Schwierige Entscheidung einer Kieler Kirchengemeinde
Wenn die Kirche im Ort geschlossen wird
Wenn Kirchen geschlossen werden, schmerzt das die Gemeindemitglieder. Ein Beispiel aus Kiel.
"St. Ansgar muss bleiben" steht groß auf einem Transparent an der katholischen Kirche in Schönberg. Das Gotteshaus in dem idyllischen Ostseebad 20 Kilometer nordöstlich von Kiel steht wegen knapper Kassen der Pfarrei kurz vor der Schließung. Am 29. Januar soll es entweiht werden. In dem 6.000-Einwohner-Ort hat sich jedoch Protest formiert - ähnlich wie in vielen deutschen Pfarrgemeinden, denen Kirchenschließungen drohen.
In Schleswig-Holstein leben die Katholiken schon immer in einer Minderheit, die jedoch in den vergangenen Jahrzehnten noch weiter geschrumpft ist. 2014 wurden daher in und um die Landeshauptstadt Kiel vier eigenständige Pfarreien zur Großpfarrei "Franz von Assisi" zusammengelegt. Sie zählt rund 21.700 Mitglieder und 10 Kirchen - die meisten in den 1950er und 60er Jahren gebaut, als zahlreiche katholische Heimatvertriebene in Deutschlands Norden kamen.
Nach der Fusion berieten die Pfarrgremien zwei Jahre lang darüber, was man sich künftig noch leisten kann. 2017 entschied der neue Gesamtkirchenvorstand, nur vier Kirchen als "Leuchttürme katholischen Lebens" zu erhalten. Fünf Kirchen werden aufgegeben und verkauft. Die Zukunft eines weiteren Gotteshauses im Besitz des Erzbistums Hamburg ist noch unklar.
Der Kieler Propst Thomas Benner, der seit 2018 die Großpfarrei leitet und nun den unter seinem Vorgänger getroffenen Beschluss umsetzt, verweist auf die finanzielle Schieflage der Pfarrei, den Personalmangel und die Demografie. "Es gab seit 2014 keinen ausgeglichenen Haushalt. Wenn wir drei Jahre so weiter machen wie bisher, sind unsere Rücklagen aufgebraucht."
Trotzdem regt sich Widerstand. Gemeindemitglieder aus Schönberg schickten einen Protestbrief an den Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Mit dem Bürgermeister erarbeiteten sie einen Plan, in ihren Räumen einen kommunalen Kindergarten unterzubringen und mit den Einnahmen die Kirche zu erhalten. Zudem gründeten sie einen Förderverein. Voriges Jahr nahmen sie sich einen auf Kirchenrecht spezialisierten Anwalt, um juristische Schritte zu prüfen.
Förderverein kämpfte für den Erhalt der Kirche
"Mit der Kirchenschließung geht ein Stück Identität verloren", betonen Elisabeth Schnitzler, Silvia Krantz und Gabriele Kalinka vom Vorstand des Fördervereins. Die Schönberger Gemeinde, die in einer Urlaubsregion liegt, kümmere sich auch um die Touristenseelsorge und um Patienten einer Reha-Klinik. Aktuell komme alle zwei Wochen ein Priester zur Sonntagsmesse. In der jeweils anderen Wochen hielten Ehrenamtler eine Andacht.
"Von allen Kirchen unserer Großpfarrei liegt Sankt Ansgar am weitesten außerhalb von Kiel", sagt Kalinka. In Zukunft blieben nur Kirchen auf dem Gebiet der Landeshauptstadt erhalten. "Wir gehören nicht zur Stadt Kiel, sondern zum Kreis Plön", betont sie. Der Weg zum nächsten Gotteshaus sei für die Schönberger dann 22 Kilometer lang. In dem Entscheidungsprozess sehen sie sich ungenügend beteiligt. Im Gesamtkirchenvorstand sei kein Mitglied der Gemeinde vertreten. "Wir fühlen uns von diesem Gremium nicht repräsentiert", so Schnitzler. Das ausgerechnet ihre Kirche geschlossen werden soll, können die Gemeindemitglieder daher nicht verstehen.
Pfarrer Benner hat grundsätzlich Verständnis für die Kritik. "Das zeigt, dass den Menschen die Kirche etwas wert ist." Allerdings habe es im Vorfeld zwei Klausurtagungen gegeben, zu denen alle Mitglieder der bisherigen vier Kirchenvorstände, Pfarrgemeinderäte und alle Interessierten eingeladen waren. Arbeitsgruppen hätten jede Gemeinde anhand von Kriterien wie Altersstruktur, Anzahl der Gruppen und Anreisewege überprüft. Zudem seien an allen Standorten Versammlungen einberufen worden. "Von fehlender Beteiligung kann also keine Rede sein."
