Bald feiern wir Christi Himmelfahrt – und das Fest ist komplizierter, als man denken könnte

Weißt du, wo der Himmel ist?

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„Ich gehe fort“, kündigt Jesus im heutigen Evangelium an, und: „Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe.“ Aber wo ist der Vater? Traditionell sagen wir: im Himmel – doch was heißt das? Und wie können wir uns die Himmelfahrt vorstellen?

Foto: pixelio.de/Matthias B.H.
„Die Wolke nahm ihn auf“: Feiern wir das an Christi Himmelfahrt? Foto: pixelio.de/Matthias B.H.

Von Susanne Haverkamp

Früher war manches einfacher. Und anschaulicher. Da wurde am Himmelfahrtstag einfach illustriert, was in der Bibel steht. „Er wurde vor ihren Augen emporgehoben und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken“, heißt es in der Apostelgeschichte. Und so galt Himmelfahrt als Fahrstuhl nach oben, und früher entzog man in manchen Kirchen eine Jesusfigur durch ein Loch in der Decke den Blicken der Gläubigen.

Die Vorstellung war zwar anschaulich, aber auch gefährlich. Berühmt ist der ironische Satz des russischen Raumfahrers Juri Gagarin: „Ich war im Weltraum, aber Gott bin ich nicht begegnet.“ Natürlich nicht, würden wir heute sagen, schließlich ist der Weltraum nicht der Himmel. Und wir verweisen gern auf die englische Sprache, die einen Unterschied macht zwischem dem „sky“, dem sichtbaren blauen (oder grauen) Himmel und dem religiösen „heaven“. Doch während wir den „sky“ naturwissenschaftlich beschreiben und erforschen können, bleibt der „heaven“ unfasslich. Wo ist der religiöse Himmel, wo ist Gott, wo der aufgefahrene Jesus Christus, wo sind unsere Verstorbenen, wenn nicht irgendwo da oben?

Das antike Dreischichtenmodell

Die Bibel erzählt von Christi Himmelfahrt auf dem Hintergrund des antiken Weltbilds. Es war ein Dreischichtenmodell: oben das Reich der Götter; unten das Reich der Toten; in der Mitte unser Reich, das der Lebenden. Und so ist eben auch Jesus nach seiner Erdenzeit „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ und „aufgefahren in den Himmel“.

Doch schon die Evangelien erzählen unterschiedlich von dem, was nach dem Tod Jesu geschehen ist. Unsere bildhafte Vorstellung ist geprägt von Lukas. Er beendet sein Evangelium so: Nach der Entdeckung des leeren Grabes (24,1-12) folgt die Emmausgeschichte (24,13-35). Dann begegnet der Auferstandene den Aposteln in Jerusalem, um ihnen noch einmal alles zu erklären (24,36-49), und anschließend heißt es: „Dann führte Jesus sie hinaus in die Nähe von Betanien. Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben.“ (24,50-51)

Derselbe Lukas schreibt noch ein zweites Buch: die Apostelgeschichte. Die beginnt mit der Himmelfahrt, doch diesmal mit Varianten gegenüber seinem Evangelium. So taucht nur in der Apostelgeschichte eine Wolke auf, die Jesus umschließt, und nur hier ist von 40 Tagen nach Ostern die Rede – bis heute unser Himmelfahrtstermin.

Zweimal Auferstehung ohne Himmelfahrt

Die anderen Evangelisten erzählen das alles ziemlich anders. Auch bei (dem früheren) Markus begegnet der Auferstandene den Aposteln in Jerusalem. Er beauftragt sie, das Evangelium zu verkünden und zu taufen und „nachdem er das zu ihnen gesagt hatte, wurde er in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes.“ (Markus 16,19) Der Verdacht liegt nahe, dass (der spätere) Lukas diese etwas trockene Vorlage ein bisschen ausschmücken wollte.

Matthäus und Johannes kommen sogar ganz ohne Himmelfahrt aus. Matthäus endet mit dem Taufbefehl und dem Versprechen: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (28,20) und das Johannesevangelium endete ursprünglich mit der Thomasgeschichte (20,24-31), bevor später von Johannesschülern noch zwei Erscheinungen angehängt wurden, die sich um die kirchliche Rolle des Petrus drehen (Kapitel 21).

Kann nur eine Version stimmen?

Wenn man sich diese Unterschiede anschaut, entdeckt man wieder einmal: Den Evangelisten ging es nicht um die Berichterstattung über historische Begebenheiten. Sie hatten überhaupt keine Probleme damit, dass ihre Geschichten über Jesus verschieden waren, sich teilweise sogar widersprachen. „Nur eines kann stimmen“ – diese rationale Logik unserer Zeit kannten sie nicht. So hatte etwa Markus ein Herz für kurz und knapp; Lukas war ein großer Erzähler und Freund ausschweifender Schilderungen; und Johannes, dem hochfliegenden Theologen, waren seitenlange Abschiedsreden wichtiger als anschauliche Geschichten. Verständlich also, dass Lukas die Himmelfahrt als Einziger so herrlich bildlich erzählt und dass genau diese Version sich durch die Jahrhunderte im Glaubensbewusstsein der Christen festgesetzt hat.

Heute aber – und damit wären wir wieder am Anfang – sind solche Geschichten schwierig. Wir ahnen: Die Sache mit der Wolke und dem Fahrstuhl nach oben, das kann so nicht gewesen sein. Und wie Juri Gagarin erliegen manche dem Irrtum: Wenn nicht so, dann stimmt gar nichts. Wenn Gott nicht oben zu finden ist, dann existiert er eben nicht.

Vielleicht tut es deshalb gut, die bekannte Erzählung einmal hinter uns zu lassen und zu fragen: Was glauben die Evangelisten, wo Jesus ist, wo Gott ist, wo der Himmel ist?
Spannend ist dabei Matthäus und sein allerletzter Satz: „Ich bin bei euch, alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Bei euch – das heißt ja: nahe und nicht weit weg; eher bei uns auf Erden als in fernen Sphären. Und der Himmel, das ist dann weniger ein Ort als ein Moment: ein Moment der Nähe Gottes, der Moment, in dem wir spüren: Jesus ist da. Der Moment des Glücks, der Erfüllung, der Liebe, in dem wir merken: Alles ist gut und richtig. Alles ist so, wie Gott es für uns will.

Garten, Mahl und Wallfahrt

Auch auf Erden gibt es diese himmlischen Momente, das, was wir „den Himmel auf Erden“ nennen. Aber sie sind kurz, endlich, vergänglich, Momente eben. Aber doch ein Vorgeschmack auf das, was wir erhoffen und was wir religiös den Himmel nennen. Auf das ewige Glück bei Gott, die unendliche Liebe, die vollkommene Erfüllung, das nicht endende Gefühl: Alles ist gut und richtig, alles ist so, wie Gott es für uns will. Ein „Was“ also, kein „Wo“.

In der Bibel gibt es viele Visionen und Bilder von diesem Himmel. Mal spricht sie von einem wunderschönen Garten, mal von einem festlichen Mahl mit besten Speisen und edelstem Wein. Mal von einer Stadt aus Gold und Edelsteinen, die kein Licht braucht, weil Gott ihre Leuchte ist. Mal von einem Land, in dem Wolf und Lamm beieinanderliegen. Mal von einer Wallfahrt, die alle Völker und Rassen miteinander unternehmen und durch die jede Feindschaft hinweggefegt ist. All diese Bilder knüpfen an irdische Erfahrungen an. An Momente des Himmels auf Erden, die irgendwann und irgendwie in Gott vollendet sein werden. Im „heaven“, nicht im „sky“.