Der Prophet Amos

Wenn Geld regiert

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Mit flammenden Worten geißelt der Prophet Amos das Lotterleben der Reichen und die ungerechte Gesellschaft Israels im 8. Jahrhundert vor Christus. Wie war das damals? Wie konnte es zu den schlimmen Zuständen kommen?

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Die Reichen, klagt Amos, leben im Überfluss. Und faulenzen. Foto: cobaltstock/stock.adobe.com/Jasmin Awad


„Weh den Sorglosen auf dem Zion und den Selbstsicheren auf dem Berg von Samaria!“ (Amos 6,1) So droht der Prophet Amos den Reichen und Herrschenden, die in der Hauptstadt seines Heimatlandes Israel sitzen. Er selbst ist vom Land, ein Bauer, will aber keinesfalls die Zustände im Land weiter erdulden, die „die da oben“ verschuldet haben. Denn: „Ihr liegt auf Betten aus Elfenbein und faulenzt auf euren Polstern, zum Essen holt ihr euch Lämmer aus der Herde und Mastkälber aus dem Stall“, stellt Amos fest (Amos 6,4). Also: Die Reichen nehmen sich das Beste und Feinste – und tun selber nichts dafür. Um wen aber geht es da in Israel, wen meint Amos? Und wie konnte es in einem Land, in dem man auf die Gerechtigkeit des einen Gottes JHWH vertraute, so weit kommen?

In der Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr., in der der Prophet Amos wohl gewirkt hat, hat sich im seit 150 Jahren geteilten Staat Israel (im Norden) und Juda (im Süden des heutigen Israel und Palästina) eine zweite Dynastie von Königen gebildet, die mittlerweile eine Art Hof in der Hauptstadt Samaria gebildet hatte. Dieses Königshaus hatte sich schon ein wenig an die eigene Macht gewöhnt und auch eine Art Oberschicht in dieser Stadt etabliert. 

Dies alles war möglich, weil sich eben dieses Nordreich Israel in einer Zeit des Friedens befand, in dem es die umgebenden Großmächte relativ in Ruhe gelassen haben. Dieser Frieden aber ermöglichte der Oberschicht Israels den Luxus und Wohlstand, auf dem sie sich ausruhte. Amos hat dies jedenfalls so beschrieben und im eigenen Land eine Schere zwischen Arm und Reich wahrgenommen, die immer weiter auseinanderging. Dies geschah über einen längeren Zeitraum und hatte mehrere Gründe.

War Israel nach seiner Gründung zunächst ein Land von Nomaden und Bauern, so entwickelte sich mit dem Bau der Hauptstadt Samaria ein Königshaus, das immer stabiler wurde und aus dem Dynastien hervorgingen, ein Verwaltungszentrum und ein Hof, an dem mehr Luxus herrschte als im übrigen Land. Auch setzte man dort nun Staatsbedienstete ein, die man bezahlte. Hauptstadt und Königshof brauchten daher Geld, was sich nur über Steuern und andere Abgaben finanzieren ließ. Schließlich hatte man den Prunk, die Verwaltung und das Militär der umgebenden Großreiche als Vorbild für die eigene Herrschaft.


Immer mehr Besitz in immer weniger Händen

Die Abgaben mussten aber natürlich die Bauern erwirtschaften, was in der Regelmäßigkeit, wie königliche Steuern eingetrieben werden, in einem Land wie Palästina nicht einfach ist. Zu häufig konnte es dort Dürren und Katastrophen wie Heuschreckenplagen geben, die die ganze Ernte zunichtemachen. Ernteausfall aber bedeutete, Kredite aufnehmen zu müssen. Wurden Schulden ursprünglich mal im nächsten Jahr mit der neuen, besseren Ernte wieder ausgeglichen, so vergaben nun Großgrundbesitzer die Kredite oder kauften Schulden auf. Dadurch aber gerieten die Bauern in Abhängigkeit, verloren oft ihren Besitz oder gingen in Schuldsklaverei. Dabei bezog sich die Abhängigkeit oft genug nicht nur auf die Arbeitsleistung einer Bauernfamilie, sondern führte auch zu körperlicher Gewalt gegen sie und zur Verfügung über die Sexualität der Frauen.

Das Problem wurde dadurch verstärkt, dass in Israel das Prinzip der Erbteilung galt: Der Erstgeborene erhielt bis zu zwei Drittel des väterlichen Besitzes, während der Rest auf die übrigen Söhne verteilt wurde. Also entstanden in einer Zeit des Friedens, in der die Bevölkerung stärker wuchs, immer mehr kleine Grundstücke, die keine Sippe mehr richtig ernähren konnten. Deshalb wurden davon viele an Großgrundbesitzer verkauft, so dass sich immer mehr Besitz in immer weniger Händen befand. 

Und wenn es Monopole gibt, dann wird es auch leichter zu betrügen, wie das Amos in seinem Land wahrnahm: „Hört dieses Wort, die ihr die Armen verfolgt und die Gebeugten im Land unterdrückt! Ihr sagt: Wann ist das Neumondfest vorbei, dass wir Getreide verkaufen, und der Sabbat, dass wir den Kornspeicher öffnen können? Wir wollen das Hohlmaß kleiner und das Silbergewicht größer machen, wir fälschen die Waage zum Betrug, um für Geld die Geringen zu kaufen und den Armen wegen eines Paars Sandalen. Sogar den Abfall des Getreides machen wir zu Geld.“ (Amos 8,4–6) Also kamen zu dieser wirtschaftlichen und politischen Lage noch Skrupellosigkeiten und Ungerechtigkeiten durch die Oberschicht hinzu. Der Bevölkerung insgesamt ging es dadurch immer schlechter.


Die Reichen sehen sich als Auserwählte Gottes

Amos ist nun kein Wissenschaftler, der Statistiken vorlegt und Analysen schreibt, sondern er predigt und wettert heftig gegen diese Oberschicht Israels, die ihre Verantwortung nicht wahrnimmt. Er merkt: Diese Reichen sehen sich wohl im Recht, weil sie sich ja als die Auserwählten des Gottes JHWH sahen. Amos beschreibt, wie sie sich selbst in den Gottesdiensten feierten: „Ihr grölt zum Klang der Harfe, ihr wollt Musikinstrumente erfinden wie David. Ihr trinkt den Wein aus Opferschalen, ihr salbt euch mit feinsten Ölen.“ (Amos 6,5–6) 

Der Prophet aber weiß, auf wessen Rücken und mit welchen Ungerechtigkeiten diese Selbstbeweihräucherung erkauft wurde. Und er hält dagegen: „... aber über den Untergang Josefs sorgt ihr euch nicht.“ Und er sieht wie ein wahrer Prophet die Folgen für Israel: „Darum müssen sie jetzt in die Verbannung, allen Verbannten voran. Das Fest der Faulenzer ist vorbei.“ (Amos 6,6–7)

Christoph Buysch