Auf ein Wort - Nr. 44/2023

Überraschend aktuell

Andrea Schwarz erlebt auf Juist einen Gottesdienst, der sie sehr berührte. Sie erinnert daran, auf den Geist zu schauen und nicht ausschließlich auf Gesetze, Gebote und Vorschriften.

Sonntagsgottesdienst auf der Insel Juist – das ist immer spannend! Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Menschen, vielleicht findet sich ein Organist, zwei Gästekinder trauen sich zu ministrieren – und ein Priester, der vor der schwierigen Aufgabe steht, daraus eine Gemeinde zu machen, die gemeinsam Gottesdienst feiert. Das erfordert ein hohes Maß an Präsenz, Improvisation und Gelassenheit. 

An diesem Wochenende gelang ihm das: Die Taizé-Lieder wurden ohne Probe mehrstimmig gesungen, die Antworten der Gläubigen waren kraftvoll, die Predigt überzeugend. Und ich dachte: Schön, das ist Kirche von ihrer guten Seite! Man versammelt sich im Namen Gottes, einer übernimmt den Dienst der Leitung, alle sind dabei – und man erlebt Gemeinschaft. Und mit einer kleinen Abwandlung fiel mir das Zitat des Augustinus ein: „Mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Priester!“ – da lässt sich jemand für andere in Dienst nehmen.

Später saßen in einer Teestube neben uns Männer, die auch im Gottesdienst gewesen waren. Priester, wie es sich herausstellte, denn wir mussten ihre lautstarke Unterhaltung mitanhören: „Also, die liturgische Handhaltung … und wo er beim Vaterunser gestanden hat ... der Text nach der Kommunion ging ja gar nicht …“

Mich machte es traurig. Das, was mir diesen Gottesdienst wertvoll gemacht hatte, wurde nicht einmal wahrgenommen. Da schauten Menschen auf Gesetze und Gebote und Vorschriften, aber nicht mehr auf den Geist. Die harten Worte Jesu sind zwar zweitausend Jahre alt, aber leider überraschend aktuell.

Andrea Schwarz