Pfarrer Romanus Kohl über die Situation in Afghanistan

Was bleibt, ist ein Scherbenhaufen

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Als Militärseelsorger hat Pfarrer Romanus Kohl zweimal Soldatinnen und Soldaten in einen viermonatigen Afghanistan-Einsatz begleitet. 2013 war er in Masar-i-Scharif im Norden und nach einem Aufenthalt im Irak (2016) folgte über Weihnachten und die Jahreswende 2017/2018 ein Einsatz in Kabul. Fassungslos hat er die Ereignisse der letzten Tage in den Nachrichten verfolgt.


Andacht an der Ehrenmauer des Bundeswehr-Camps in Masar-i-Scharif. An der Wand erinnern Namenstafeln an die gefallenen Soldaten. Insgesamt verloren 59 Angehörige der Bundeswehr in Afghanistan ihr Leben.

Seit einem Jahr ist Romanus Kohl Pfarrer in St. Joseph in Salzgitter-Lebenstedt. Doch noch immer hat der ehemalige Militärseelsorger gute Kontakte zu Soldatinnen und Soldaten, die mit ihm in Afghanistan waren. „Sie alle stehen fassungslos vor dem Scherbenhaufen dieses 20-jährigen Einsatzes der Bundeswehr“, sagt Kohl. Nach elf Jahren als Militärseelsorger und zwei Einsätzen in Afghanistan kann er die Gefühle der Soldaten nur zu gut verstehen. „Sie fragen sich, warum das alles, warum die toten Kameraden, die Verletzungen, die Traumata, die Kosten? Und innerhalb nur weniger Wochen, ja weniger Tage ist das Land wieder da, wo es vor dem Nato-Einsatz  gestanden hat“, sagt der Priester.

Für ihn ist es eine menschliche Tragödie mit vielen Facetten. „Auf der einen Seite sind die Gefallenen und ihre Angehörigen, die Verletzten und Traumatisierten. Auf der anderen Seite die einheimischen Helfer, die sogenannten Ortskräfte, die nun Angst haben vor der Rache der Taliban, und dass sie – gerade die Frauen – ihre in den letzten zwei Jahrzehnten gewonnenen Freiheiten und das Recht auf Bildung wieder verlieren.“
 


Während seines ersten Afghanistaneinsatzes war Oberstabsgefreiter Sven Steinberger (links) Fahrer, Sekretär, Messdiener und bewaffneter Begleiter von Romanus Kohl (rechts).

Zwar habe er selbst keine gro­ßen Kontakte während seiner Aufenthalte in den Camps in Masar-i-Scharif und Kabul zu Ortskräften gehabt, aber man kannte sich. „Frauen und Männer kamen morgens ins Lager. Die einen halfen in der Küche, andere arbeiteten als Dolmetscher, Sekretärinnen und wieder andere führten hier einen kleinen Laden. Sie verkauften Kleinigkeiten des täglichen Lebens, waren Friseure oder Schneider. Rund zwanzig Jahre waren die Lager der Bundeswehr ihr zweites Zuhause, sicherte der Einsatz ihnen und ihren Familien  den Lebensunterhalt“, erzählt Kohl. Er weiß aber auch, dass zwischen Soldaten und einheimischen Begleitern und Dolmetschern, die zusammen auf Patrouille im Land unterwegs waren, Freundschaften entstanden sind. „Dass sie sich nun Sorgen um ihre Freunde machen, ist beim Anblick der Nachrichtenbilder nur zu verständlich“, betont er.

Dass die Lage in Afghanistan nie ungefährlich war, weiß Kohl aus eigener Erfahrung. „Wenn ich unterwegs war, hatte ich immer einen bewaffneten Begleiter dabei, meist wurde ich zu Treffen der internationalen Militärseelsorger oder zu Gottesdiensten mit dem Hubschrauber geflogen oder bin in einem schwerbewachten Konvoi mitgefahren. Die Angst vor Anschlägen war immer präsent“, erinnert er sich.

Bei seinem zweiten Einsatz wurde dann auch das Bundeswehrlager in Kabul an den Flughafen verlegt. „Aus Sicherheitsgründen! Richtig sicher war es in Afghanistan nie“, meint er.
 


Vor der Patrouille segnet Militärseelsorger Romanus Kohl ein neues Einsatzfahrzeug und bittet um eine gute und gesunde Heimkehr.

Und dass die afghanische Armee so schnell aufgegeben hat, wundert ihn nicht. „Die Soldaten standen nicht hinter ihrer Regierung, die eigentlich nur in Kabul und im direkten Umland Rückhalt hatte. Ansonsten ist Afghanistan ein Land, das aus vielen Stämmen, vielen Clans besteht. Und statt die Stämme an einen Tisch zu holen, um dem Land Stabilität zu geben, wurden die regionalen Provinzgouverneure gegen Leute aus Kabul ausgetauscht.“

Doch das alles kann die Fassungslosigkeit der Bundewehrangehörigen nicht mindern. „Sie stehen vor diesem Scherbenhaufen und fragen sich, ob sie ihren Job richtig gemacht haben, ob etwas in der Ausbildung der afghanischen Soldaten falsch war – oder ob die Politik versagt hat?“

Als die Soldatinnen und Soldaten des letzten Afghanistan-Kontingents der Bundeswehr vor Kurzem auf dem Fliegerhorst in Wunstorf ohne Begrüßung durch Politiker landeten, wurde versichert, dass der Einsatz der Bundeswehr unter anderem mit einem Großen Zapfenstreich vor dem Reichstag gewürdigt werden solle. „Ich glaube, dass dies nach den aktuellen Bildern  und Nachrichten aus Afghanistan nun nicht mehr angebracht ist. Was will man den Soldatinnen und Soldaten sowie den Angehörigen der Gefallenen denn angesichts dieses Desasters sagen?“, fragt Romanus Kohl.

Edmund Deppe