An den geplanten Schließungen führe kein Weg vorbei, betont Benner. Nun gelte es, nach vorne zu schauen und konstruktive Lösungen für das künftige Pfarreileben zu finden. Eine Mehrheit der aktiven Pfarreimitglieder beteilige sich auch daran. Einige hartnäckige Kritiker verweigerten aber die Zusammenarbeit.
Die Fronten scheinen verhärtet. Beide Seiten berichten, dass der Streit das Gemeindeleben belastet. "Es gibt Gläubige, die wegen des Konflikts um die Kirchenschließung nicht mehr zum Gottesdienst kommen", erzählt Kalinka. Einige seien auch schon aus der Kirche ausgetreten.
Die Gotteshäuser in und um Kiel werden nicht die einzigen bleiben, von denen sich die katholische Kirche wegen Finanznot verabschieden muss. Im Rahmen einer Vermögens- und Immobilienreform stellt etwa das wirtschaftlich angeschlagene Erzbistum Hamburg, zu dem Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg gehören, derzeit alle seiner rund 800 Immobilien auf den Prüfstand. Am Ende bleiben nur die Gebäude erhalten, deren Finanzierung dauerhaft gesichert ist. In vielen der bundesweit 27 Bistümern gibt es ähnliche Pläne.
"Der Verlust ist ein schmerzhafter Prozess"
Laut dem Bonner Theologen Albert Gerhards wird es daher Konflikte um Kirchenschließungen noch viel häufiger geben. "An jeder Kirche hängt für die Menschen vor Ort ein Stück Lebens- und Familiengeschichte", so der emeritierte Liturgiewissenschaftler, der seit den 1990er Jahren zu Kirchenschließungen forscht. "Der Verlust ist daher für viele Gläubige ein schmerzhafter Prozess." Häufig würden bei Gemeindefusionen andere Kirchen nicht akzeptiert. "Viele ältere Kirchgänger gehen dann nicht mehr hin", weiß Gerhards.
"Wenn, wie im Erzbistum Hamburg und in der Kieler Pfarrei, nicht genügend Geld da ist, müssen manche Gotteshäuser leider geschlossen werden", räumt der Experte ein. "Aber jeder Einzelfall muss genau abgewogen werden." Grundsätzlich greife es zu kurz, Sakralgebäude nur unter dem Kosten-Nutzen-Verhältnis zu sehen. "Oft werden längst nicht alle Möglichkeiten ausgereizt."
Gerhards plädiert dafür, Gotteshäuser möglichst im Kirchenbesitz zu halten und kreative Lösungen zu finden. So ließe sich über eine Nutzungserweiterung nachdenken, indem eine Pfarrei sich für Kunst und Kultur öffne oder mit Kommune oder Caritas kooperiere: "So etwas kann auch zur langfristigen Gebäudefinanzierung beitragen."
Der Kieler Pfarrer Benner setzt auf Flexibilität der Kirchenmitglieder. Er verweist auf das Beispiel seiner Gemeinde in Heikendorf unweit von Schönberg, wo vor einem Jahr bereits die erste der fünf Kirchen entweiht wurde. Das Gotteshaus ist bereits an einen privaten Bauträger verkauft und soll zwei Wohnhäusern weichen. Für ihre Gottesdienste kann die Heikendorfer Gemeinde nun die evangelische Kirche im Ort mitnutzen. "Dort sind wir herzlich willkommen", berichtet Benner. In einer Broschüre des Erzbistums Hamburg zur Immobilienreform wird diese Partnerschaft als Modell beschrieben. Auch in Schönberg bestehe diese Möglichkeit, betont der Pfarrer.
Doch auch dieser Vorschlag stößt auf Widerspruch. "Ein Gastrecht in der evangelischen Kirche ist uns zu wenig", meint Silvia Krantz. Zu befürchteten sei, dass an den großen Festen wie Weihnachten und Ostern wegen des Eigenbedarfs kein katholischer Gottesdienst stattfinden könne.
Bis zur Entwidmung von Sankt Ansgar am 29. Januar sind es nur noch wenige Tage. Danach sollen Kirche und Gemeindehaus verkauft werden. Der neue Eigentümer steht noch nicht fest. Sicher ist, dass das Gebäude erhalten bleibt, weil es unter Denkmalschutz steht. Ob und wo die Schönberger Gemeinde einen neue Heimat finden wird, bleibt offen.
kna