Das "Ethik-Eck": Neue Familienkonstellation

Wenn der Sohn die Partnerin des Vaters ablehnt

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Die Frage lautet diesmal: „Einige Jahre nach meiner Scheidung habe ich nun eine neue Partnerin gefunden. Einer meiner Söhne will keinen Kontakt zu ihr. Das schmerzt mich. Wie kann ich mich verhalten?

 


Gute Gründe

Ja, das schmerzt: Der Sohn will keinen Kontakt zu der Frau, die dem Vater so wichtig geworden ist in der Zeit nach der Trennung. Beide sind Teil seines Lebens, und unter keinen Umständen möchte er einen von beiden verlieren.


Bernadette Wahl hat Theologie
und Religionspädagogik studiert,
ist systemische Beraterin und
arbeitet für das Bistum Fulda
in der Citypastoral.

Bevor der Vater spontan reagiert, ist es ratsam, genauer hinzusehen. Eine sehr hilfreiche Frage kenne ich aus der systemischen Beratung: Welche guten Gründe könnte der Sohn für sein Verhalten haben?
Erster Gedanke: Es liegt nahe anzunehmen, dass der Sohn solidarisch mit seiner Mutter sein möchte und die neue Frau im Leben seines Vaters die Trennung der Eltern wieder schmerzhaft hervorholt. Vielleicht hatte der Sohn Hoffnung für die Beziehung der Eltern? Weiß die Mutter von der neuen Partnerin? Wie viel Spannung zwischen den biologischen Eltern muss der Sohn gerade aushalten?
Zweiter Gedanke: Wie gut hat der Vater seinen Sohn in seinen Prozess mitgenommen? Hat er offen mit seiner Familie darüber gesprochen, dass er bereit für eine neue Beziehung ist und er aktiv auf der Suche nach einer Partnerin ist? Wenn nein, ist es nicht verwunderlich, wenn es dem Sohn schwerfällt, die neue Frau zu integrieren. Vielleicht hatten Vater und Sohn durch die Scheidung auch eine besonders enge Verbindung aufgebaut, die jetzt bedroht scheint. Vater-Sohn-Beziehungen sind oft besonders wichtig für die psychosoziale Entwicklung – es lohnt sich, in diese Perspektive zu investieren – gerade, wenn der Sohn noch sehr jung sein sollte.
Dritter Gedanke: Hatten die beiden genügend einladende Gelegenheiten, sich gegenseitig kennenzulernen? Wie wurden die beiden einander vorgestellt? Wohnen alle plötzlich in einer Wohnung? Wurde der Sohn in den großen Veränderungen seines Lebens um Einverständnis gebeten? Der Vater muss letztlich nicht um Erlaubnis für die Beziehung bitten, ein Zweitleben aufbauen oder die Beziehung beenden, es ist jedoch eine Respekt-Frage, inwiefern die Bedürfnisse des Sohnes respektiert werden.
Vierter Gedanke: Die Chemie stimmt einfach nicht. Das kann passieren. Die Kommunikation darüber hilft jedoch, alle anderen möglichen guten Gründe auszuschließen.
Sigmund Freud empfiehlt: „Wenn wir die Gründe für das Verhalten der anderen verstehen könnten, würde plötzlich alles einen Sinn ergeben.“ Das bessere Verständnis für den Sohn ermöglicht es dem Vater, für den Sohn hilfreicher zu reagieren. Ich drücke die Daumen!

 

 

Versuch des Gesprächs
Erst mal Glückwunsch! Wie schön für Sie, dass Sie wieder eine Partnerin gefunden haben. Und hoffentlich damit eine gute Beziehung. Und verständlich, dass Sie wünschen, dass Ihre Kinder Ihre Entscheidung und die neue Lebenssituation mit Ihnen teilen.


Ruth Bornhofen-Wentzel
war Leiterin der Ehe- und
Sexualberatung im Haus
der Volksarbeit in Frankfurt.

