Über erste Begeisterung und spätere Ernüchterung

Vom Brennen, Ausbrennen und Wiederentfachen

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„Entfache die Gnade Gottes wieder, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteilgeworden ist!“, mahnt die Lesung. Offenbar ist Timotheus mit weniger Feuer bei der Arbeit als zu Beginn seines Dienstes. Das geht vielen so, auch Pfarrer Hans-Joachim Wahl.

Foto: Rainer Sturm/pixelio.de
Manchmal bleibt vom Feuer des Anfangs nur Glut übrig. Oder gar Asche. Wie entfacht man es neu? Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

Herr Pfarrer Wahl, was bedeutet Ihnen persönlich der Satz „Entfache wieder die Gnade Gottes“?

Für mich steckt darin der Appell: Bleib deinen Wurzeln treu; bleib dem treu, was du bei der Priesterweihe versprochen hast und was du da als Auftrag entgegengenommen hast!

Worin sehen Sie den größten Unterschied von dem Feuer, das bei Ihrer Priesterweihe in Ihnen gebrannt hat, zu dem heute?

Ich merke immer mehr, dass es ohne die Gemeinschaft derer nicht geht, die mit mir unterwegs sind. In der Militärseelsorge gab es den scherzhaften Spruch: Ab einem gewissen Dienstgrad motiviert sich der Soldat selbst. Mir ist aber wichtig, dass ich weiß: Es steht eine Gemeinschaft hinter mir, die mich trägt, auch wenn ich mich manchmal allein auf weiter Flur fühle. 

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Wenn ich an die Anfänge nach meiner Priesterweihe denke, da hat das kirchliche Umfeld noch mehr getragen. Ich bin mir bewusst, dass wir von vielen volkskirchlichen Dingen Abschied nehmen müssen, mit denen ich aufgewachsen bin. Die Zeit ist vorbei. Das muss nicht neu entfacht werden. Und es ist nicht nur ein Verlust. Jetzt sind andere Formen gefragt, den Glauben lebendig zu halten.

Im Timotheusbrief wird die Hilfe Gottes durch den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit zugesagt. Wo merken Sie das?

Wichtig ist, die Beziehung zu Gott durch Gebet und anderes lebendig zu halten. Die Handauflegung ist da ein starkes Zeichen. Sie sagt: Gott liebt und beschützt dich, und er sendet dich. Ich habe große Freude an der Musik: etwa wenn ich im Chor singe oder wenn ich selbst Orgel spiele. Da ist Liebe und Kraft spürbar für mich.

Und der Geist der Besonnenheit?

Auch wenn man das Gefühl hat, dass im übertragenen Sinn die Kirschen im Garten des Nachbarn immer besser sind und das Gras dort immer grüner ist, dann hilft der Geist der Besonnenheit, bei dem zu bleiben, was einem gegeben ist – und nicht wegzulaufen.

Wer für etwas brennt, läuft auch Gefahr, auszubrennen – in einen „Burn-out“ zu kommen. Sie selbst haben das erlebt und auch öffentlich gemacht ...

Ja, mir hat sehr zu schaffen gemacht, dass ich viele Aufgaben „unter Beibehaltung der bisherigen Tätigkeiten“ übernommen habe. Das wurde immer mehr – angefangen mit einer Pfarrei, am Ende wurden daraus drei große; hinzu kamen eine Gemeinde fremder Muttersprache sowie Aufgaben bei der Caritas und im Diözesanverband des Kolpingwerks. Das hat mir im Einzelnen zwar Freude bereitet, aber die Häufung der Aufgaben hat mich schmerzhaft an meine Grenzen geraten lassen. Die Befreiung ist nun, dass ich eine Aufgabe habe, die mich komplett fordert, aber bei der ich mich konzentrieren kann auf einen inhaltlichen und geistlichen Schwerpunkt – und die Beziehung zu den Menschen.

Als eine Ursache für ein Ausbrennen sehen Fachleute eine Allzuständigkeitsfantasie, bei der man alles selbst machen will. Wie entgehen Sie dieser Gefahr, gerade auch als Priester?

Da ist der Geist der Besonnenheit mein Korrektiv und meine Grenze: Ich muss mit meiner Kraft gut haushalten.

Wenn man für etwas brennt, kann das auch Schmerzen verursachen. Wo „leiden“ Sie „für das Evangelium“, wie es im Timotheusbrief heißt?

Das kann ich aktuell und konkret benennen: der Umgang der Kirche mit den verschiedenen Lebensformen – wie da ausgegrenzt wird. Das halte ich für nicht evangeliumsgemäß. Daran leide ich. Da muss sich noch viel verändern.

Und wie schaffen Sie es, in mancher Verzagtheit doch wieder neu das Feuer der Gnade zu entfachen?

Mir hilft die Erinnerung an Zeiten, in denen ich das Tief überwinden konnte: durch Rückzugsorte, durch Ruhe, durch Neusortieren und durch das Getragensein in der Weggemeinschaft mit vertrauten Personen. Und es braucht gute Perspektiven und die Sehnsucht auf ein Ziel hin. An diesen Kraftquellen dranzubleiben, das lässt mich weitergehen.

Das Gespräch führte Michael Kinnen

Foto: Kolpingwerk Deutschland
Pfarrer Hans-Joachim Wahl (62) ist Bundespräses des Kolpingwerks.
Foto: Kolpingwerk Deutschland