Auf den Spuren der Mystikerin Madeleine Delbrêl
Verändere die Welt!
Foto: Eckhard Pohl
Sie wirkt kompetent, unaufgeregt, geerdet, im Glauben verwurzelt. Dass sie Expertin für Madeleine Delbrêl ist und schon sieben Bücher zu der französischen Mystikerin veröffentlicht hat, trägt sie nicht vor sich her. Und dass sie Ordinariatsrätin im Bistum Magdeburg war und bis heute Vorträge hält und Ordensleuten Exerzitien gibt, ebenso wenig. „Ich möchte andere ermutigen und begleiten“, sagt Annette Schleinzer schlicht.
Schleinzer (69) lebt nahe Halberstadt unterhalb der Huysburg, wo es ein kleines Benediktiner-Priorat gibt. Benediktinern fühlt sie sich seit Studientagen eng verbunden. Heute nimmt sie an Gebetszeiten der Mönche teil, bietet im Bildungshaus der Ordensleute Kurse an.
Seit 40 Jahren beschäftigt sie sich mit der Sozialarbeiterin, Schriftstellerin und „Mystikerin der Straße“, Madeleine Delbrêl (1904–1964). Sie schreibt über sie, hat ihre Texte übersetzt.
Aufgewachsen im Südschwarzwald, erinnert sich Schleinzer an eine Katechetin und an einen Religionslehrer, die – wie ihre Großmutter – für sie zu „Gotteszeugen“ wurden. Ursprünglich wollte sie Ärztin werden. „Ich wollte schon in jungen Jahren Menschen heilen“, sagt Schleinzer. Trotz sehr guter Noten bekam sie keinen Studienplatz für Medizin und studierte nach einem Krankenhauspraktikum zunächst Biologie. Doch nach zwei Semestern wechselte sie das Fach. „Mir wurde in einer Nacht klar, dass ich Theologie studieren und Menschen im Glauben begleiten soll.“
Anstoß, sich mit Madeleine Delbrêl zu beschäftigen, gab ihr der Dogmatik-Professor Karl Lehmann, der spätere Bischof von Mainz und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Von der Alltagsmystikerin lernte Schleinzer, wie das Evangelium in der heutigen Zeit gelebt werden kann. „Madeleine ist für mich zur täglichen Gesprächspartnerin geworden“, sagt sie.
Seit 1980 verbrachte Schleinzer über Jahre regelmäßig Wochen in der von Delbrêl initiierten Gemeinschaft in Ivry bei Paris und erfuhr viel über sie. „Mich beeindruckte die Ausstrahlung, die sie als Persönlichkeit gehabt haben muss“, sagt die Theologin. So habe sie ihre Aufzeichnungen mit immer mehr Interesse gelesen, etwa, wie sie ihre Gottesbegegnung beschreibt, nachdem sie als Atheistin das Leben zunehmend als sinnlos empfunden hatte. Schleinzer sagt: „Auf ihre nächtliche Gotteserfahrung hin beschließt Madeleine, mit Gott ernst zu machen. Immer tiefer erkennt sie es als ihre Berufung, eine ungeteilte Liebe zu leben, und dies ohne die Klausur eines Klosters und ohne Gelübde.“ Sie möchte, „dass in ihr Jesus Christus in der heutigen Zeit präsent wird“. Daraus folgte für sie ein lebenslanges Engagement für Benachteiligte.
Menschen zu begleiten, hält Seelsorgerin Schleinzer heute „für wichtiger denn je“. Sie sagt: „Es ist angesichts der Entwicklungen etwa in der Digitalisierung schwieriger geworden, zu sich zu kommen, sich zu zentrieren.“ Ja, es sei heute wohl auch schwerer, an Gott zu glauben, angesichts der Säkularisierung und der Vereinzelung als Christen. Umso mehr möchte Schleinzer Menschen in ihren persönlichen Herausforderungen beistehen. Frauen und Männer suchen bei ihr Rat und lassen sich auch über längere Zeit von ihr geistlich begleiten.
„Die Welt braucht keine Verdoppelung ihrer Hoffnungslosigkeit durch Religion; sie braucht und sucht (wenn überhaupt) das Gegengewicht, die Sprengkraft gelebter Hoffnung.“ Dieses „unglaublich starke und sehr aktuelle“ Wort der Würzburger Synode von 1975 versucht sich Schleinzer stetig zu eigen zu machen. 1995 – zwei Jahre zuvor hatte sie promoviert – zog es sie in die Nähe von Halberstadt im Nordharz. „Ich war bereits in den 1980er Jahren regelmäßig in der DDR“, erinnert sie sich. Auf der Huysburg angekommen, arbeitete sie zunächst seelsorglich in der Pfarrei mit und übernahm nach und nach immer mehr Aufgaben im Bischöflichen Ordinariat und bei der Katholischen Frauengemeinschaft (kfd) in Magdeburg.
2005 berief sie der neue Bischof Gerhard Feige zu seiner theologischen Referentin und ernannte sie zur Ordinariatsrätin. „Der Bischof und ich haben schnell gemerkt, dass wir miteinander gut zurechtkommen.“ Bei ihren Zuarbeiten für Grußworte, Predigten, Aufsätze habe sie versucht, „Neues mit einzubringen, das die Menschen im Bistum Magdeburg brauchen könnten“. Während sie sich bei der Arbeit für Bischof und Bistum selbst zurücknahm, arbeitete sie privat weiter an persönlichen Projekten.
Eines Tages gibt es Frauen im Bischofsamt
Bis 2021 war sie Ordinariatsrätin, zunächst als einzige Frau unter Männern. „Ich glaube, dass Frauen in der Regel einen anderen Zugang zur Wirklichkeit haben als viele Männer. Diese Sicht braucht unsere Kirche auch auf der Leitungsebene“, sagt sie. Viele Frauen seien „in dieser Hinsicht von der Kirche sehr enttäuscht“. „Ich selbst“, sagt Schleinzer, „ärgere mich darüber, dass es mit Veränderungen so langsam geht. Zugleich bin ich aber zuversichtlich, dass es eines Tages Frauen in allen Ämtern einschließlich des Bischofsamtes geben wird. Theologisch spricht nichts dagegen, dass Christus auch durch Frauen in Ämtern präsent sein kann.“ Umso mehr gelte es, Frauen in ihrer geistlichen Kompetenz zu stärken. Und „wie ein Maulwurf weiter dafür zu arbeiten, dass es in der Kirche zu Veränderungen kommt“.
In den 1980er Jahren war Schleinzer der Atemtherapeutin Hanna Lore Scharing begegnet und hat von ihr „über die Arbeit mit dem eigenen Leib“ noch einmal tiefer verstanden, „was Inkarnation, also Menschwerdung heißt und wie sehr der Mensch Einheit von Körper, Seele und Geist ist“. Seitdem gibt sie Kurse in der von Scharing initiierten Übungsweise „Rhythmus. Atem. Bewegung“ und erreicht damit auch Menschen, die nicht an Gott glauben und doch spüren, dass es da „mehr gibt als nur die Materie“. Auch auf diese Weise ist sie ihrem frühen Anliegen, heilen und begleiten zu wollen, nahe
Buchtipp
Madeleine Delbrêl: Du lebtest, und ich wusste es nicht. Gebete und poetische Meditationen. Übersetzt und herausgegeben von Annette Schleinzer, Verlag Neue Stadt, 152 Seiten, 18 Euro