Und Friede auf Erden
Im Advent haben wir uns jede Woche mit den Friedensvisionen des Jesaja beschäftigt. Heute endet die Serie, denn der Evangelist Lukas behauptet: Jesus ist der endgültige Friedenskönig. Allerdings kein machtvoller. Er braucht uns.
Die Geschichte ist Weltliteratur. Der Stall, der Stern, die Hirten, das Kind in der Krippe. Auch wer nicht gläubig ist, kennt sie – und das in aller Welt. Lukas ist ein Meisterwerk gelungen. Weltkulturerbe könnte man sagen – zusammen mit „Stille Nacht, heilige Nacht“ heutzutage ein Gesamtkunstwerk.
Aber warum hat Lukas die Geburtsgeschichte genau so geschrieben, wie er sie geschrieben hat – grob geschätzt 75 Jahre nach dem Ereignis? Wohl nicht, weil er im Unterschied zu Markus und Matthäus exklusives Wissen vorzuweisen hatte, eine Erscheinung, die ihm all das offenbarte.
Nein, Lukas wollte mit seiner Geschichte etwas aussagen und zwar vor allem das: Jesus ist der endgültige Friedenskönig, von dem die Propheten erzählten und auf den die Welt wartet. So, wie es die Engel auf den Feldern von Betlehem singen:
Ehre sei Gott und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.
Jesus als Friedensbringer? Wer das verstehen will, muss genau hinschauen und hinter die wohlvertrauten Worte schauen, sagt Eberhard Schockenhoff. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Frieden auf Erden. Weihnachten als Provokation“. Und er liefert Beispiele für die Botschaft hinter der Botschaft:
Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen.
„Eine allgemeine Volkszählung, die rund um die Geburt Jesu stattgefunden haben soll, ist außer im Lukasevangelium nirgendwo belegt“, sagt Schockenhoff, der an der Universität Freiburg Moraltheologie lehrt. Die einzige Steuererfassung, von der man weiß, weil der Historiker Flavius Josephus davon berichtet, habe im Jahr 6 nach Christus stattgefunden, „also rund zehn Jahre nach der vermuteten Geburt Jesu“.
Jesus als Gegenbild zum Friedenskaiser Augustus
Dass Lukas dennoch mit einer Volkszählung in seine Geschichte einsteigt, hat, sagt Schockenhoff, zwei Gründe: „Erstens, damit Jesus in Betlehem, der Stadt Davids, geboren werden kann, und zweitens als Spitze gegenüber dem römischen Weltreich.“
Der Geburtsort Betlehem ist theologisch wichtig, weil die Propheten das so verheißen haben. „Du, Betlehem-Efrata, bist zwar klein unter den Sippen Judas, aber aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll ... Er wird groß sein bis an die Grenzen der Erde. Und er wird der Friede sein.“ (Micha 5,1.3-4) Den Friedenskönig, den Jesaja immer wieder angekündigt hat und von denen die Lesungen im Advent prophetisch erzählten, lässt Micha aus Betlehem kommen, der Heimat von König David. Er hat die längste friedliche Phase für das Volk Israel garantiert; sein Nachfolger bringt den Frieden bis an die Grenzen der Erde.
Für Lukas ebenso wichtig wie die Erfüllung der jüdischen Hoffnung auf den Friedenskönig ist die Erwähnung von Kaiser Augustus. Wir lesen, sagt Eberhard Schockenhoff, eine Formulierung wie „in den Tagen des Kaisers Augustus“ schlicht als Zeitangabe. Tatsächlich aber „benützt Lukas die Gestalt des sagenumwobenen römischen Imperators als Kontrastfigur, um die Unterschiede zu seiner Friedensbotschaft herauszustellen“. Der Friedenskönig Jesus als Gegenbild zum Friedenskaiser Augustus.
Denn Augustus galt in seiner Zeit und noch mehr später in der Erinnerung an ihn tatsächlich als Friedenskaiser. Er war derjenige, der nach den Bürgerkriegen, die nach der Ermordung Julius Cäsars die römische Gesellschaft jahrzehntelang zerrissen, Rom befriedete. Und in dessen Regierungszeit, abgesehen von kleineren Scharmützeln, auch an den Grenzen des römischen Reiches Friede herrschte.
Die Parallelen zu Jesus sind offensichtlich. Der römische Dichter Vergil hatte – ähnlich wie Jesaja – noch in kriegerischen Zeiten die Geburt eines gottähnlichen Friedensfürsten angekündigt. „Diese Ankündigung sah man in der Regierungszeit des Augustus erfüllt“, sagt Eberhard Schockenhoff. Nicht umsonst gab man Gaius Octavius, wie er eigentlich hieß, den Beinamen „Augustus“, zu Deutsch: „der Erhabene“ oder „der Anbetungswürdige“.
