Pro und Contra "Aufräumen als Muss"

Weg damit?

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Viel zu viel von allem? Aufräumen ist in der Corona-Zeit zum Volkssport geworden. Und passt auch zur Fastenzeit. Pro und Contra: Barbara Faustmann sieht im Aufräumen den Neuanfang und kann sich gut trennen: Ballast abwerfen lässt sie aufatmen. Ruth Lehnen tut sich da schwerer, sieht cleanen Minimalismus kritisch. Ohne ihren Zeitungsstapel fühlt sie sich nicht wohl.


Barbara Faustmann

PRO: Ordnung ist das halbe Leben, das war die Maxime meiner Großmutter. Ständig ließ sie diesen Satz fallen. Er war prägend. Viele Menschen heben Dinge, Erinnerungsstücke, Postkarten, Bücher, alte Kleidung auf. „Kann man ja vielleicht noch mal gebrauchen“ steckt dahinter. Ist das wirklich so? Ich schaue meine Wohnräume mit kritischem Blick an. Zu viel Schmuck und Tand stört meinen freien Blick. Ich fühle mich eingeengt und kann die Staubflocken nicht ertragen. Also, weg damit, getreu dem Motto: Weniger ist mehr. Was sollen denn die Kisten meiner Kinder im Keller noch? Uralte Schulhefte, Bücher und Krimskrams finden sich dort drin. Kein Mensch schaut da je noch mal rein. Die Kartons stehen einfach nur im Weg rum. Bücherkisten, wohin das Auge schaut. Diese Bücher liest keiner mehr. Weiter geht es in Kleider- und Küchenschränken. Nein, es ist kein Verlust, diese auszumisten. Im Gegenteil, es lässt frei aufatmen. Nachdenklich stimmt mich die Aussage eines Freundes: „Ich räume jetzt schon auf, fröne dem Minimalismus. Meine Kinder sollen später nicht mit meinen Sachen belastet werden und einen Container bestellen müssen.“
Es gibt Ratgeber zum Entrümpeln. Zu lesen ist, dass der Blick und das Gemüt klarer werden, wenn Ballast abgeworfen wird. Ich habe Schränke gnadenlos ausgemistet und bis heute nicht ein Teil vermisst. Ein Umzug kann sehr hilfreich sein. Alles, was ich monatelang nicht in den Händen hatte, brauche ich auch nicht mehr mitnehmen.
Wirklich wertvolle Erinnerungsstücke haben sowieso einen Ehrenplatz und werden an die nachfolgende Generation weitergegeben. Ein kleines Holzkästchen meiner Tante, die uralte Ritterburg meines Großvaters, das sind Stücke, die niemals auf dem Müll landen. Sie haben einen sehr hohen Wert. Genauso wie die bunten Bauklötzchen, mit denen jetzt meine Enkelin spielt.

Barbara Faustmann, Redakteurin

 

Ruth Lehnen

CONTRA: Jawohl, auch ich war brav und habe aufgeräumt in diesen Zeiten. Auch das Erstaunen hat sich eingestellt: Warum wurde das alles verwahrt? Was habe ich mir dabei gedacht? Aber eine Jüngerin der japanischen Aufräumexpertin Marie Kondo wird aus mir nicht mehr werden. Sicher, auch ich bin nicht unberührt von den Magazinfotos, auf denen wohlgestaltete und -gekleidete Menschen in übersichtlichen, hellen Wohnräumen wirken wie eine Dekoration. Damit es bei uns so aussähe, müsste sich als erstes meine Liebe zum Zeitungsstapel verflüchtigen. Undenkbar. Denn er birgt so viel Gutes. So viel mit Lust Wiedergefundenes. So viel beim ersten Lesen Übersehenes. Ein gut abgelagerter Zeitungsstapel ist unverzichtbar, auch wenn ich natürlich lauthals jammere über das Altpapier. Und dann die Bücher. Sie sind meine Freunde – soll ich mich von ihnen trennen, weil sie alt geworden sind? Niemals! Nach dem Motto „Ich bin noch nicht tot!“ habe ich mich wieder dem Büchersammeln verschrieben.
Diese Freunde scharf in Reih und Glied zu stellen, gar nach Alphabet, das wäre ja – unfreundlich? Und so denke ich über viele Dinge meines Lebens. Aus dem aufgelösten Haushalt meiner Eltern gibt es ein paar Kisten ... Ich habe darin jetzt die Abiturrede meines Vaters gefunden, aus dem Jahr 1951. Seine Schrift ist schön, aber schwer lesbar – es kommt mir vor, als habe er ein paar Geheimnisse für mich versteckt; ich höre seine Stimme, ich denke über ihn nach.
Klar, das Ganze darf nicht ausarten. Sich hin und wieder, auch mal spektakulär, von etwas zu trennen, es hinauszuwerfen aus dem Haushalt, kann sehr heilsam sein. Aber – mein Leben kommt mir entgegen in den Dingen meines Lebens, manchmal in Schmuck, in Fotos; sie sind mir wert, sie rühren mich an, sie erinnern mich. Und deshalb dürfen sie bleiben.

Ruth Lehnen, stellvertretende Redaktionsleiterin

 

Aufräumen, sortiert in zehn Punkten

1. Am Anfang ist die Unordnung. Sie fordert Sortierung.
2. Was will ich aufbewahren, was kann ich abgeben? Was gehört in den Müll?
3. Dabei gibt es sachliche Erwägungen: Was habe ich lange nicht gebraucht? Wofür ist kein Platz?
4. Es sind aber auch Gefühle zu beachten: Manches  scheinbar unnütze Teil transportiert so viele Erinnerungen oder positive Gefühle, dass es unbedingt aufgehoben werden sollte.
5. Aufräum-Gurus empfehlen: Klein anfangen. Also nicht: der ganze Keller!, sondern nur: heute diese Schublade.
6. Messie: So heißt das Schreckgespenst. Abgeleitet von dem englischen Wort für „mess – Unordnung, Chaos“ bezeichnet es Menschen, die zwanghaft (wertlose) Gegenstände anhäufen. Ein Messie braucht psychologische Hilfe.
7. Simplify – aus dem Englischen bezeichnet die Haltung, das Leben zu vereinfachen („simplify“), indem man auf die Anschaffung nutzloser Gegenstände („Stehrümchen“) verzichtet.
8. Umzug: beste Gelegenheit!
9. Überfluss: Christlich gesehen ist weniger oft mehr: mehr Besitz verführt dazu, sich an den Dingen festzuhalten.
10. Zwanghaft ordentlich ist nicht das Ziel. Eine Wohnung darf die Eigenart des Bewohners spiegeln. (nen)