Reinheit in der Bibel

Was uns rein macht

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Wer in Corona-Zeiten lebt, meint, die biblischen Texte dieses Sonntags sofort zu verstehen: Infizierte sollen abgesondert leben! Dabei sind die Begriffe „rein“ und „unrein“ in der Bibel keineswegs medizinisch gemeint.  

Eine Frau wäscht sich die Hände mit Seife.
Keime an den Händen? Desinfizieren ist die Lösung. Aber wie ist das mit der inneren Sauberkeit?

Von Susanne Haverkamp

Wenn im Buch Levitikus von Aussatz und Absonderung die Rede ist, ist der Infektionsschutz nur ein Nebenschauplatz. Der Hauptschauplatz ist der Tempel und das Ziel ist kultische Reinheit. 

Das Judentum kennt wie andere antike Religionen zahlreiche Gründe, unrein zu sein. Hautausschlag ist einer. Andere sind die Absonderung von Körperflüssigkeiten – etwa Sperma und Menstruationsblut –, das Essen verbotener Speisen, das Berühren einer Leiche oder der Kontakt mit Nichtjuden. Wer unrein ist, darf nicht zum Gebet hinzutreten. 

Reinigen kann man sich selbst durch rituelle Waschungen; in anderen Fällen braucht es dazu Priester, etwa beim Aussatz oder am Versöhnungstag, wenn das Heiligtum selbst kultisch gereinigt wird. Doch schon die Propheten kritisieren diese äußere Auffassung von Reinheit und Unreinheit. So schreibt Jesaja: „Die Brandopfer von Widdern und das Fett von Mastkälbern habe ich satt , spricht der Herr ... Wascht euch, reinigt euch! Schafft mir eure bösen Taten aus den Augen! Hört auf, Böses zu tun!“ (Jesaja 1,11.16) .

Dass Jesus eine jüdische Reformbewegung anführte, wird in seinem Umgang mit den vielen Reinheitsvorschriften deutlich. Einerseits erkennt er sie an, schließlich sagt er im Evangelium zu dem Geheilten: „Geh, zeig dich dem Priester und bring für deine Reinigung dar, was Mose festgesetzt hat.“ Andererseits widersetzt er sich der rigiden Auslegung. So berührt er den Aussätzigen – und macht sich damit selbst unrein. Er lässt sich auch von der blutflüssigen Frau berühren. Und er hat Kontakt mit den als unrein geltenden Frauen aus Samarien (Johannes 4,1–42) und Syrophönizien (Markus 7,24-30). 

„All dieses Böse kommt von innen“

Jesu Kritik gipfelt in seinem Lehrgespräch über die Reinheit (Markus 7). Den Jüngern sagt er: „Versteht ihr nicht, dass das, was von außen in den Menschen hineinkommt, ihn nicht unrein machen kann?“ Unrein sei vielmehr das, was im Herzen des Menschen vor sich geht: „Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein.“ (Markus 7,21–23)

Damit ist Jesus in der Spur der alttestamentlichen Propheten und schlägt in seiner Radikalität doch ein neues Kapitel auf, das Christentum und Judentum voneinander scheiden wird. So erklärt später Petrus nach einer Vision im Judentum als unrein geltende Tiere genauso für rein (Apg 10,15) wie die unreinen Häuser von Heiden, die ein Jude nicht betreten durfte (Apg 10,28). Und Paulus kommt zu der Einsicht: „Ich weiß und bin im Herrn Jesus fest davon überzeugt, dass nichts unrein ist in sich selbst.“ (Römerbrief 14,14)

Alles klar, könnte man denken: Im Christentum gibt es keine äußere, sondern nur eine innere, moralische Unreinheit. Und theoretisch ist das auch so. Praktisch allerdings blieb der Gedanke der kultischen Reinheit weiter bestehen, etwa, was die Sexualität betrifft. Denn die Einführung der Zölibatsverpflichtung hat sehr wohl mit der Vorstellung zu tun, dass Sex unrein ist. So sollten Priester auch in der Zeit, als sie noch heiraten durften, am Tag vor der Eucharistiefeier enthaltsam leben. Und dass die Enthaltsamkeit die heiligen Hände des Priesters rein mache für die Feier des Opfers Christi, war noch im 19. Jahrhundert ein Kernargument für den Zölibat.

Umgekehrt galten Frauen während der Monatsblutung lange als unrein, und die bis in die 1960er Jahre praktizierte Aussegnung von Frauen nach der Entbindung hatte ganz wesentlich mit dem Ende der Wochenbett-Blutungen zu tun. So, wie im Buch Levitikus angewiesen wird: Eine Frau, die einen Sohn geboren hat, muss 33 Tage zu Hause bleiben, bei einem Mädchen 66 Tage. Danach soll sie im Tempel ein Brandopfer darbringen, „so wird sie von ihrem Blutfluss gereinigt“. (Levitikus 12,7) Erst die nachkonziliare Liturgie wandelte den Muttersegen konsequent zum Dank für die glückliche Geburt und Bitte um Begleitung um.

Inwieweit der Gedanke der Reinheit etwa auch beim Gebot der Nüchternheit vor dem Kommunionempfang eine Rolle spielt, ist umstritten. Geistlich gedeutet sollte dieses Gebot die besondere Wertschätzung der geistlichen Speise symbolisieren, die, wie schon Tertullian formulierte, „vor aller anderen Speise“ genossen werden soll.

Unumstritten ist hingegen die Bedeutung der moralischen Reinheit beim Empfang der Kommunion. Für Laien führte das dazu, dass sie lange nur kurz nach einer Beichte für würdig gehalten wurden, die Kommunion zu empfangen. Dass während der laufenden Messe bei anderen Priestern knapp vor der Kommunion gebeichtet wurde, um die Gefahr möglichst gering zu halten, einen unreinen Gedanken zu denken, war noch vor 50 Jahren keine Seltenheit.

„Herr, wasche ab meine Schuld“

Für Priester wird der Gedanke der moralischen Reinheit bei der Händewaschung am Ende der Gabenbereitung deutlich. Denn anders als bei der coronabedingten Handdesinfektion geht es hier nicht um Hygiene. Das Begleitgebet zur rituellen Händewaschung lautet: „Herr, wasche ab meine Schuld, von meinen Sünden mache mich rein.“

Im Gegensatz zu Hygiene sind die Begriffe Reinheit und Unreinheit für uns heute schwierig oder zumindest ungewohnt. Was Befleckung von außen angeht, sowieso; aber auch, was die innere Reinheit betrifft, haben wir eher das Gottesbild des barmherzigen Vaters vor Augen als das des buchhalterischen Zählers unreiner Gedanken. Das ist einerseits gut so, denn viel zu viele Menschen haben psychische Probleme, weil sie sich innerlich schmutzig und unwürdig fühlen. Den Anspruch Jesu ganz zu vergessen, ein reines Herz zu haben, das wäre aber wohl auch zu einfach.