Anfrage

Vater und Sohn sind eins - und wollen Verschiedenes?

In der Passionsgeschichte sagt Jesus: „Nicht was ich will, sondern was du willst, soll geschehen.“ Ich habe gelernt, Jesus und der Vater sind eins, also müssten sein Wille und der des Vaters identisch sein. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?

Die erste Antwort ist der Verweis auf die verschiedenen Quellen: „Nicht mein, sondern dein Wille“ – das sagt Jesus bei Matthäus, Markus und Lukas. Bei allen dreien hat er im Garten Getsemani sehr menschliche Züge: Er hat Todesangst, betet, schwitzt Blut und Wasser. „Ich und der Vater sind eins“ steht nur bei Johannes. In seinem Evangelium ist Jesus bei der Verhaftung cool: keine Angst, keine Gebete. „Der Kelch, den mir der Vater gegeben hat – soll ich ihn nicht trinken?“, fragt er, als Petrus das Schwert zieht, um ihn zu verteidigen. Ein Grund für den von Ihnen benannten Widerspruch sind also die immer wieder auftauchenden Widersprüche innerhalb der und zwischen den Evangelien.

Die zweite Antwort geht tiefer. Denn Unterschiede zwischen den Evangelisten zeigen ja nur das Problem an: die Unsicherheiten darüber, wer Jesus war. Das war in biblischer Zeit umstritten und auch noch in den folgenden Jahrhunderten bis heute.

Für die einen war Jesus vor allem ein Mensch. Ein besonderer, ja, aber Göttlichkeit erlangte er erst, als Gott ihn vom Tod erweckte. Sozusagen als Mensch gekreuzigt, als Gottes Sohn auferstanden. Für andere war Jesus Gott von Geburt an, ja sogar lange vor seiner menschlichen Geburt göttlich. Deshalb gibt es Geschichten, wie Jesus schon als Kind einen toten Spielkameraden oder auch Spatzen aus Lehm zum Leben erweckt.

Diese verschiedenen Deutungen Jesu waren nicht nebensächlich, sondern führten dazu, dass sich verschiedene Glaubensrichtungen entwickelten und einander bekämpften. Wahrer Glaube gegen Irrlehre – das war schon immer eine gewaltsame Angelegenheit. Um wieder zueinander zu finden, gab es Synoden und Konzilien und auf vielen ging es um die sogenannte Natur Jesu. Irgendwann fand man die Formel, die wir heute noch kennen: wahrer Gott und wahrer Mensch. Die lässt Platz für einen eigenen Willen Jesu wie bei Matthäus, Markus und Lukas – und für die Einheit von Vater und Sohn wie bei Johannes. Schiedlich-friedlich nebeneinander.

Susanne Haverkamp