Der Prophet Jeremia

Wer will das hören?

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Der Mann „lähmt die Hände der Krieger“. Er „sucht nicht Heil für dieses Volk, sondern Unheil“. Also soll Jeremia sterben, hören wir in der alttestamentlichen Lesung dieses Sonntags. Was hat Jeremia verbrochen? Wer ist er überhaupt?

Foto: imago/artokoloro
Die Last, Gottes Wort verkünden zu müssen, scheint Jeremia niederzudrücken (Zeichnung nach einem Bild Michelangelos). Foto: imago/artokoloro

Da ist Jeremia gelandet: Männer des Königs haben ihn in die Zisterne des Wachhofs geworfen. Er hockt im Schlamm, hat kein Brot, kein Wasser und keine Verbündeten. Die Situation scheint ausweglos. Dabei hat Jeremia genau das getan, was Gott ihm aufgetragen hat: Sein Wort verkündet, die Menschen gewarnt und zur Umkehr aufgerufen. Nur hören will das niemand.

Jeremia stammte aus einer Priesterfamilie in der Nähe von Jerusalem und war vermutlich von 627 bis 587 vor Christus als Prophet im Königreich Juda aktiv. Er wirkte zur Zeit der Könige Joschija, Jojakim und Zidkija und erlebte den Angriff des babylonischen Königs Nebukadnezar. Es ist eines der prägenden Ereignisse in der Geschichte des Volkes Israel: Jerusalem und der Tempel wurden zerstört, das Volk verstreut und die Oberschicht ins Exil nach Babel geführt. Der Staat Juda existierte nicht mehr.

Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen? Wie so oft, wenn Gott sein Volk straft, hat es sich zuvor von ihm abgewandt. So auch jetzt. Die Priester dienen Baal und errichten Kultstätten für „unnütze Götter“, wie es im Jeremia-Buch heißt. 

Gott reagiert eifersüchtig: Als Hure und Wildling bezeichnet er Israel, als Kamelstute, die umherirrt, und als brünstige Eselin in der Wüste. Gott klagt an: „Selbst wenn du dich mit Lauge waschen und noch so viel Seife verwenden wolltest, deine Schuld bliebe doch ein Schmutzfleck vor meinen Augen.“ (Jer 2,22) 

Schwierige Zeiten für das Königreich Juda

Die politische Situation für Juda war schwierig. Das Nordreich war bereits vor über 100 Jahren untergegangen. Das Südreich kam um 612 v. Chr. unter die Vorherrschaft Ägyptens, ehe die Babylonier die neuen Herrscher wurden. Juda wurde zum Vasallenstaat, politisch und wirtschaftlich vom König von Babel abhängig. Doch König Jojakim kündigte das Verhältnis auf. Sein Sohn, König Jojachin, unterlag in der folgenden Schlacht aber dem König von Babel. Er, seine ganze Familie und die Jerusalemer Oberschicht wurden verschleppt. Nebukadnezar, der König von Babel, stellte das alte Machtverhältnis wieder her und setzte König Zidkija ein. Aber auch der kündigte das Abhängigkeitsverhältnis auf – trotz Jeremias Warnungen. Nebukadnezar belagerte Jerusalem, stürmte und vernichtete die Stadt 587 v. Chr.

Genau dieses Unheil kündigt Jeremia an – und hält sich nicht zurück: „Der Hand des Königs von Babel wird sie (Jerusalem) ausgeliefert und er wird sie mit Feuer verbrennen.“ (Jer 21,10) Dem König Zidkija, den Fürsten und Beamten prophezeit er die Vernichtung: „Ich sende unter sie Schwert, Hunger und Pest, bis sie ganz ausgerottet sind vom Ackerboden, den ich ihnen und ihren Vätern gegeben habe.“ Jeremia macht den Menschen Angst, bewegt sie aber nicht zur Umkehr. Das Volk hasst ihn für seine Reden und droht ihm mit dem Tod. 

So verzweifelt Jeremia auch ist, hört er nicht auf, das Wort Gottes zu verkünden. Er geht noch einen Schritt weiter und verlangt vom Volk, sich dem babylonischen König Nebukadnezar freiwillig zu unterwerfen. Mit einem Joch im Nacken zieht er durch die Straßen von Jerusalem und fordert die Menschen auf, sich zu ergeben. „Dient dem König von Babel und lebt!“, sagt Jeremia (Jer 27,2). Mehr Provokation ist kaum möglich. 

Jeremia prophezeit aber nicht nur Unheil. Er sagt auch: Das Volk Israel wird eine Zukunft haben, das babylonische Exil ist nicht das Ende. Noch steht Gott an der Seite des Königs von Babel, aber auch dieses Volk wird untergehen. „Alle Völker sollen ihm dienen, ebenso seinem Sohn und seinem Enkel, bis auch für sein eigenes Land die Zeit kommt, dass große Völker und mächtige Könige es knechten“, sagt Jeremia (Jer 27,7). Er selbst kauft im Gefängnis einen Acker in der Stadt Anatot. „Man wird wieder Häuser, Äcker und Weinberge kaufen in diesem Land“, sagt Jeremia (Jer 32,15).

Kurz bevor das belagerte Jerusalem fällt, wird Jeremia aus der Zisterne befreit. Er bleibt aber als Gefangener am Königshof. Als die babylonischen Krieger die Stadtmauer durchbrechen und Jerusalem einnehmen, fliehen König Zidkija und seine Krieger. Doch die Soldaten von Nebukadnezar holen sie ein: Zidkija wird geblendet und nach Babel geführt. Seine Söhne werden getötet. Jerusalem wird niedergebrannt, der Großteil der Bevölkerung nach Babel verschleppt (Jer 39).

Nur eine kleine Gruppe von Israeliten bleibt zurück. Sie und einige Flüchtlinge, die aus den Nachbarländern zurückkehren, sammeln sich in der Stadt Mizep. Auch Jeremia stößt zu ihnen. Der babylonische König Nebukadnezar setzt einen Statthalter ein. Doch damit sind nicht alle einverstanden: Jischmael, ein Mann aus königlichem Geschlecht, hofft selbst, eine führende Rolle im Königreich zu übernehmen. Aus Neid tötet er den Statthalter.

Das Volk fürchtet Rache und flieht nach Ägypten

Das Volk fürchtet nun die Rache Nebukadnezars und will nach Ägypten fliehen – ausgerechnet also in das Land, aus dem Gott sie einst aus der Gefangenschaft herausgeführt hatte. Jeremia warnt davor, doch wieder hören sie nicht. Sie bezichtigen ihn der Lüge und nehmen ihn mit nach Ägypten. Jeremia verkündet Gottes Drohung: „Ich raffe den Rest Judas hinweg, der darauf bestand, ins Land Ägypten zu ziehen, um sich dort niederzulassen. Sie alle werden im Land Ägypten umkommen; sie werden fallen durch Schwert und Hunger; Klein und Groß wird umkommen.“ (Jer 44,12)

Mit der Flucht nach Ägypten endet die jüdische Siedlung im Land Israel in dieser Zeit. Das babylonische Exil wird für die Israeliten 70 Jahre dauern. Erst als der Perserkönig Kyrus 
539 v. Chr. Babel erobert, können sie nach Juda zurückkehren und den Tempel in Jerusalem neu aufbauen. Jeremia erlebt das nicht mehr: Der Überlieferung nach wurde er 580 v. Chr. in Ägypten gesteinigt.

Kerstin Ostendorf