Aber das geht leider nicht immer.
Eine Trennung bedeutet für die Kinder, egal wie alt sie sein mögen, eine Erschütterung: ihre Eltern, die beiden, die gemeinsam ihre Eltern sind, gehen auseinander. Das geht nicht ohne Schmerz. Alle haben etwas zu bewältigen, alle müssen zurechtkommen, und jeder und jede macht das anders. Jeder hat andere Gefühle, jeder hat ein anderes Tempo. Kinder und Eltern, auch die Geschwister untereinander, können emotional da auf ganz unterschiedliche Weise unterwegs sein. So ist es hier wohl bei Sohn und Vater.
Mögliche Gründe?
Vielleicht fühlt sich der Sohn noch zu verletzt.
Vielleicht gibt es noch einen alten Groll, alte Vorwürfe.
Vielleicht gibt es andere Konflikte, Spannungen zwischen Vater und Sohn, die hier reinspielen und belebt werden. Wie ist es sonst, wenn einer vom anderen etwas wünscht und will?
Vielleicht gibt es auch ein starkes Gefühl der Loyalität und Verbundenheit, eine Treue gegenüber der Mutter, die es schwierig macht, sich gegen-über jemand Neuem zu öffnen. Als ob das Neue auch ein Verrat wäre. Als ob das Alte damit wertlos werden könnte.
Vielleicht gibt es Hilflosigkeit, wie soll denn das Neue (und das Alte) gestaltet werden, bei Familienfesten zum Beispiel.
Es gäbe noch viele andere Möglichkeiten – oder vieles davon gleichzeitig.
Bleibt nur, wie so oft, der Versuch des Gesprächs.
Sich gegenseitig nicht nur die Wünsche, sondern möglichst auch den Schmerz und die Unsicherheit zu zeigen. Und das möglichst ehrlich. Ohne den Anspruch, zu wissen, was der andere fühlt oder fühlen sollte. Auszuloten, ob etwas geht; wenn ja, was. Vielleicht ein gewisser Kontakt, aber nicht das große Fest, vielleicht an einem neutralen Ort, nicht zuhause.
Und der Respekt davor, dass es im Moment eben so ist. Es kann sich mit der Zeit ändern – vielleicht. Das kann man nicht wissen. Gefühle und Beziehung können nicht eingefordert werden, Es geht nur, geduldig immer mal wieder dafür zu werben, ohne aufdringlich und drängend zu sein. Aber wichtiger wäre: zu respektieren, dass es so ist.
Und noch wichtiger: eine möglichst gute vertrauensvolle Beziehung zwischen Vater und Sohn zu versuchen und zu gestalten, mit eigenen Unternehmungen und Themen und hoffentlich Freude aneinander.

 

Echter Dialog
Mit der Trennung vom (Ehe-)Partner geht für die meisten Menschen ein tiefer Einschnitt einher. Der Alltag wird plötzlich auf den Kopf gestellt, und es bricht eine Zeit vielfältiger Abschiede an – ein Abschied von den gemeinsamen Träumen, von vertrauten Routinen als Paar und Familie, von sozialem Umfeld, Wohnort, Besitztümern. Der Abbruch verlangt einen neuen Aufbruch. Diese meist schmerzhafte Erfahrung beschränkt sich jedoch nicht allein auf das (Ehe-)Paar. Vielmehr kann dieser Bruch weite Kreise ziehen und vor allem die eigenen Kinder hart treffen, stellt sie das Ende doch ebenso vor einen Anfang. Eine solche Zäsur kann je nach Umstand (zum Beispiel Kindesalter, Eltern-Beziehung, Trennungsursache) manchmal tiefe Narben hinterlassen.


Dr. Stephanie Höllinger
ist Assistentin am Lehrstuhl
für Moraltheologie an der
Universität Mainz.

Vielleicht mag eine solche Narbe auch die Reaktion Ihres Sohnes auf die neue Partnerin erklären? Sie selbst haben genug Abstand gewonnen, um sich auf eine neue Beziehung einzulassen. Sie sind wieder offen für eine Partnerin. Ihr Sohn ist es (noch) nicht. Woran mag das liegen?
Womöglich braucht Ihr Sohn einfach mehr Zeit. Denn: Ihr Tempo muss nicht sein Tempo sein. „Alles hat seine Stunde“ (Kohelet 3,1), seine Zeit – eine Zeit des Lösens und eine Zeit des Bindens, eine Zeit der Abkehr und eine Zeit der Nähe. Wann genau diese Stunde für jemanden schlägt und welche äußeren Impulse es dazu benötigt, kann aber von Person zu Person stark variieren. Sich in Geduld zu üben, auf den Sohn zu warten, ist keine leichte Aufgabe, aber ein wichtiger Schritt, will man Druck und Zwang vermeiden.
Doch Zeit allein heilt nicht all unsere Wunden. Oft bedarf es eines Blicks auf den Ursprung und somit auf die Wurzel von Abkehr und Distanz, muss die Wunde folglich erst versorgt werden, damit ein Prozess des Heilens einsetzen kann. Oder um es in der Sprache der Ethik zu sagen: Um eine Konfliktsituation adäquat beurteilen und sinnvolle Handlungsschritte setzen zu können, ist zuerst die Ausgangssituation zu betrachten. Anders als es der Begriff aber suggerieren mag, meint das Betrachten kein kritisches Beäugen, sondern beruht im Idealfall auf echtem Dialog. Suchen Sie diesen Dialog auch mit Ihrem Sohn. In Ihrer Frage sprechen Sie von Ihrem Schmerz. Dieses Gefühl ist Ihrem Sohn sicher nicht fremd. Bevor Sie also über einen Umgang nachdenken, klären Sie doch erst die Frage nach dem Warum und forschen Sie im Gespräch mit Ihrem Sohn und – wenn nötig – den anderen Kindern nach den Gründen für den vorliegenden Konflikt. In sehr spannungsreichen Situationen kann zudem professionelle Begleitung unterstützen.