei den Mönchen auf dem Berg Athos sowie in Russland großer Beliebtheit und wurde dort aber vor allem als Herzens- oder Jesusgebet bekannt. 
Im Gegensatz zu Lobpreis, Fürbitten und Dankgebet gibt es kein unmittelbares Ziel. Überliefert sind 29 verschiedene Gebetswörter – etwa „Abba“, „Maranatha“ „Herr Jesus Christus“ oder etwas längere Formulierungen wie „Herr Jesus Christus, erbarme Dich unser“. Von denen soll sich der Beter zunächst eines aussuchen und dann „einfach in sein Herz fallen lassen. Denn dort ist das Gebet zu Hause“, sagt Pfarrer Dyckhoff, der inzwischen rund 40 Ruhegebetslehrer ausgebildet hat, die das Gebet nun ihrerseits für eine kleine Aufwandsentschädigung in zweitägigen Kursen an Interessierte weitergeben. 

Im Laufe der Jahre wurde dem Gebet immer mehr hinzugefügt, viele koppelten ihr Gebetswort an den Atem. Einige Wagemutige synchronisierten es sogar mit dem Herzschlag. Etliche Gebetslehrer empfehlen ihren Schülern zudem eine strenge Meditationshaltung, wie sie etwa Zen-Mönche praktizieren. 

Für das Gebet zieht man sich zurück

Doch das entspricht nicht dem ursprünglichen Charakter. „Es geht um die Armut des Geistes, um ein bildloses Anschauen, wie das Jesus in seiner zweiten Seligpreisung beschrieben hat: Selig sind die Armen im Geiste. Und es geht um Hingabe“, erklärt Dyck­hoff. Für das Ruhegebet zieht man sich von der Außenwelt zurück, begibt sich in sein Innerstes und gibt alles aktive Denken auf. 

Wenn ein Beter bemerkt, dass sich seine Gedanken trotzdem immer wieder auf Reisen begeben, kehrt er sanft zu seinem Gebetswort zurück. Zu dieser kontemplativen Grundhaltung passt die Empfehlung Christi, sich für das Gebet ins stille Kämmerlein zurückzuziehen. Auch Jesus selbst zog sich zum Gebet bekanntlich oft in die Einsamkeit zurück. Hieraus zogen die Wüstenväter ihre Inspiration. 

Wer regelmäßig übt, am bes­ten zweimal täglich 20 Minuten, der wird erstaunliche Effekte feststellen. Bei vielen Betern stellt sich eine tiefe Ruhe von Geist, Körper und Seele ein. „Das Gebet reinigt das Nervensystem und die Psyche“, ist sich Dyckhoff sicher. Die Konzentrationskraft steigt. Der Beter lernt, wieder mehr auf seine Intuition und Inspiration zu vertrauen. Fast scheint es, als ob der Heilige Geist durch die täglichen stillen Zeiten mehr Einfluss auf den Menschen gewinnen könnte. 

In der Literatur beschreiben Beter, wie sie nach und nach auch ihre Lebensweise änderten. Sie fingen an, sich gesünder zu ernähren, bewegten sich häufiger an der frischen Luft und entwickelten eine große Sehnsucht nach Spirituellem. „Im Verborgenen findet Gottesbegegnung statt. Die nachösterliche Dimension Christi wird für den Beter immer mehr zur Gewissheit“, schreibt Dyckhoff in seinem neuesten Werk „Das kleine Buch vom Ruhegebet“, das vor kurzem bei Herder erschienen ist. Das Buch eignet sich gut als Einstieg in das Ruhegebet.

Gegen die zunehmende Reizüberflutung 

Dyckhoff berichtet, dass das Gebet gegen die zunehmende Reizüberflutung helfe, „nicht leer und krank zu werden“, und dass es in die Haltung „Dein Wille geschehe“ führe. Das Ruhegebet „trägt wesentlich dazu bei, das Leben in tieferen Dimensionen des Seins zu erfahren, und kommt der Sehnsucht vieler Menschen nach Ganzheit entgegen“. 

Und tatsächlich, wer die innere Ruhe einmal erfahren hat, möchte sie nicht mehr missen. Betende erzählen, dass es sie nach Pausen immer wieder zu dem Gebet zurückgezogen hat. Es ist ihnen Leitschnur und spirituelle Heimat geworden. Nach Darstellung Dyckhoffs ist das Gebet ein gutes Mittel gegen „die äußeren Fliehkräfte des Lebens“ und trägt dazu bei, sich mehr „in seiner Mitte zu fühlen, die Gott selbst ist“.

Peter Dyckhoff: Das kleine Buch vom Ruhegebet, Herder Verlag, 136 Seiten, 10 Euro

Andreas Kaiser