Ökumenische "Woche für das Leben"

Vergesslich, aber nicht vergessen

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Besondere Gottesdienste sind gute Möglichkeiten, Menschen mit Demenz in die Kirche einzubinden. Gebete und Lieder sind bei vielen tief verankert. Erfahrungen aus dem Haus St. Michael, einem Altenpflegeheim in Ostercappeln.


Jeden Besucher spricht Monika Wilker persönlich an, bringt ihnen das Thema des Gottesdienstes (hier: Palmsonntag) nahe. Foto: Astrid Fleute

„Bewahre uns Gott, behüte uns Gott ...“ – Leise läuft die Musik, während Ehrenamtliche und Pflegekräfte Bewohner in die Kapelle bringen. „Gott erleben“ steht heute im Altenpflegeheim St. Michael in Ostercappeln auf dem Programm. Dahinter verbirgt sich ein besonderer Gottesdienst, den Monika Wilker als Begleiterin in der Seelsorge seit 14 Jahren in der Einrichtung anbietet. Besonders ist er, weil er für alle geeignet ist, auch für Menschen mit einer Demenz. 

Die Feier beginnt. Immer wieder wirft Monika Wilker liebevolle Blicke in die Runde. Sie hat einen Palmstock dabei, erzählt vom Palmsonntag, vom Jubel, von der Freude. Sie redet einfach und frei, spricht jeden Bewohner persönlich an, weckt Erinnerungen. „Hosianna“, dieser Jubelruf, ist bei vielen fest im Gedächtnis verankert. „Wann haben Sie einmal gejubelt?“, fragt Monika Wilker in die Runde. Einige Bewohner haben eine Antwort parat: „Als die Grenzen geöffnet wurden“, „Bei der Geburt der Enkel und Urenkel“, „Wenn meine Frau nachmittags kommt“. Nicht alle beteiligen sich, einige lächeln nur, freuen sich über Musik und Ansprache, fühlen sich angenommen, so, wie sie sind. In ihrem tiefsten Innern kennen sie die Lieder und Gebete. Das gibt Halt.

Auch Hedwig Harenburg sitzt im Kreis. Die Seniorin ist als Angehörige beim Gottesdienst dabei und froh, dieses Angebot gemeinsam mit ihrem Mann Josef wahrnehmen zu können. Er hat eine fortschreitende Demenz, seit elf Monaten lebt er in der Einrichtung, sie besucht ihn jeden Tag. Und sie weiß: „Auch wenn er abwesend wirkt, er bekommt alles mit, nur verzögert.“ 

Immer etwas zum Anfassen, Fühlen oder Staunen

Mit Angeboten wie diesem Gottesdienst sollen Pflegeheime noch mehr zu pastoralen Orten werden. Auch die Gemeinden sollten Menschen mit Demenz mehr in den Blick nehmen. Das wünscht sich Christiane van Melis, Referentin für die Seelsorge für Menschen im dritten und vierten Lebensalter im Bistum Osnabrück. „Diese Menschen haben die Kirche stark geprägt, waren immer da. Wir können sie nicht alleinlassen, nur weil wir mit der Krankheit nicht umgehen können.“ Dass die Woche für das Leben das Thema Demenz in diesem Jahr aufgreift, freut sie sehr. Gerade ein Gottesdienst sei eine gute Möglichkeit der Teilhabe, da er ritualisiert sei. Van Melis: „Diese Menschen brauchen  Verständnis und Annahme, auch durch die Gemeinde.“ Wortgottesdienste „in einer schönen Form“, die ein gemischtes Team aus Kirchengemeinde und Pflegeheim vorbereiten, kann sie sich dabei gut vorstellen.

In Ostercappeln ist das möglich, weil Monika Wilker sich um diese Dinge kümmert. „Ich fand es damals ganz schrecklich, dass demenziell erkrankte Bewohner nicht mehr am normalen Gottesdienst teilnehmen konnten, da sie störten“, erinnert sie sich an den Beginn ihres Angebotes. Auch der Heimleitung war schnell klar: „Wir brauchen hier ein neues Konzept für die Seelsorge, ein neues Angebot“, betont Pflegedienstleiterin Karin Niehenke. „Seelsorge hat bei uns einen ganz hohen Stellenwert“. Mindestens zwei christliche Angebote pro Woche gebe es heute. „Gott erleben“ sei eines davon. Monika Wilker wurde für diese Aufgabe freigestellt, sie ist im Heim präsent, alle kennen sie. „Bewohner und Angehörige sind sehr dankbar.“ 

Zum Gottesdienst hat Monika Wilker immer etwas zum Anfassen, Fühlen oder Staunen dabei. Das können Pusteblumen, ein weiches Fell oder eben ein Palmstock sein. Kommt jemand ins Erzählen, unterbricht sie nicht, bindet es mit ein. Nach spätestens 40 Minuten neigt sich der Gottesdienst stets dem Ende. Die Senioren sind dankbar für Zuwendung und Zuspruch. „Jeder nimmt hier etwas für sich mit. Das ist im normalen Gottesdienst nicht möglich“, betont Monika Wilker. Zum Schluss spendet sie jedem Einzelnen ganz persönlich den Segen. Für das Abschlusslied braucht niemand ein Gotteslob. Die Ehrenamtliche Maria Glandorf stimmt es an: „Großer Gott, wir loben dich.“ Das kennen alle auswendig. Auch Josef Harenburg bewegt seine Lippen. Deutlich singt er mit.

Astrid Fleute

„Mittendrin – Leben mit einer Demenz“ lautet 2022 das Thema der „Woche für das Leben“ (30. April bis 7. Mai). Die ökumenische Aktion will Verständnis schaffen und das Leben der Betroffenen in den Fokus rücken. Gemeinden sollen sensibilisiert werden für eine Teilhabe demenziell Erkrankter am kirchlichen Leben.

Weitere Artikel zum Thema lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Kirchenboten.