„Abgehängt“ – ein Gemeindemusical
Vier Tage vorher nicht mehr rasieren
Zum neunten Mal bringt die Gemeinde in Icker ein Musical auf die Bühne, an dem viele Altersstufen beteiligt sind. Musik und Texte haben die Teilnehmer selbst entworfen. Dieses Jahr geht es Menschen, die „abgehängt“ sind – und wie es mit ihnen gut weitergehen kann.
Chorprobe im Pfarrheim Icker für das neue Musical: „Magst du mal das Solo reinschmeißen?“, ruft Michael Schmoll einer Sängerin zu. Während der Chor singt, wirft er ein: „Hier ganz kurz!“, oder auch: „Hier kommt der Chor ganz breit!“ Schmoll ist immer in Bewegung. Er steht auf, spielt mit einer Hand das E-Piano und dirigiert mit der anderen, setzt sich wieder. Der Chorleiter wirkt etwas hektisch, aber organisiert. Der Chor besteht etwa zur Hälfte aus der Icker Kantorei und zur Hälfte aus Interessierten.
2018 kommt das neunte Musical in der Icker Kirche auf die Bühne. Das gesamte Stück wird jedes Mal in Zusammenarbeit vieler Beteiligter neu entwickelt. Die Musik stammt von Musikprofessor und Chorleiter Michael Schmoll. Es gibt Menschen, die sich um Texte, Kulisse und Maske kümmern, um die Organisation eines Buffets nach der Aufführung oder um den Kartenverkauf. Natürlich gehören Schauspieler, der Chor und eine Band dazu. Einige machen seit Jahren mit, aber jedes Jahr stoßen neue Interessierte dazu.
Aschermittwoch ist traditionell Start für ein neues Musical, dann setzen sich die Mitglieder der Schreibwerkstatt zusammen. Schwester Anne Voß, Gemeindereferentin in Icker, koordiniert die Arbeitsgruppen. Außerdem gehört sie zur Schreibwerkstatt. Eine kleine Gruppe sucht zunächst nach einem aktuellen Thema. „Wir überlegen, was gerade in der Luft liegt“, sagt Voß. Mitte des Jahres sind die Geschichte und einzelne Figuren entwickelt. Die Produktion der Dialoge wird auf mehrere Köpfe aufgeteilt. Michael Schmoll entwickelt die Musik. Für 2018 hat seine Tochter Johanna mitgeholfen, die auch eine Rolle übernimmt. Sie studiert Jazzgesang. „Ich habe zusammen mit Papa die Musik geschrieben“, sagt sie. Die Chorproben beginnen stets im Januar. Die etwa 50 Sänger haben zwei Monate Zeit bis zur Premiere – die ist am nächsten Freitag. Parallel zu diesem Prozess laufen die weiteren Vorbereitungen. Ein Plakat muss entworfen, die Kulissen müssen gebaut werden.
Die Szenen gestalten alle zusammen
In diesem Jahr haben Grundschüler aus Icker zusammen mit einer achten Klasse der Hauptschule Hunteburg die Kulissen entworfen. Die Grundschüler haben auch einen Auftritt in einer Szene. Das ist das Besondere am Musical in Icker: Es werden nicht nur Jugendmusicals entwickelt, sondern auch Stücke, die alle Generationen einbeziehen: Die jüngsten Teilnehmer sind in diesem Jahr die Grundschüler, der älteste Schauspieler ist über 90 Jahre alt.
Proben müssen die Schauspieler ebenso wie der Chor. Anfang Februar gibt es einen gemeinsamen Probentag. Die restliche Zeit erarbeiten die Laienschauspieler die Szenen zu Hause. „Das müssen die selber planen“, sagt Schwester Anne Voß, „aber das tun sie auch“. Da viele im Chor singen, üben sie außerdem während der Chorproben. Dann verschwinden immer wieder Kleingruppen mit Iris Brink-Schwänzl, Spielleitung und Souffleuse, und Larissa Glüsenkamp, Regisseurin, in einen Nebenraum. Es wird zum Beispiel besprochen, wer aus welcher Richtung auf die Bühne kommt. Welche Gesten machen die Figuren, in welche Richtung drehen sie sich beim Sprechen? „Wenn man in seiner Rolle steckt, sieht man alles aus dieser einen Perspektive. Ich finde es schön, den Überblick zu haben“, sagt Larissa Glüsenkamp.
Schon lange singt und spielt sie im Icker Musical mit. Glüsenkamp studiert Theaterpädagogik und hat vor zwei Jahren die Regie übernommen. Die Szene gestalten alle zusammen. Noch lesen die Schauspieler ihre Texte manchmal ab. Sie unterbrechen sich selber und machen Vorschläge. „Ich komme dann aus der Sakristei geschlurft“, schlägt Thomas Fänger vor. Er spielt den Aussteiger Benno. Der verbringt den Tag philosophierend auf der Parkbank. Um sich richtig auf seine Rolle einzustellen, hat er bereits beschlossen: „Vier Tage vorher werde ich mich auch nicht mehr rasieren.“ Benno steht der modernen Konsumgesellschaft kritisch gegenüber.
Marktleiter Petersen geht es nur um Umsatzsteigerung
Das Musical 2018 heißt „Abgehängt“ und betrachtet die Lebenssituation verschiedener Generationen. Das bezieht sich zum Beispiel auf Ältere. Sie fühlen sich von der Entwicklung von Medien und Technik überfordert. Im Stück merkt das die ältere Frau Schlüter beim Einkauf: Im Supermarkt kann sie plötzlich nur noch bargeldlos bezahlen und muss das Geschäft mit leeren Händen verlassen. Und da ist der junge Dennis, dessen Mutter alleinerziehend ist. Er kann im Supermarkt nur die billigsten Angebote kaufen und wird deswegen gehänselt.
Dem ehrgeizigen Marktleiter Petersen geht es nur um Umsatzsteigerung. Dazu erfindet er ein Produkt: „Air2go“ – „Luft zum Mitnehmen“ – bietet gestressten Menschen die Möglichkeit, frische Luft stets in der Flasche dabei zu haben. Benno vermutet, dass die Idee nicht so erfolgreich ist, wie erhofft. Er erkennt, dass das Konzept „höher, schneller, moderner“ viele Menschen „abhängt“. Der Marktleiter steht schließlich vor der Geschäftsaufgabe: Er hat sich verkalkuliert. Das Musical bleibt hier aber nicht stehen – es endet mit einer Idee, wie ein Weiterkommen gemeinsam gelingen kann.
Katharina Westphal
Premiere zu „Abgehängt“ ist am Freitag, 9. März, eine zweite Aufführung am Samstag, 10. März. Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr in der Pfarrkirche in Icker. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 5 Euro. Karten im Vorverkauf unter anderem im Pfarrbüro.