Anfrage

Wer bestimmt die Auswahl des Evangeliums?

Ist es einem Geistlichen freigestellt, welches Evangelium er verkündet? Unter welchen Umständen darf er das Tagesevangelium ändern? T. J., Linsengericht

Grundsätzlich gibt es in der katholischen Kirche eine verbindliche Leseordnung, in der für jeden Tag des Jahres die Lesungstexte in der heiligen Messe festgelegt sind. Deshalb wird zwischen Tokio und Timbuktu prinzipiell am selben Tag dasselbe Evangelium verkündet. Aber keine Regel ohne Ausnahmen. 

Die erste Ausnahme betrifft Gottesdienste zu besonderen Anlässen: Wenn an einem Freitag eine Hochzeit oder ein Requiem gefeiert wird, muss man nicht das Tagesevangelium nehmen, sondern darf ein für diesen Anlass passendes oder speziell gewünschtes aussuchen. Das gilt auch für Festtage, die beispielsweise nur für bestimmte Kirchen gelten – etwa das Fest des Bistums- oder eines Namenspatrons.

Zweitens gibt es insbesondere Feiertage, in der die Leseordnung selbst Evangelien zur Auswahl stellt. So konnte etwa in diesem Jahr am Ostersonntag die Auferstehung nach Johannes (20,1–9) oder – weil wir gerade im Lesejahr C, dem Lukasjahr, sind – nach Lukas (24,1–12) verkündet werden. Solche Wahlmöglichkeiten betreffen häufiger die Lesungen, aber manchmal eben auch die Evangelien.

Eine ganz andere Frage ist, ob ein Evangelium auch aus pastoralen Gründen ausgewechselt werden darf. Das betrifft besonders Familiengottesdienste, aber auch Erstkommunion- oder Firmfeiern. Da kommt es häufiger vor, dass Vorbereitungsgruppen eine thematische Messe gestalten wollen und dafür ein passendes Evangelium aussuchen, auch wenn ein ganz anderes vorgesehen ist.

Dazu ist zu sagen: Das vorgeschriebene (Sonntags-)Evangelium ist die erste Wahl; die Gestaltung des Gottesdienstes hat sich nach dem Evangelium zu richten, nicht das Evangelium nach der Gottesdienstidee. Trotzdem sind Ausnahmen denkbar. Ob die Steinigung der Ehebrecherin für eine Kindermesse geeignet ist? Oder dass man sein Auge rausreißen soll, wenn es zum Bösen verführt? Darüber sollte man zumindest nachdenken und – in seltenen Fällen – im Sinne der Frohbotschaft einen anderen Text auswählen dürfen.

Susanne Haverkamp