Und es gibt noch mehr Parallelen. „Nicht mehr übt man für den Krieg“, kündigte Jesaja für das kommende Friedensreich an. Augustus ließ auf dem Marsfeld, dem Exerzierplatz, auf dem sonst Soldaten übten, einen Friedensaltar errichten, die Ara Pacis Augustae, die man heute noch besichtigen kann. Auf dem Altar ist eine überdimensionierte Sonnenuhr installiert. Am Geburtstag des Augustus weist sie genau in die Mitte des Altares; seine Geburt brachte den Frieden.
Auch deshalb beschlossen einige Städte Kleinasiens damals, eine neue Zeitrechnung einzuführen, die mit der Geburt des Kaisers beginnt. In einer Inschrift des Tempels von Priene in der heutigen Türkei ist die Nähe zur Weihnachtsgeschichte deutlich zu spüren.
Die Vorsehung, die über allem Leben waltet, hat diesen Mann zum Heil der Welt mit solchen Gaben erfüllt, dass sie ihn uns und den kommenden Geschlechtern zum Retter gesandt hat ... Der Geburtstag des Gottes hat für die Welt die an ihn sich knüpfenden Evangelien heraufgeführt. Von seiner Geburt an muss eine neue Zeitrechnung beginnen.
Heiland, Retter, Evangelium. „Lukas kannte diese Stichworte der politischen Rhetorik seiner Zeit gut“, sagt Eberhard Schockenhoff. „Dass er sie aufgenommen und auf Jesus übertragen hat, ist eine Provokation. Man könnte auch sagen: Es ist subversive politische Theologie.“
Friede auf Kosten des einfachen Volkes
Denn Jesus ist der Anti-Augustus, derjenige, der ganz anders als der mächtige Kaiser der Welt den Frieden bringen will. „Das gesamte System des Augustus“, sagt Eberhard Schockenhoff, „beruhte auf Ausbeutung und Unterdrückung.“ Die Steuerlasten für das einfache Volk, die Brutalität der römischen Soldaten, die Willkür der Gerichtsbarkeit – all das steht für mit Gewalt erzwungenen Frieden, von dem vor allem die Oberschicht profitierte. „Das war zur Zeit Jesu so“, sagt Schockenhoff, „aber auch zu der Zeit, als Lukas sein Evangelium geschrieben hat.“ Lukas hat die Aufstände, die in Palästina 66 nach Christus ausbrachen – übrigens nach Ankündigung einer Volkszählung – und die mit der Zerstörung des Tempels endeten, selbst erlebt. „Die Pax Romana, die römische Vorstellung von Frieden, gab es nur zu einem hohen Preis“, sagt Schockenhoff.
Dagegen stellt Lukas diesen anderen Friedenskönig, Jesus, das Kind in der Krippe. „Eigentlich eine lächerliche Gegenüberstellung“, sagt Schockenhoff. Aber auch eine deutliche Ansage, dass der Machtanspruch der römischen Kaiser seiner Zeit endlich ist, ja, vielleicht sogar bedroht.
Nur: Wie bringt Jesus, der Friedenskönig, Frieden? Denn dass nach Jesus die Welt nicht friedlicher wurde, wusste Lukas genauso, wie wir es wissen. Ist das ganze Gerede also nicht schlicht Illusion? Oder eine Vision für das Himmelreich, die hier und jetzt unmöglich zu erfüllen ist? „Ganz zu erfüllen ist die Friedensvision hier auf Erden vielleicht nicht“, sagt Eberhard Schockenhoff, „aber sie ist auch nicht rein jenseitig zu verstehen. Sie ist ein Auftrag, möglichst viel davon im Hier und Heute zu verwirklichen.“
Wer Weihnachten feiert, muss Friedensbote sein
Ein Auftrag an wen? „An jeden von uns“, sagt Schockenhoff. „Besonders an jeden, der Weihnachten feiert.“ Denn der Friede Jesu kommt, anders als der von Augustus, nicht von oben verordnet und machtvoll durchgesetzt. „Durch das Symbol eines wehrlosen und ohnmächtigen Kindes in der Krippe appelliert Lukas an die Friedensfähigkeit der Menschen. Friede kann nur werden, wenn durch jeden Einzelnen dort, wo er steht, Friede, Vernunft und Liebe sichtbar werden.“
Und was heißt das konkret? Keine Macht über andere ausüben, nennt Schockenhoff als Beispiel. Den ersten Schritt auf andere hin tun. Nicht von Strukturen der Ausbeutung profitieren, etwa im Einkaufsverhalten. „Eben das tun, was Jesus später in der Feldrede des Lukas predigt.“
Aber was bringt das im weltweiten Maßstab? „Zugegeben: Wir sind keine Politiker“, sagt Eberhard Schockenhoff. „Aber Politiker reagieren sehr stark auf Stimmungen im Volk. Und da macht es eben einen Unterschied, ob zunehmend Hass und Feindschaft herrschen oder Hilfsbereitschaft und Rücksicht.“ Und zur Stimmung im Volk trägt jeder Einzelne sein Stück bei.
Der ohnmächtige Friedenskönig in der Krippe: Wer ihn an Weihnachten feiert, muss selber Friedensbote werden. Nur so funktioniert christlicher Glaube.
Susanne Haverkamp