Anfrage
Was hat Jesus gesagt, was die Evangelisten?
Ein evangelischer Theologieprofessor hat einmal behauptet, nur etwa 3 Prozent der Worte Jesu in den Evangelien seien wirklich von ihm. Ist das wahr? Kann man das so genau bestimmen?
Tatsächlich wird schon seit dem 18. Jahrhundert um die Frage gerungen, was Jesus wirklich gesagt und getan hat. Schließlich sind die Evangelien frühestens 30 Jahre nach Jesu Tod aufgeschrieben worden und könnten ihn deutlich anders darstellen, als er gewesen ist.
Die Grundthese des evangelischen Theologen Gerd Lüdemann ist, dass die Evangelisten einiges von dem entschärft hätten, was Jesus viel radikaler formuliert hat. Die Umkehrpredigten Jesu und die Erwartung, dass Gottes Gericht bald kommen würde, seien wohl echt. Andere Worte, wie der Anspruch Jesu, der Weg, die Wahrheit und das Leben zu sein, seien Glaubensworte späterer Ausleger. Für Lüdemann findet sich im ganzen Johannesevangelium kein einziges echtes Wort von Jesus.
Ein weiteres Kriterium ist für Lüdemann Originalität, denn Jesus sei ganz anders als die anderen Propheten seiner Zeit gewesen. Auch sei alles, was auf magische Rituale und Dämonenaustreibungen in seinen Heilungen hinweise, als echt anzusehen, so wie dies oft im Markusevangelium als ältestem Evangelium geschildert wird. Lüdemann kommt also zu dem Schluss, dass nur wenige Jesus-Worte wirklich echt sind. Und diese zeigten einen radikalen Prediger eines baldigen Weltgerichts durch Gott.
Das Hauptproblem dieses Ansatzes: Lüdemann entscheidet im Voraus, wie Jesus gewesen sein muss, und findet dann die für ihn echten Worte. Aber sind diese Kriterien nicht auch seine persönliche Auslegung?
Tatsächlich ist es vielmehr so: Im Sprung über 2000 Jahre lassen sich wohl überhaupt keine Jesus-Worte mehr als zweifelsfrei echt festlegen. Ein echter Jesus bleibt historisch gesehen immer eine Hypothese. Der Glaube von Chris-tinnen und Christen bleibt vielmehr an die ganze Botschaft der Evangelien verwiesen. Im Lesen und Leben all ihrer Worte entscheidet sich immer wieder, ob die Verfasser im Geist Gottes schrieben und deshalb unser Vertrauen auch heute noch verdienen.
Von Christoph Buysch